Zurück zur Kohle ist nicht mehr als eine Notlösung
Die Grünen müssen sich unter dem Druck des Ukraine-Kriegs von Dogmen verabschieden. Vom Nein zur Kohle – wovon noch?
Leonore Gewessler ist derzeit nicht zu beneiden. Die
grüne Ministerin, zuständig für Klimaschutz, Umwelt und Verkehr, reist nach Katar, um dem Scheichtum Flüssiggas abzukaufen. Sie stellt Milliarden Euro Steuergeld bereit, damit Republik und große Unternehmen Extra-Gasreserven anlegen. Koste es, was es
wolle. Und nun verkündet sie, dass die Wiederinbetriebnahme des letzten, vor zwei Jahren eingemotteten Kohlekraftwerks in Österreich angedacht wird. Die kleine Anlage der Verbund AG nahe Graz wurde für den Notbetrieb auf Gas umgerüstet, jetzt soll sie
wieder zurückgebaut werden. Kohle erzeugt etwa doppelt so viel Treibhausgas wie Erdgas, doch derzeit ist jedes Mittel recht, um Kilowattstunde um Kilowattstunde von russischem Erdgas wegzukommen.
Für die einstige Global-2000-Geschäftsführerin Gewessler ist das eine Kapitulation vor der politischen Realität. Der russische Angriff auf die Ukraine,
der rasante Anstieg der Energiepreise und das taktische Spiel Moskaus mit Gaslieferungen machen deutlich, dass es einfach nicht reicht, nur auf die Umstellung auf 100 Prozent ökologische Energie zu setzen. Ein grünes Dogma geht damit unter.
Kohle wird aber nicht die Lösung sein, schon weil Österreich keine weiteren Kraftwerke für die schmutzigste Form der Energieerzeugung mehr hat. Auch
nicht in Deutschland, wo Gewesslers Amtskollege Robert Habeck – ebenfalls ein Grüner – gerade im
großen Stil wieder auf Kohle setzt, aus der das Land eigentlich rasch aussteigen wollte. Der Applaus der
Industrie ist ihm sicher. Aus Sicht der Betriebe ist alles besser als ein drohender Produktionsstopp.
Deutsche Kohlekraftwerke wurden zuletzt munter als Ausgleich für Wind und Sonnenstrom genutzt,
weil Kernkraftwerke nach und nach abgedreht wurden und werden. Kaum ein anderes Land in Europa hat so viel in den Erneuerbaren-Ausbau investiert
wie Deutschland und trotzdem seine CO2-Bilanz kaum verbessert. Beim CO2-Ausstoß pro Kopf steht Österreich besser da als der große Nachbar, hat ambitioniertere Ziele und mehr Gasspeicherplatz.
Es ist eine Ironie der politischen Geschichte, dass Sozialdemokraten, wenn sie regieren, oft Sozialleistungen kürzen, für die sie zuvor gekämpft haben,
und Konservative Unternehmenssteuern einführen, die sie stets abgelehnt haben. Jetzt müssen Grüne Kohle rehabilitieren, die sie jahrzehntelang verteufelten. Und möglicherweise bald auch Atomkraft, wie die finnischen Grünen schon jetzt. Es scheint, als
lebten wir in einer Zeit, in der fast alle Tabus fallen.