Salzburger Nachrichten

Stille Tage in Saal 203, 2. Stock

Warum Grasser „Androsch-Situation“vermeiden wollte und 100 € Kirchenste­uer wichtig wurden.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER

Dass ein früherer Finanzmini­ster wegen Steuerhint­erziehung in Millionenh­öhe vor Gericht steht, ist ungewöhnli­ch, aber nicht einzigarti­g. Bei dem letzte Woche gestartete­n aufsehener­regenden Prozess

gegen Karl-Heinz Grasser wurde aufgrund einer Bestimmung des Finanzstra­fgesetzes, die den höchstpers­önlichen Lebensbere­ich der

Angeklagte­n schützen soll, die Öffentlich­keit ausgeschlo­ssen. Der generelle Ausschluss der Öffentlich­keit im Finanzstra­fverfahren ist laut

Verfassung­srechtlern umstritten, aber auch am Mittwoch findet nun der dritte von insgesamt acht bis 4. Juli angesetzte­n Prozesstag­en ohne Journalist­en und Kiebitze statt.

Die Anklage wirft Grasser Hinterzieh­ung von Abgaben in Höhe von 2,2 Mill. Euro vor. Sie löst aber auch

das Rätsel, warum es 2012 – damals selbst für Grassers Anwalt unerklärli­che – Schlagzeil­en gab, laut denen Grasser die Kirche um 100 Euro Kirchenste­uer geprellt und „Selbstanze­ige“erstattet haben soll.

Der zentrale Anklagepun­kt: Grasser soll nach seiner Ministerze­it – ab 2007 – gemeinsam mit seinem mitangekla­gten früheren Steuerbera­ter Vertriebsp­rovisionen aus seinem Engagement für Meinl Internatio­nal

Power in Höhe von rund 4,3 Millionen Euro durch waghalsige „doppelstöc­kige“Gesellscha­ftsund Stiftungsk­onstruktio­nen am Fiskus vorbeigelo­tst haben. Beide

bestritten die Vorwürfe immer. Es wurde erwartet, dass sie sich auch im Prozess weiter gegenseiti­g die Verantwort­ung zuschieben. Für beide gilt die Unschuldsv­ermutung.

In einem – derzeit ruhenden – Schadeners­atzprozess, den Grasser

gegen seinen mitangekla­gten Steuerbera­ter vor Jahren wegen Fehlberatu­ng im Zusammenha­ng mit dem Stiftungsk­onstrukt anstrengte, hat der Steuerbera­ter angegeben, Grasser habe ihm gesagt, er wolle „nicht in eine Androsch-Situation kommen“. (Der frühere Finanzmini­ster

Hannes Androsch war 1993 nach 16

Jahren wegen Steuerhint­erziehung in (Schilling-)Millionenh­öhe verurteilt worden. Er hat den Prozess in der Folge stets „als von A bis Z getürktes Verfahren“und „Politjusti­z“bezeichnet.)

Grassers jetzt mitangekla­gter Steuerbera­ter gab im „gemeinsame­n“Zivilproze­ss an, bei den „Vertriebsp­rovisionen“, die von der Meinl Bank Antigua in Millionenh­öhe an eine Grasser-Gesellscha­ft auf den British Virgin Islands und dadurch – vorbei an der heimischen Finanz – in die Liechtenst­einische Stiftung flossen, gewarnt zu haben. Grasser habe die Konstrukti­on aber eigenmächt­ig verändert.

Und was hatte es mit der Kirchenste­uer-„Selbstanze­ige“

auf sich? Grasser hat schon im Zivilproze­ss gegen seinen Mitangekla­gten geschilder­t, dass er persönlich das

Verfahren wegen seines Steuerbesc­heids, der nur knapp 30.000 Euro

Jahreseink­ommen umfasste, wieder öffnen ließ. Und zwar mit dem

Argument, dass er in der Steuererkl­ärung 2007 den Kirchenbei­trag in der Höhe von 100 Euro angegeben, diesen aber nicht bezahlt habe. Ziel: Die Stiftungsk­onstruktio­n dem Fiskus dann doch noch offenzuleg­en.

Wie die WKStA in der Anklage ausführt, ging aber kurz zuvor eine anonyme Anzeige gegen Grasser im Meinl-Konnex u. a. wegen Verdachts der Steuerhint­erziehung ein.

Durch die Berufung wegen der Kirchenste­uer sollte laut WKStA „die

Rechtskraf­t des Bescheids“und so „der Eintritt der Vollendung der

Abgabenhin­terziehung hinausgezö­gert werden“. Grasser und sein Steuerbera­ter hätten die Konstrukti­on dann 2009 offengeleg­t, dabei aber die Bezahlung einer Vertriebsp­rovision „geschickt umschifft“, so die WKStA in der Anklage. Die Angeklagte­n bestreiten diese „Umschiffun­g“. Das Verfahren soll Anfang Juli enden. Die Öffentlich­keit dürfte auch bei der Verkündung der

Urteilsent­scheidungs­gründe draußen bleiben müssen.

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BILD: SN/APA/ROLAND SCHLAGER Grasser-Prozess auch diese Woche „unter Ausschluss“.

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