Kolumbien wagt den Schritt nach links
Erstmals in der Geschichte des Landes wird ein Linker Präsident. Viele Menschen setzen ihre Hoffnungen in ihn.
An diesem Wahlabend in Kolumbien dominierte letztlich ein
Wort: historisch. Es wurde fast inflationär gebraucht für dieses Wahlergebnis, das das Land verändern
wird und das eine Chance wie Herausforderung für den Sieger Gustavo Petro beinhaltet. Historisch, denn die Linke kommt nach 200 Jahren erstmals an die Macht, historisch auch, weil ein Ex-Guerillero in einem Land regieren wird, das über ein halbes Jahrhundert unter einem Bürgerkrieg litt. Und eine Premiere
ist auch, dass mit Francia Márquez eine Frau und dazu noch eine
Schwarze und frühere Hausangestellte Vizepräsidentin wird. Die 40Jährige wurde zur Stimmenbringerin für Petro. Sie mobilisierte diejenigen,
die sie „die Nadies“nennt, die „Niemands“, die 40 Prozent Armen der 50 Millionen Kolumbianerinnen und Kolumbianer.
„Das ist der Sieg des Volkes“, sagte Petro in seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg in Bogotá. Als Erstes
forderte er den Generalstaatsanwalt auf, alle Jugendlichen freizulassen,
die infolge der sozialen Proteste von 2021 festgenommen wurden. Ein Hinweis auf seinen politischen Kurs und an diejenigen, denen er seinen
Wahlsieg in großen Teilen zu verdanken hat. Den jungen Kolumbianerinnen und Kolumbianern.
Petro gelang es in der Stichwahl, Nichtwähler zu mobilisieren, vor allem junge Menschen, die traditionell skeptisch mit dem politischen Establishment sind. 58 Prozent betrug die Wahlbeteiligung. Für ein
Land wie Kolumbien ein Rekordwert. So ist Petro der Präsident, der mit der höchsten Stimmenzahl ins Amt gehievt wurde. 11,3 Millionen Wählerinnen und Wähler stimmten für ihn. Kolumbien hat damit den Schritt nach links gewagt.
„Jetzt kehrt endlich auch in Kolumbien demokratische Normalität ein. Hier haben die Linken noch nie
regiert. Es war nun einmal an der Zeit“, sagt Yann Basset, Politologe an der Universidad del Rosario in Bogotá. Es werden vier anspruchsvolle Jahre. Denn Petro will fast alles anders machen als seine Vorgänger. Das herausforderndste Ziel dabei ist, sein Land zum Klima-Vorreiter in Lateinamerika zu machen. Aber das beinhaltet, Hand an die ökonomischen Fundamente Kolumbiens zu legen: den Öl- und Kohleexport.
„Wir werden den Kapitalismus entwickeln“, versprach Petro. Er sagte Feudalismus und Sklaverei
den Kampf an und versprach, den sozialen Ausgleich voranzutreiben. Sein Sieg schürt Ängste bei Unternehmern, die fürchten, dass er aus Kolumbien ein zweites Venezuela machen will. Petro wird in den kommenden vier Jahren Hoffnungen erfüllen und Ängste zerstreuen müssen. Es ist ein politischer Spagat, an dem man leicht scheitern kann.
Auf Zustimmung wird aber sein Plan stoßen, das 2016 geschlossene Friedensabkommen mit der Linksguerilla FARC endlich umzusetzen. Sein Vorgänger Iván Duque boykottierte das Abkommen nach Kräften. Petro will zudem die Friedensverhandlungen mit der kleineren ELNGuerilla aufleben lassen.