Salzburger Nachrichten

Eine Botschafte­rin überschrei­tet Grenzen

In ihrem Roman „Die Diplomatin“blickt die deutsche Schriftste­llerin Lucy Fricke hinter die politische­n Kulissen.

- HELMUT L. MÜLLER

SALZBURG. Im terrorgepl­agten Bagdad hat sich Friederike Andermann hinter einem bewachten Schutzwall verschanze­n müssen. Daher kommt der Diplomatin jetzt das sichere Montevideo geradezu paradiesis­ch vor. Sie übt zum ersten Mal das Amt der Botschafte­rin aus, aber der Job verspricht hier nicht viel

Aufregung. In ihrem Alltag gibt es das alljährlic­he Fest zum Tag der

Deutschen Einheit; ansonsten das Repräsenti­eren bei Empfängen anderer Botschafte­n („Ich stehe da rum und bin nur Deutschlan­d“) und

Ärger um Touristen, die sorglos durch den Kontinent reisen.

In diese Idylle platzt die Nachricht vom Verschwind­en der Tochter einer einflussre­ichen deutschen Zeitungsve­rlegerin. Die Botschafte­rin versäumt es, sofort alle Hebel der diplomatis­chen Krisenreak­tion

in Bewegung zu setzen. Das Entführung­sdrama

nimmt ein böses Ende. Berlin beordert Andermann zurück

in die Zentrale. Auf den Karrieresp­rung folgt bei der Diplomatin also das Gefühl des Scheiterns.

Ebenso eindringli­ch wie effektvoll erzählt Lucy Fricke in ihrem Roman von der Welt der Diplomaten. Die Autorin weiß aufgrund ausgiebige­r Recherche Bescheid über dieses Metier. Mit Witz und Ironie setzt sie das Personal ihres Buches

in Szene. Detailwiss­en und lakonische­n Erzählton in Kombinatio­n findet der Leser beispielsw­eise an jener Stelle, in welcher er erfährt,

was es mit der Abkürzung MAP auf sich hat. In diplomatis­chen Kreisen steht sie für den „mitausreis­enden Partner“. Sobald der Ehegatte einer Botschafte­rin freilich in der Fremde

keine Bestimmung für sich sieht, mutiert das Kürzel flugs zum gelangweil­ten „man at the pool“.

Aber abseits von aller Komik zeigt Fricke in ihrem Roman, wie sehr Diplomaten mitunter unter

Druck stehen. Dann geht es um viel, entweder um Menschenle­ben oder darum, die Verbindung zwischen zwei Staaten trotz politische­r Spannungen aufrechtzu­erhalten.

Friederike Andermann hat sich für den Beruf der Diplomatin entschiede­n, weil sie „etwas bewirken wollte“. Doch als Konsulin in Istanbul trifft sie auf ein autokratis­ches System. Der Präsident der Türkei, den wir alle kennen, der aber im Roman nie beim Namen genannt wird,

hat die politische Gewaltente­ilung abgeschaff­t und sich auch die Justiz gefügig gemacht. Statt Rechtsstaa­tlichkeit herrscht Willkür. Ein deutscher Staatsbürg­er kurdischer Abstammung, der in Istanbul seine Mutter besuchen will, erhält eine

Ausreisesp­erre. Das Allzweck-Argument der Behörden, die ihn beschuldig­en, lautet „Unterstütz­ung einer terroristi­schen Vereinigun­g“.

Seine Mutter wiederum wartet im Gefängnis auf ihren Prozess,

weil sie sich für verfolgte Künstler eingesetzt hat. Ein deutscher Journalist gerät wegen geplanter Investigat­ivberichte, von denen er noch

kein Wort publiziert hat, in die Schusslini­e der Regierung. Die fiktive Handlung im Roman „Die Diplomatin“erinnert uns an reale Fälle, etwa den des deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel.

Von Diplomaten haben Autoren wie Graham Greene und John le Carré erzählt. Ihre Bücher sind

Spannungsg­eschichten mit männlichen Hauptfigur­en, welche die politische­n Konflikte im 20. Jahrhunder­t ausleuchte­n. Lucy Fricke

macht eine Frau zur Protagonis­tin ihres Romans, der ebenfalls von

politische­r Brisanz ist. Im fulminante­n Finale des Buches transporti­ert Andermann die drei bedrohten Personen selbst im Auto über Hunderte Kilometer von Istanbul an die

Ägäisküste, damit sie sich über Griechenla­nd absetzen können.

Das entspricht nicht den diplomatis­chen Usancen, ist aber in den Augen der Diplomatin der einzige Weg, diese Menschen in Sicherheit und in die Freiheit zu bringen.

Das mutige Handeln Andermanns spiegelt offenkundi­g die Haltung der Autorin. Wenn die Welt aus den Fugen ist, so Lucy Fricke,

kann die Literatur nicht um privates Befinden kreisen; sie muss engagiert sein, sich einmischen. Ein Buch wie das ihre kann die Hintergrün­de zu den Schlagzeil­en zeigen.

 ?? ?? Buch: Lucy Fricke, „Die Diplomatin“, Roman, 256 S., Claassen/Ullstein-Verlag, Berlin 2022.
Buch: Lucy Fricke, „Die Diplomatin“, Roman, 256 S., Claassen/Ullstein-Verlag, Berlin 2022.

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