Schatten über der documenta
Lange Zeit war man geneigt, das documenta-Kuratorenteam gegen
laute, überzogene und aktionistische Antisemitismusvorwürfe in Schutz zu nehmen. Denn: Zum Zeitpunkt der Vorbesichtigungstage für Fachpublikum und Presse fanden sich zwar diskussionswürdige, aber keine eindeutig antisemitische Kunstwerke im documenta-Parcours. Seit dem Wochenende ist alles anders. Eine erst spät (warum?) enthüllte, großflächige
Banner-Installation des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, auf dem Motive mit eindeutig antisemitischen Inhalten zu sehen sind, entwickelt sich zu einem Problem nicht nur für die documenta-Masterminds Ruangrupa, sondern auch für die Administration der Weltkunstschau zum Problem. Das Abhängen des indiskutablen Werks am Montag war der einzige mögliche Schritt, der Schaden für die documenta fifteen könnte dennoch ein bleibender werden.
Ruangrupa sieht sich seit Monaten mit Vorwürfen konfrontiert, eine zu große Nähe zur israelfeindlichen Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“(BDS) zu haben. Dass man in so einem
Klima nicht die Sensibilität entwickelt (und weitergibt), dass antisemitische Beiträge ein absolutes Tabu sind, ist erstaunlich. Und peinlich. Ist der Taring-Padi-Skandal
passiert oder war es eine beabsichtigte Provokation? Beides ist einer Veranstaltung wie der documenta unwürdig. Auch wenn sich die Künstler mittlerweile entschuldigt haben: Ein Schatten liegt über dem auf Dialog, Diskussion und Lumbung-Prozesse fokussierten
Konzept von Ruangrupa. Unter diesen Vorzeichen wird die Diskussion, wie der globale Süden mit dem Norden in einen Dialog
kommen kann, schwierig. Und:
Die Arbeit von Hunderten anderen documenta-Kunstschaffende
leidet darunter. Das ist traurig.