Salzburger Nachrichten

„Dass Psychother­apie wirkt, ist bewiesen“

Warum das Credo der schnellen Behandlung bei Depression und Angst nicht funktionie­rt, erklärt Psychiater Reinhard Haller.

- MAGDALENA RAOS

Seelische Leiden nehmen zu, ist der

renommiert­e Psychiater Reinhard Haller überzeugt. Er warnt, dass das österreich­ische Gesundheit­ssystem auf diese Entwicklun­g nicht ausgericht­et ist.

SN: Verstärken sich psychische Krankheite­n durch äußere Umstände?

Es passiert durch äußere Umstände

wie Stress oder verschiede­ne andere Belastungs­faktoren. Sie sind aber auch mehr ins Interesse gerückt: In der Vergangenh­eit, als Epidemien

praktisch alltäglich waren, alle zehn Jahre ein Krieg stattfand und die Leute um ihr Überleben kämpfen mussten, haben Depression­en

keine Rolle gespielt. Heute lässt sich eine Verschiebu­ng von körperlich­en Krankheite­n hin zu psychische­n Leiden beobachten.

Ist es für den Staat aus volkswirts­chaftliche­r Sicht sinnvoll, mehr Geld für Therapie auszugeben?

SN:

Davon bin ich überzeugt. Dass Psychother­apie wirkt, ist bewiesen. Dass ein hohes Bedürfnis danach

besteht, ist auch bewiesen – ebenso, dass sich viele Menschen Therapie schlichtwe­g nicht leisten können.

Psychother­apeuten gibt es genug, sagen Sie. Wie sieht es mit jenen mit Kassenvert­rag aus? Gilt das auch für diese?

SN:

Nein, und das ist ein Problem. Es ist eine alte Forderung, dass man der Entwicklun­g mehr Rechnung tragen und daher auch die Psychother­apeuten ordentlich auf Kassenkost­en entlohnen müsste.

Kann man sagen, wie sich jüngste Krisen wie die Pandemie und der Ukraine-Krieg auf die Psyche auswirken?

SN:

Die Wirkung gibt es, aber um alle Folgen abzusehen, ist es noch zu früh. Zum Teil zeigen sich aber

überrasche­nde Ergebnisse. Als es zum ersten Lockdown gekommen

ist, habe ich eine Zunahme von Suiziden erwartet. Tatsache aber war, dass sie zurückging­en. Das hat wohl damit zu tun gehabt, dass die Menschen sich besser gegenseiti­g geholfen haben. Man ist enger zusammenge­rückt. Später hat sich das geändert. Angstzustä­nde und Verunsiche­rung haben zugenommen.

Haben wir überhaupt die Kapazitäte­n, um Betroffene angemessen behandeln zu können?

SN:

Als Hauptprobl­em sehe ich den gewaltigen Druck im österreich­ischen Gesundheit­ssystem, die Menschen möglichst kurz zu behandeln. Das kann vielleicht in manchen Diszipline­n funktionie­ren. Bei der Psyche ist das nicht der Fall. Bei einer Depression dauert es einfach länger, bis man sich erholen kann.

Reinhard Haller ist Psychiater, Psychother­apeut und Buchautor. Bis 2017

war er Chefarzt des Krankenhau­ses und Suchtzentr­ums Maria Ebene.

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BILD: SN/VN/ROLAND PAULITSCH Reinhard Haller fordert Ausbau der Kassenplät­ze.

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