Wenn der Druck zu groß wird
Politik kann krank machen. Auch dann, wenn sich der Betreffende nicht mit Korruptionsermittlungen herumschlagen muss.
„Politiker müssen sich rausnehmen.“
WIEN. Eine oft missgünstige Öffentlichkeit, die wenig Wertschätzung für Politiker zeigt. Der tägliche Nahkampf mit den gegnerischen Parteien. Medien, die jeden Schritt überwachen. Anonyme Beschimpfungen und Morddrohungen. Arbeit im Krisenmodus zwischen Pandemie, Inflation und Krieg vor der Haustür.
Termine im Minutentakt: Politik ist ein Knochenjob, der alles abverlangt und nur wenig Anerkennung
bringt. Vor allem nicht für Politiker, die im Zentrum von Korruptionsermittlungen stehen.
Am Mittwoch beugte sich der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner dem Druck, der sich durch seine Verwicklung in die
Korruptionsaffäre der dortigen ÖVP aufbaute. Der LH ist gesundheitlich angeschlagen und kündigte einen
längeren Krankenstand an. Er ist nicht der erste Politiker, der eine
Auszeit brauchte, und nicht immer sind es Ermittlungen der Justiz, die der Grund dafür sind. Oft reicht der normale politische Alltag.
Der damalige oberösterreichische Landesrat Rudolf Anschober
musste 2012 über mehrere Monate eine Burn-out-Erkrankung auskurieren. In seiner Zeit als Gesundheitsminister, als die Pandemie ihn extrem forderte, nahm er sich einige gesundheitsbedingte Auszeiten und trat schließlich nach einem Kreislaufkollaps „überarbeitet und ausgepowert“zurück.
Die grüne Parteichefin Eva Glawischnig erlitt 2017 nach parteiinternen Streitereien einen allergischen Schock und nahm ebenfalls ihren Hut: „Es hat körperliche
Warnsignale gegeben, die ich ernst nehmen muss“, sagte sie damals.
Der damalige ÖVP-Chef und Vizekanzler Josef Pröll erlitt 2011 – auf dem Höhepunkt des Korruptionsskandals um EU-Mandatar Ernst Strasser – eine Lungenembolie, musste sich wochenlang im
„Das hält niemand lange aus.“
Spital auskurieren und schied vollständig aus der Politik aus. Frisst die Politik ihre Kinder?
„Man steht mit allen Anschuldigungen und Attacken in der Öffentlichkeit. Man ist immer in der Auslage. Und wenn man angegriffen
wird, kann man meist nicht die entsprechende Gegenwehr setzen“, analysiert die Politik- und Medienberaterin Heidi Glück die Situation von Politikern. Das verursache enorme psychische und physische
Belastungen „und zerstört auch Beziehungen“, sagt Glück, die einst als Sprecherin des damaligen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel den Politikbetrieb aus eigener Anschauung kennt.
Ähnlich sieht es die strategische Kommunikationsberaterin Nina Hoppe: „Viele, die in die Politik gehen, unterschätzen völlig, was es
bedeutet, 24 Stunden lang sieben Tage die Woche im Dienst der Sache zu stehen.“Dies belaste Körper und Geist. Wenn dann noch – wie im Fall
Wallner – Anschuldigungen korruptiven Verhaltens dazukommen, „wird der Druck eben zu groß“. Eine „zusätzliche Belastung“entstehe durch die sozialen Medien, „wo alles im Minutentakt kommentiert und durch den Fleischwolf gedreht wird“, sagt die Beraterin.
Auch Heidi Glück ist der Meinung, dass die sozialen Medien den Politikerberuf weit härter gemacht haben. Dies vor allem, „weil Politiker hier mit sehr persönlichen Angriffen konfrontiert werden, die wesentlich mehr wehtun, als wenn es sich um eine sachpolitische Auseinandersetzung handeln würde“.
Politiker seien „keine Roboter“, sagt Glück, und: „Das hält niemand lange aus.“
Und was können Politiker dagegen tun? Kommunikationsberaterin Hoppe meint: „Auch Politiker müssen sich einen Raum außerhalb der Politik schaffen. Einen privaten
Bereich, der nichts mit der Politik zu tun hat.“Politiker müssten sich „rausnehmen, auf Urlaub gehen – das brauchen sie genau so dringend
wie wir alle“.
Ähnlich sieht es Heidi Glück: „Nicht alles an sich heranlassen,
nicht alles persönlich nehmen“, rät sie Politikern, und: „Man muss
nicht alles lesen, was über einen geschrieben wird.“Wichtig sei auch ein „gutes Umfeld“: „Ein Politiker
braucht Leute, die ihn abschirmen, die ein Sicherheitsnetz bilden, mit denen er sich austauschen kann.“
Das ist leichter gesagt als getan, vor allem, wenn aus Beschimpfungen Drohungen werden. KurzzeitGesundheitsminister Wolfgang Mückstein berichtete am Tag seines Rücktritts von „täglichen Drohungen“gegen sich und seine Familie.
Wenn man das Haus nur noch unter Polizeischutz verlassen könne, halte man das nicht lange aus, sagte er.
Auch der Tiroler LH Günther Platter begründete seine kürzlich erfolgte Rücktrittsankündigung mit „Drohungen, sogar mit Morddrohungen gegenüber meinem persönlichen Umfeld“. Mit 68 Jahren tue man sich das nicht mehr an, sagte er. Etliche Politikerfamilien, darunter die des Bundeskanzlers, stehen
unter permanenter polizeilicher Überwachung.
Der Druck ist groß. Manchmal zu groß.