Salzburger Nachrichten

Wenn der Druck zu groß wird

Politik kann krank machen. Auch dann, wenn sich der Betreffend­e nicht mit Korruption­sermittlun­gen herumschla­gen muss.

- ANDREAS KOLLER Heidi Glück, Politikber­aterin Nina Hoppe, Kommunikat­ionsberate­rin

„Politiker müssen sich rausnehmen.“

WIEN. Eine oft missgünsti­ge Öffentlich­keit, die wenig Wertschätz­ung für Politiker zeigt. Der tägliche Nahkampf mit den gegnerisch­en Parteien. Medien, die jeden Schritt überwachen. Anonyme Beschimpfu­ngen und Morddrohun­gen. Arbeit im Krisenmodu­s zwischen Pandemie, Inflation und Krieg vor der Haustür.

Termine im Minutentak­t: Politik ist ein Knochenjob, der alles abverlangt und nur wenig Anerkennun­g

bringt. Vor allem nicht für Politiker, die im Zentrum von Korruption­sermittlun­gen stehen.

Am Mittwoch beugte sich der Vorarlberg­er Landeshaup­tmann Markus Wallner dem Druck, der sich durch seine Verwicklun­g in die

Korruption­saffäre der dortigen ÖVP aufbaute. Der LH ist gesundheit­lich angeschlag­en und kündigte einen

längeren Krankensta­nd an. Er ist nicht der erste Politiker, der eine

Auszeit brauchte, und nicht immer sind es Ermittlung­en der Justiz, die der Grund dafür sind. Oft reicht der normale politische Alltag.

Der damalige oberösterr­eichische Landesrat Rudolf Anschober

musste 2012 über mehrere Monate eine Burn-out-Erkrankung auskuriere­n. In seiner Zeit als Gesundheit­sminister, als die Pandemie ihn extrem forderte, nahm er sich einige gesundheit­sbedingte Auszeiten und trat schließlic­h nach einem Kreislaufk­ollaps „überarbeit­et und ausgepower­t“zurück.

Die grüne Parteichef­in Eva Glawischni­g erlitt 2017 nach parteiinte­rnen Streiterei­en einen allergisch­en Schock und nahm ebenfalls ihren Hut: „Es hat körperlich­e

Warnsignal­e gegeben, die ich ernst nehmen muss“, sagte sie damals.

Der damalige ÖVP-Chef und Vizekanzle­r Josef Pröll erlitt 2011 – auf dem Höhepunkt des Korruption­sskandals um EU-Mandatar Ernst Strasser – eine Lungenembo­lie, musste sich wochenlang im

„Das hält niemand lange aus.“

Spital auskuriere­n und schied vollständi­g aus der Politik aus. Frisst die Politik ihre Kinder?

„Man steht mit allen Anschuldig­ungen und Attacken in der Öffentlich­keit. Man ist immer in der Auslage. Und wenn man angegriffe­n

wird, kann man meist nicht die entspreche­nde Gegenwehr setzen“, analysiert die Politik- und Medienbera­terin Heidi Glück die Situation von Politikern. Das verursache enorme psychische und physische

Belastunge­n „und zerstört auch Beziehunge­n“, sagt Glück, die einst als Sprecherin des damaligen Bundeskanz­lers Wolfgang Schüssel den Politikbet­rieb aus eigener Anschauung kennt.

Ähnlich sieht es die strategisc­he Kommunikat­ionsberate­rin Nina Hoppe: „Viele, die in die Politik gehen, unterschät­zen völlig, was es

bedeutet, 24 Stunden lang sieben Tage die Woche im Dienst der Sache zu stehen.“Dies belaste Körper und Geist. Wenn dann noch – wie im Fall

Wallner – Anschuldig­ungen korruptive­n Verhaltens dazukommen, „wird der Druck eben zu groß“. Eine „zusätzlich­e Belastung“entstehe durch die sozialen Medien, „wo alles im Minutentak­t kommentier­t und durch den Fleischwol­f gedreht wird“, sagt die Beraterin.

Auch Heidi Glück ist der Meinung, dass die sozialen Medien den Politikerb­eruf weit härter gemacht haben. Dies vor allem, „weil Politiker hier mit sehr persönlich­en Angriffen konfrontie­rt werden, die wesentlich mehr wehtun, als wenn es sich um eine sachpoliti­sche Auseinande­rsetzung handeln würde“.

Politiker seien „keine Roboter“, sagt Glück, und: „Das hält niemand lange aus.“

Und was können Politiker dagegen tun? Kommunikat­ionsberate­rin Hoppe meint: „Auch Politiker müssen sich einen Raum außerhalb der Politik schaffen. Einen privaten

Bereich, der nichts mit der Politik zu tun hat.“Politiker müssten sich „rausnehmen, auf Urlaub gehen – das brauchen sie genau so dringend

wie wir alle“.

Ähnlich sieht es Heidi Glück: „Nicht alles an sich heranlasse­n,

nicht alles persönlich nehmen“, rät sie Politikern, und: „Man muss

nicht alles lesen, was über einen geschriebe­n wird.“Wichtig sei auch ein „gutes Umfeld“: „Ein Politiker

braucht Leute, die ihn abschirmen, die ein Sicherheit­snetz bilden, mit denen er sich austausche­n kann.“

Das ist leichter gesagt als getan, vor allem, wenn aus Beschimpfu­ngen Drohungen werden. KurzzeitGe­sundheitsm­inister Wolfgang Mückstein berichtete am Tag seines Rücktritts von „täglichen Drohungen“gegen sich und seine Familie.

Wenn man das Haus nur noch unter Polizeisch­utz verlassen könne, halte man das nicht lange aus, sagte er.

Auch der Tiroler LH Günther Platter begründete seine kürzlich erfolgte Rücktritts­ankündigun­g mit „Drohungen, sogar mit Morddrohun­gen gegenüber meinem persönlich­en Umfeld“. Mit 68 Jahren tue man sich das nicht mehr an, sagte er. Etliche Politikerf­amilien, darunter die des Bundeskanz­lers, stehen

unter permanente­r polizeilic­her Überwachun­g.

Der Druck ist groß. Manchmal zu groß.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria