Wenn Energie zur Waffe wird
Auf Deutschland kommen turbulente Zeiten zu. Das Land will aus der Kohle aussteigen, aus dem Öl und aus der Atomkraft. Doch just jetzt dreht Putin den Gashahn zu. Was nun?
BERLIN. Der Wind pfeift vom Dach des stillgelegten Kohlekraftwerks des Energiekonzerns Uniper. AssetManager Holger Kreetz ist extra aus
der Konzernzentrale in Düsseldorf an die Nordsee gereist, um den Reportern zu zeigen, wo das neue Flüssiggasterminal dereinst zu stehen kommen wird. Er zeigt in die Nordsee, wo außer einem großen Containerschiff und einer Hafenanlage noch nicht viel zu sehen ist. Aber hier werden in den nächsten Wochen und Monaten Pflöcke in den Seeboden gerammt und eine
Pipeline verlegt, um Flüssiggas vom ersten deutschen LNG-Terminal ins Kraftwerk zu leiten. „Der Vorteil
beim Flüssiggas ist, dass wir uns die Produzenten aussuchen können“, schwärmt Kreetz. Hier, am Rande der niedersächsischen Küstenstadt
Wilhelmshaven, soll das auf minus 170 Grad heruntergekühlte Flüssiggas mit Schiffen aus den USA und Katar an die Küste geschifft und schon ab Ende des Jahres zu Energie umgewandelt werden.
Das Flüssiggas soll helfen, die drohende Energielücke in Deutschland zu schließen. Das Land hat sich in schwere Abhängigkeit russischer Energie manövriert und bezahlt dafür nun einen hohen Preis.
Putin dreht aus fadenscheinigen Gründen den Gashahn zu, über die Ostseepipeline Nord Stream 1 fließen nur noch 40 Prozent der üblichen Gasmenge. Die Bundesregierung in Berlin rechnet jederzeit mit dem Worst Case, dass also möglicherweise schon bald überhaupt
kein Gas mehr aus Russland nach Deutschland kommen wird. Der
grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck ruft daher Wirtschaft und Bevölkerung seit Wochen zum Energiesparen auf.
Auch das russische Öl fließt kaum noch nach Europa, nachdem die EU ein Ölembargo gegen Russland beschlossen hat. Der Großraum Berlin ist direkt abhängig von russischem Öl, das in der Raffinerie im brandenburgischen Schwedt verarbeitet wird.
Das Hauptproblem bleibt die noch immer hohe Gasabhängigkeit von Putins Autokratie. „Die Gasproblematik kann schlimmer werden als die Coronapandemie. Das ist vielen noch nicht klar“, warnte Wirtschaftsminister Habeck diese Woche beim „Tag der Industrie“in Berlin. „Der Angriff wird mit Energie als Waffe geführt.“
Ausgerechnet der grüne Minister will nun alte Kohlekraftwerke reaktivieren, um nicht in eine Energielücke zu geraten. Für eine Zwischenzeit bis 2024 sollen Braunund Steinkohlekraftwerke wieder
verstärkt zum Einsatz kommen. „Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken“, sagte Habeck. Freilich setzt er vor allem auf den Ausbau erneuerbarer Energien,
ihr Anteil an der gesamten Stromeinspeisung liegt derzeit bei 47 Prozent. Das allein reicht nicht aus, um
den Energiebedarf auch ohne russische Energie zu decken. Die Union
um CDU-Chef Friedrich Merz und die FDP um Finanzminister Christian Lindner wollen daher einen Entscheid aus dem Jahr 2011 zumindest aufschieben. Damals beschloss
Kanzlerin Angela Merkel den Atomausstieg bis 2022. Ende dieses Jahres sollen die drei verbliebenen Atommeiler in Bayern, BadenWürttemberg und Niedersachsen eigentlich vom Netz gehen.
Das Thema hat das Potenzial, die Regierung zu spalten. Denn Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck sehen die Möglichkeiten einer Laufzeitverlängerung nicht gegeben. Unter anderem wegen fehlender Brennstäbe. Habeck verweist zudem auf
die Gefahren alter Atommeiler: „Einem kleinen Beitrag zur Energieversorgung stünden große wirtschaftliche, rechtliche und sicherheitstechnische Risiken entgegen.“
In Wilhelmshaven hat Manager Holger Kreetz inzwischen in den Besprechungsraum gebeten. Er verweist darauf, dass der Ort, an dem von 1976 bis Ende vergangenen Jahres mehr als 58 Millionen Tonnen Steinkohle, vor allem aus Russland, zu Strom umgewandelt wurden, zu einem Vorzeigestandort für saubere Energie werden soll. Gas betrachtet Kreetz dabei als Brückentechnologie – vielmehr setzt Uniper in Zukunft auf grüne Energie aus Wasserstoff. Das Werk in Wilhelmshaven soll zu einem der größten
Wasserstoffstandorte Deutschlands umfunktioniert werden. Kreetz blickt aus dem Fenster: „Hier
haben wir die Nordsee direkt vor der Tür. Das ist der ideale Standort
für Wasserstoff.“