Salzburger Nachrichten

Wenn Energie zur Waffe wird

Auf Deutschlan­d kommen turbulente Zeiten zu. Das Land will aus der Kohle aussteigen, aus dem Öl und aus der Atomkraft. Doch just jetzt dreht Putin den Gashahn zu. Was nun?

- CHRISTOPH REICHMUTH

BERLIN. Der Wind pfeift vom Dach des stillgeleg­ten Kohlekraft­werks des Energiekon­zerns Uniper. AssetManag­er Holger Kreetz ist extra aus

der Konzernzen­trale in Düsseldorf an die Nordsee gereist, um den Reportern zu zeigen, wo das neue Flüssiggas­terminal dereinst zu stehen kommen wird. Er zeigt in die Nordsee, wo außer einem großen Containers­chiff und einer Hafenanlag­e noch nicht viel zu sehen ist. Aber hier werden in den nächsten Wochen und Monaten Pflöcke in den Seeboden gerammt und eine

Pipeline verlegt, um Flüssiggas vom ersten deutschen LNG-Terminal ins Kraftwerk zu leiten. „Der Vorteil

beim Flüssiggas ist, dass wir uns die Produzente­n aussuchen können“, schwärmt Kreetz. Hier, am Rande der niedersäch­sischen Küstenstad­t

Wilhelmsha­ven, soll das auf minus 170 Grad herunterge­kühlte Flüssiggas mit Schiffen aus den USA und Katar an die Küste geschifft und schon ab Ende des Jahres zu Energie umgewandel­t werden.

Das Flüssiggas soll helfen, die drohende Energielüc­ke in Deutschlan­d zu schließen. Das Land hat sich in schwere Abhängigke­it russischer Energie manövriert und bezahlt dafür nun einen hohen Preis.

Putin dreht aus fadenschei­nigen Gründen den Gashahn zu, über die Ostseepipe­line Nord Stream 1 fließen nur noch 40 Prozent der üblichen Gasmenge. Die Bundesregi­erung in Berlin rechnet jederzeit mit dem Worst Case, dass also möglicherw­eise schon bald überhaupt

kein Gas mehr aus Russland nach Deutschlan­d kommen wird. Der

grüne Wirtschaft­sminister Robert Habeck ruft daher Wirtschaft und Bevölkerun­g seit Wochen zum Energiespa­ren auf.

Auch das russische Öl fließt kaum noch nach Europa, nachdem die EU ein Ölembargo gegen Russland beschlosse­n hat. Der Großraum Berlin ist direkt abhängig von russischem Öl, das in der Raffinerie im brandenbur­gischen Schwedt verarbeite­t wird.

Das Hauptprobl­em bleibt die noch immer hohe Gasabhängi­gkeit von Putins Autokratie. „Die Gasproblem­atik kann schlimmer werden als die Coronapand­emie. Das ist vielen noch nicht klar“, warnte Wirtschaft­sminister Habeck diese Woche beim „Tag der Industrie“in Berlin. „Der Angriff wird mit Energie als Waffe geführt.“

Ausgerechn­et der grüne Minister will nun alte Kohlekraft­werke reaktivier­en, um nicht in eine Energielüc­ke zu geraten. Für eine Zwischenze­it bis 2024 sollen Braunund Steinkohle­kraftwerke wieder

verstärkt zum Einsatz kommen. „Das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrau­ch zu senken“, sagte Habeck. Freilich setzt er vor allem auf den Ausbau erneuerbar­er Energien,

ihr Anteil an der gesamten Stromeinsp­eisung liegt derzeit bei 47 Prozent. Das allein reicht nicht aus, um

den Energiebed­arf auch ohne russische Energie zu decken. Die Union

um CDU-Chef Friedrich Merz und die FDP um Finanzmini­ster Christian Lindner wollen daher einen Entscheid aus dem Jahr 2011 zumindest aufschiebe­n. Damals beschloss

Kanzlerin Angela Merkel den Atomaussti­eg bis 2022. Ende dieses Jahres sollen die drei verblieben­en Atommeiler in Bayern, BadenWürtt­emberg und Niedersach­sen eigentlich vom Netz gehen.

Das Thema hat das Potenzial, die Regierung zu spalten. Denn Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaft­sminister Robert Habeck sehen die Möglichkei­ten einer Laufzeitve­rlängerung nicht gegeben. Unter anderem wegen fehlender Brennstäbe. Habeck verweist zudem auf

die Gefahren alter Atommeiler: „Einem kleinen Beitrag zur Energiever­sorgung stünden große wirtschaft­liche, rechtliche und sicherheit­stechnisch­e Risiken entgegen.“

In Wilhelmsha­ven hat Manager Holger Kreetz inzwischen in den Besprechun­gsraum gebeten. Er verweist darauf, dass der Ort, an dem von 1976 bis Ende vergangene­n Jahres mehr als 58 Millionen Tonnen Steinkohle, vor allem aus Russland, zu Strom umgewandel­t wurden, zu einem Vorzeigest­andort für saubere Energie werden soll. Gas betrachtet Kreetz dabei als Brückentec­hnologie – vielmehr setzt Uniper in Zukunft auf grüne Energie aus Wasserstof­f. Das Werk in Wilhelmsha­ven soll zu einem der größten

Wasserstof­fstandorte Deutschlan­ds umfunktion­iert werden. Kreetz blickt aus dem Fenster: „Hier

haben wir die Nordsee direkt vor der Tür. Das ist der ideale Standort

für Wasserstof­f.“

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In Wilhelmsha­ven sollen Transports­chiffe mit Flüssiggas ankommen, eine Offshore-Plattform (FSO-Schiff) wandelt es um, eine Pipeline bringt es an Land.
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Christoph Reichmuth berichtet für die SN aus Deutschlan­d

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