Der Protest bekommt einen neuen Sound
Einer seiner Hits wurde die Hymne der Proteste in Belarus. Nun lehrt Ljawon Wolski am Mozarteum zum Auftakt eines großen Projekts.
Wie das friedliche Protestlied „Give Peace a Chance“als Punk-Hymne klingt? Oder in den Klangfarben des Reggae? Ljawon
Wolski hat es mit seinen Studierenden ausprobiert. In einem mehrtägigen Workshop, den er in den vergangenen Tagen an der Schauspielabteilung der Salzburger Kunstuniversität Mozarteum gegeben hat, ging es auch um die Möglichkeiten,
wie John Lennons Klassiker neu zum Klingen gebracht werden
könnte. Protestsongs sind das Thema, das der Rockmusiker aus Belarus als „Artist in Residence“in Salzburg mit zwei Gruppen erarbeitet.
Die Gruppe, mit der er „Give Peace a Chance“beleuchtet habe, erzählt Ljawon Wolski im Gespräch, sei mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Österreich, Deutschland und China international besetzt. In einer zweiten Gruppe habe er mit 15 Studierenden aus der
Ukraine gearbeitet: „Für sie schrieb ich einen neuen Song, den wir arrangiert und vom Belarussischen ins Ukrainische übersetzt haben.“
In seiner Heimat Belarus ist der 56-jährige Wolski einer der bekanntesten Rockstars. Seine Songtexte
verfasst er nicht auf Russisch, sondern in der belarussischen Sprache.
Als „popmusikalische Vaterfigur der belarussischen Identität“hat ihn die FAZ einmal bezeichnet.
In einem Land, das gleichsam diktatorisch regiert wird, ist Bekanntheit allerdings schnell mit Bedrohung verbunden. Seit 2004 „stand ich die meiste Zeit auf schwarzen Listen“, sagt Wolski. Seine Musik hat regelmäßig die Protestwellen begleitet, die sich gegen den Machthaber Lukaschenko aufgebaut hatten. Seit 2020, dem Jahr der Wiederwahl Lukaschenkos, in dem der immer breitere Protest mit
massiver Staatsgewalt niedergeschlagen wurde, habe es aber auch
kaum noch Sinn, sich über schwarze Listen den Kopf zu zerbrechen:
„Aktuell gibt es fast keine Bands
mehr, die nicht auf einer solchen Liste stünden.“Die Situation im Land habe sich 2020 so verschärft, „dass selbst Musiker, die sich bis dahin stets als unpolitisch deklariert und lieber bloß über die Liebe gesungen hatten, nicht mehr unbeteiligt daneben stehen konnten.“
Popmusik spielte bei den Kundgebungen eine wichtige Rolle: „Wir formierten mobile Bands, um
schnell an verschiedenen Orten auftreten zu können, oder gaben Konzerte in Innenhöfen“, erzählt
Wolski. Und ein Hit seiner Ex-Band N.R.M. wurde 2020 zur Hymne der
belarussischen Protestbewegung: Der Song „Drei Schildkröten“hatte alles, was ein Protestlied braucht: „Er ist einfach zu spielen und hat
klare Worte, darum haben ihn die Leute auf der Straße oft gesungen.“
Die jüngste Geschichte der Proteste und ihrer Songs sei in den
Workshops in Salzburg ebenfalls Thema gewesen: „Die Möglichkeit, mit Studierenden aus der Ukraine zu arbeiten und mit allen anderen Teilnehmern, die so viel Engagement mitbringen, ist großartig.“
Damit wiederum ist auch ein Ziel umrissen das die Universität mit der Initiative verfolgt: Wolskis Arbeit als „Artist in Residence“ist Teil eines Projekts mit dem Titel „Practicing Care“. An dessen Beginn sei die Frage gestanden, wie das Mozarteum Zeichen setzen könne, „wenn in Europa Dinge passieren, die demokratische Werte bedrohen“, erläutert der Dramaturgie-Professor und Senatsvorsitzende Christoph Lepschy. „Probleme in Ungarn, Polen, Belarus oder der Ukraine betreffen uns alle.“Kunst sei nicht von der
Welt entkoppelt, „als Kunstuniversität haben wir eine gesellschaftliche Verantwortung“. Die Verleihung einer Ehrenprofessur an die in Belarus inhaftierte Musikerin Maria Kalesnikava sowie die Präsentation von Aliaksei Paluyans Film „Courage“über die Proteste von 2020 (24. 6., Kunstquartier, 20 Uhr)
gehören zu den Eckpfeilern des Projekts „Practicing Care“, mit dem das Mozarteum Wege sucht, „wie wir
unterstützen und Zusammenarbeit anbieten können“.
Im Herbst will auch Ljawon Wolski wiederkommen: Dann werde er
mit den Studierenden eigene Protestsongs schreiben, sagt der Musiker. „Und vielleicht können wir dann auch unsere Versionen von ,Give Peace a Chance‘ aufnehmen.“