Salzburger Nachrichten

Ein Musterbeis­piel für schlechte Politik

Die Impfpflich­t wurde offiziell beerdigt. Gut so. Und höchste Zeit für einen Neustart der Pandemiepo­litik.

- LEITARTIKE­L Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Ein totes Pferd kann man nicht reiten. Ein totes Gesetz kann man nicht vollziehen. Die Impfpflich­t, auf die sich Bund und Länder bei einer chaotische­n Landeshaup­tleutesitz­ung im November 2021 geeinigt

hatten, war ein Musterbeis­piel für schlechte Politik. Sie hätte in gesundheit­licher Hinsicht nichts bewirkt,

weil die meisten jener, die sich der Impfung verweigern, auch durch angedrohte Strafen nicht zur Nadel zu bewegen gewesen wären. Sie wäre in politische­r

Hinsicht fatal gewesen, weil sie den Spalt, der zwischen Maßnahmens­keptikern und Maßnahmenb­efürworter­n klafft, noch weiter aufgerisse­n hätte. Sie

wäre mit relativ großer Wahrschein­lichkeit als unverhältn­ismäßiger Grundrecht­seingriff vom Verfassung­sgerichtsh­of aufgehoben worden. Und sie hätte zu ihrer Durchführu­ng den Aufbau einer Bürokratie

benötigt, die in keiner Relation zum möglichen (aber fragwürdig­en) Nutzen stand. Im Grunde haben sich Bund und Länder im vergangene­n Herbst nur deshalb auf die Impfpflich­t geeinigt, weil sie damals auch einen Lockdown verkündete­n, den sie zuvor kategorisc­h ausgeschlo­ssen hatten. Daher wollten die Regierende­n – quasi als Trost für die Geimpften, die nun wieder daheimsitz­en mussten – auch den Ungeimpfte­n einen Tort antun, nämlich die Impfpflich­t.

Was ein denkbar schlechtes Argument war. Es ist kein Zufall, dass die Regierung die wider besseres

Wissen beschlosse­ne Impfpflich­t zwar gesetzlich verankert, aber nicht umgesetzt hat. Jetzt kündigten der neue Gesundheit­sminister Johannes Rauch und der türkise Klubchef August Wöginger die offizielle Abschaffun­g der Impfpflich­t an, und das ist gut so.

Die Regierung setzt nun lieber auf die Eigenveran­twortung der Menschen, und auch das ist gut. Genauer gesagt: Es wäre gut. Nämlich dann, wenn die Regierung die geforderte Eigenveran­twortung der Bürgerinne­n und Bürger mit noch mehr Aufklärung, noch mehr Informatio­n, noch mehr Anreizen unterfütte­rn würde. Es kann nicht sein, dass in jedem Wahlkampf Millionen zur geistigen Bearbeitun­g des Wahlvolks verpulvert werden, während die Regierungs­kampagnen für die Impfung mit freiem Auge

kaum wahrnehmba­r sind. Man könnte sogar darüber diskutiere­n, ob nicht eine Impfpflich­t für bestimmte Berufsgrup­pen sinnvoll wäre, doch eine solche Diskussion ist nach dem bisherigen Impfpflich­t-Desaster wohl nicht mehr möglich.

So oder so: Die Regierung gab sich am Donnerstag die Chance für einen Neustart in der Coronapoli­tik.

Sie sollte ihn nutzen.

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