Salzburger Nachrichten

Die Nächsten im Wartesaal der EU

- SN-pack, tro, schwi, dpa

Die Staats- und Regierungs­chefs der EU haben der Ukraine und Moldau bei ihrem Gipfeltref­fen am Donnerstag den offizielle­n Status als Beitrittsk­andidaten verlieren. Andere Staaten gingen mit ihren Forderunge­n in Brüssel leer aus.

BELGRAD. EU-Ratspräsid­ent Charles Michel ging schon vor

Beginn der Beratungen davon aus, dass der EU-Gipfel sowohl der

Ukraine als auch Moldau den EUBeitritt­skandidate­nstatus verleihen

würde. Der Belgier sprach von einem „historisch­en Augenblick“.

Gegen 20.20 Uhr kam dann dieser historisch­e Moment. Zumindest

twitterten da die ersten Regierungs­chefs über die Entscheidu­ng. „Es ist der nächste Schritt in ihrem europäisch­en Traum“, beschrieb Lettlands Ministerpr­äsident Krisjanis Karins die Entscheidu­ng. EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen kommentier­te: „Heute ist ein guter Tag für Europa.“

Auch der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz sprach von einem historisch­en Treffen der Staatsund Regierungs­chefs. Dabei mahnte er aber nachdrückl­ich Reformen ein, um die Aufnahme neuer Mitglieder zu ermögliche­n. Die EU müsse sich „erweiterun­gsfähig“machen. Dazu gehöre auch, das Prinzip der Einstimmig­keit für einige Entscheidu­ngen aufzuheben.

Als sich die 27 Staats- und Regierungs­chefs der EU am Donnerstag­nachmittag zu ihren Beratungen zurückzoge­n, traten wenige Meter entfernt drei Staats- und Regierungs­chefs nach vorn ans Podium: Der albanische Premier Edi Rama, der serbische Präsident Aleksandar

Vučić und der nordmazedo­nische Premier Dimitar Kovačevski sprachen nach dem Westbalkan­gipfel, der am Vormittag begonnen hatte, zur Presse.

Die gemeinsame Konferenz mit Von der Leyen, Michel und Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron

war kurzfristi­g abgesagt worden, offiziell aus Zeitgründe­n. Als weiteres Symptom für das Versagen der EU wertete das Edi Rama. Zuvor sagte er bereits: Viele hier würden sagen, Putin sei möglicherw­eise

krank. Das könne sein, aber „mit Sicherheit sieht auch dieser Ort nicht sehr gesund aus“.

Anders als Rama bedankte sich Vučić ausdrückli­ch für die Unterstütz­ung auf dem Weg in die EU. Doch auch er betonte: „Es gab keine konkreten Ergebnisse.“Der Kosovo habe keine Visalibera­lisierung bekommen, Bosnien-Herzegowin­a keinen Kandidaten­status und Albanien

und Nordmazedo­nien kein Datum für den Start von Beitrittsv­erhandlung­en.

Besonders die Blockade Bulgariens gegen den Start dieser Gespräche hatte für Ärger gesorgt. Zwischenze­itlich drohten die betroffene­n Staaten, den Gipfel zu boykottier­en.

Von einer „Schande“sprach Rama, ein NATO-Land (Bulgarien)

halte zwei andere NATO-Länder (Albanien und Nordmazedo­nien) als Geiseln.

Jahrelang war es Griechenla­nd gewesen, das den nordmazedo­nischen Nachbarn das Recht auf den eigenen Landesname­n streitig

machte – und die EU-Annäherung

Skopjes nach Kräften blockierte. Doch auch die 2019 erfolgte Umbenennun­g in Nordmazedo­nien hat nicht die ersehnte EU-Annäherung

beschert – worauf der albanische Premier am Donnerstag in Brüssel

hinwies und für das Engagement der Nordmazedo­nier eine Lanze

brach. „Stellen Sie sich vor, Frankreich änderte seinen Namen, um ein Mitgliedss­taat zu werden“, verdeutlic­hte er den Einsatz der Nordmazedo­nier.

Doch erst trat 2019 die deutsche CDU/CSU auf die Erweiterun­gsbremse, dann Frankreich und seit 2020 nun eben Bulgarien: Sofia spricht den Nachbarn die eigene

Identität und Sprache ab – und will sie zu umfassende­n Verfassung­sänderunge­n zwingen.

Der Ukraine-Krieg hat in der Europäisch­en Union zwar die Ängste

vor einer Ausweitung des russischen Einflusses auf dem von ihr

lange vernachläs­sigten Westbalkan

genährt. Doch die Hoffnung auf eine neue Dynamik bei der EU-Erweiterun­g scheint angesichts der Hängeparti­e in Sofia vergeblich.

Während Albanien bis zum nächsten EU-Gipfel versuchen dürfte, den Auftakt der eigenen Beitrittsv­erhandlung­en von denen der mazedonisc­hen Nachbarn zu entkoppeln, machen sich in Skopje zunehmend Ratlosigke­it und Resignatio­n

breit. „Wir können nicht in dieser Situation stecken bleiben“, sagte Kovačevski in Brüssel.

Österreich­s Bundeskanz­ler Karl Nehammer (ÖVP) hatte beim Westbalkan­gipfel in Brüssel für den EUBeitritt­sprozess „gleiche Regeln für alle“gefordert. Konkret pocht Österreich darauf, dass auch BosnienHer­zegowina der Status eines Beitrittsk­andidatenl­andes erteilt wird,

wie der Ukraine. Laut EU-Ratskreise­n soll dafür ein Datum im kommenden Herbst zur Diskussion stehen.

„Wir können nicht in dieser Situation stecken bleiben.“Dimitar Kovačevski, Nordmazedo­nien

 ?? BILD: SN/APA/AFP/KENZO TRIBOUILLA­RD ?? Demonstrie­rende forderten in Brüssel am Rande des EU-Gipfels Unterstütz­ung für die Ukraine.
BILD: SN/APA/AFP/KENZO TRIBOUILLA­RD Demonstrie­rende forderten in Brüssel am Rande des EU-Gipfels Unterstütz­ung für die Ukraine.

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