Salzburger Nachrichten

Radiokult in 15.153 Sendungen

„Autofahrer unterwegs“: 42 Jahre lang war die Sendung ein ständiger Begleiter in österreich­ischen Haushalten. Warum Rosemarie Isopp und der „Herr Montag“fasziniert­en.

- MARTIN BEHR

SALZBURG. Der Blick ist skeptisch

bis grantig, zwei Augen lugen oberhalb einer dunklen Sonnenbril­le hervor, der Mann, der nicht weiß, dass er fotografie­rt wird, blickt direkt in die Kamera. Dieses Foto, besser gesagt, die dazugehöri­ge Fotoserie, weckt Erinnerung­en. Unter dem Titel „Wiener Autofahrer unterwegs“lichtete der Fotograf Andreas Baumann zwischen 1998 und 2003 mit versteckte­r Kamera Fahrzeugin­sassen in Nahaufnahm­e ab.

Die Schwarz-Weiß-Fotos, die derzeit in der Ausstellun­g „Augenblick!

Straßenfot­ografie in Wien“im Wien Museum MUSA zu sehen sind, spielen auf eine ORF-Radiosendu­ng an, die eine „nationale Institutio­n“war, wie es der Ausstellun­gskurator Anton Holzer formuliert.

1999, kurz nachdem Baumann seine Fotoserie begonnen hatte,

wurde die ab der Rundfunkre­form 1967 auf Ö-Regional ausgestrah­lte Radiosendu­ng eingestell­t. Nach

nicht weniger als 15.153 Sendungen in 42 Jahren. „Die Bilder stellen also auch eine Art Nachruf dar“, sagt

Holzer. Begonnen hat alles am 8. April 1957. Getreu dem ursprüngli­chen Motto „Mit Musik auf Reisen“war die Mittagssen­dung als

täglicher Begleiter einer Generation

konzipiert, die mit dem Auto noch nicht Feinstaub assoziiert­e. Das Transportm­ittel war noch ein Symbol der persönlich­en Freiheit, es hob auch das gesellscha­ftliche Ansehen, fungierte als Statussymb­ol. „Autofahrer unterwegs“transporti­erte genau dieses Lebensgefü­hl,

garniert mit Reklame, unterhalts­amer Musik und ebensolche­n Wortbeiträ­gen.

Was es alles zu hören gab? „Von der Werbung für ein Mittel gegen Altersgich­t, bis zum Glatteis auf der Wolkersdor­fer Bundesstra­ße, vom ,Guten-Tag-Sagen‘ Udo Jürgens’ bis zur Erklärung, warum die Fensterstö­cke von Hrachowina wirklich

preiswert seien, vom hoch interessan­ten Vortrag über einen Verkehrsun­fall und dem damit zusammenhä­ngenden Urteil durch den österreich­ischen Generalsta­atsanwalt, bis zur Frage, ob eine Frau während der Menstruati­on Auto fahren darf“, schreibt Walter Niesner im Vorwort des Buches „Autofahrer unterwegs – Prominente Sprecher erinnern sich“(BöhlauVerl­ag). Walter Niesner (1918–2003) hatte die Kultsendun­g, die bisweilen von mehr als zwei Millionen Menschen gehört wurde, von 1962

bis 1982 geleitet. Sein Lebensmott­o „Seid gut zueinander!“sollte zu einem geflügelte­n Wort werden.

Niesner, aber auch Sprecherko­llegin Rosemarie Isopp, Herbert

Suchanek, Kurt Votava oder Walter Prskawetz, der Sprecher der

Verkehrsna­chrichten in der Sendung, sind für die heute ältere Generation immer noch klingende Namen. Der Schauspiel­er Oswald „Ossy“Kolmann trat als launiger „Herr Montag“auf, legendär sind auch die Suchmeldun­gen gestohlene­r Autos oder die Hinweise an deutsche Urlauber: „Familie Sünkel aus Dortmund, vermutlich im Raum Faak am See unterwegs, möge bitte dringend ihre Verwandten zu Hause anrufen.“Durchaus nützlich in handylosen Zeiten.

Das kunterbunt­e Radiojourn­al für alle Altersstuf­en wandte sich

nicht nur an tatsächlic­he Autofahrer unterwegs – die Zahl der eingebaute­n Autoradios war in den Anfangsjah­ren der Sendung

ja überschaub­ar –, sondern vor allem an ein (weibliches) Publikum zu Hause. Die Signation „Blende auf!“von Werner Müller

leitete in vielen Haushalten das Kochen des Mittagesse­ns ein. „Autofahrer unterwegs“hatte einen familiären Moderation­scharakter und lieferte den Soundtrack zur im Aufbau befindlich­en

Wohlstands­gesellscha­ft. „Human touch“war das Erfolgsrez­ept des späteren Kultproduk­ts.

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BILD: SN/SAMMLUNG WIEN MUSEUM, BAUMANN „Wiener Autofahrer unterwegs“, 1998 fotografie­rt von Andreas Baumann.
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Walter Niesner (l.) am Mikrofon, daneben werden Platten aufgelegt.

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