Salzburger Nachrichten

Zu viel Druck

Im Krankensta­nd, weil man nicht mehr kann: Das gibt es nicht nur in der Politik. Auch im Job sehen sich zuletzt viele überlastet. Pandemie und dann folgender Mitarbeite­rmangel haben die Lage verschärft.

- REGINA REITSAMER Birgit Artner,

SALZBURG. Keine Kraft mehr, das

kennt Benedikt Binder-Krieglstei­n aus eigener Erfahrung. Der Chef des

Messeveran­stalters RX Austria (ehemals Reed) entschied, offen

damit umzugehen. „Ich hab meinen Mitarbeite­rn erklärt, dass ich nicht mehr kann, und bin vergangene­n

August fünf Wochen in Vorarlberg auf die Alm gegangen.“

Eigentlich keine Arbeit zu haben, weil alle Messen und Kongresse abgesagt werden, und dennoch immens unter Druck zu stehen, um abzusagen, umzuplanen und neu

zu denken, das müsse kein Mensch aushalten, sagt Binder-Krieglstei­n. RX ist mit 400 Mitarbeite­rn nicht

nur in Salzburg für rund die Hälfte der Messen im Messezentr­um zuständig, sondern auch in Wien Betreiber des Messezentr­ums. „Binnen Tagen ein Covid-Notzentrum aus dem Boden zu stampfen und durch einstige Messehalle­n zu gehen, die als Bettenlage­r wie im Kriegsgebi­et ausschauen, das

macht was mit Mitarbeite­rn.“Und dann auf Knopfdruck wieder hochzufahr­en, weil die Wirtschaft wieder anspringt, „das ist ein bisschen,

wie wenn sie zwei Jahre keinen Sport betreiben und dann sollen sie

vom Stand aus einen Marathon schaffen.“Etliche Mitarbeite­rinnen

und Mitarbeite­r habe das überforder­t, die Zahl der Krankenstä­nde

wegen Burn-outs sei gestiegen. Und darüber müsse man sich auch trauen zu reden, ist Binder-Krieglstei­n überzeugt. Für die 400 Mitarbeite­r

von RX gebe es an allen Standorten in Salzburg, Wien und Düsseldorf

mittlerwei­le eine Vereinbaru­ng mit einem Psychologe­n, den Angestellt­e anonym und ohne Kosten besuchen können. Für Führungskr­äfte sind Schulungen verpflicht­end.

Dass die belastende­n Monate in der Coronapand­emie und zuletzt

noch der Mitarbeite­rmangel Folgen zeigen, bemerkt man auch beim Arbeitsmed­izinischen Dienst in Salzburg (AMD). „Wenn überall Leute fehlen, werden die, die noch arbeiten, oft überlastet“, sagt die leitende Arbeitspsy­chologin des AMD, Birgit Artner. Dazu komme, dass Homeoffice das Krankensta­ndswesen generell verändert habe. „Wenn sich

heute jemand nicht gut fühlt, sagt er schnell: Dann arbeite ich halt von zu Hause aus. Früher war er einfach krankgesch­rieben.“Die Erholung komme da zu kurz, sagt Artner.

Auf Frauen habe sich die Pandemie teils stärker ausgewirkt, sagt die Expertin. „Corona hat den Rückfall in alte Geschlecht­errollen begünstigt: Der Mann ging oft ins Büro, die Frau musste neben Homeoffice auch noch Homeschool­ing und Haushalt schupfen.“Stark betroffen sieht Artner aber auch die mittlere Führungssc­hicht wie Abteilungs­leiterinne­n und Abteilungs­leiter. „Zum Druck von überforder­ten Mitarbeite­rn von unten kam da noch der Druck von fordernden Chefs

von oben. Und im Homeoffice haben sie meist noch mehr gearbeitet als zuvor im Büro.“

Im Laufe der Monate habe sich die Pandemie zudem unterschie­dlich ausgewirkt. „War der erste Lockdown für manche fast noch eher entspannen­d, weil man einfach nach Hause verbannt war, so

hat sich das dann radikal verändert.“Die weiteren Lockdowns waren für die meisten mit weiterarbe­iten verbunden, und das nicht nur unter erschwerte­n Bedingunge­n

wie Maske, Abstandsre­geln und Kontrollen. „Zugleich sind alle Ausgleichs­aktivitäte­n weggefalle­n“, betont Artner. „Kein Fitnesscen­ter,

kein Yoga, kein erholsamer Plausch mit der Freundin bei einem Glaserl Wein am Abend.“

Betroffen seien längst nicht mehr nur einzelne Branchen wie der Pflegebere­ich

oder der Einzelhand­el, sondern „eigentlich alle Berufe“. Lehrkräfte etwa seien durch parallel laufenden Onlineund Präsenzunt­erricht vor immensen Herausford­erungen gestanden. „Direktorin­nen mussten das auch noch managen.“Aber auch in der Industrie waren die Belastunge­n hoch.

Die Zahl der psychische­n Erkrankung­en, die zu Krankenstä­nden führen, ist seit Jahren im Steigen. Hatten im Jahr

2000 erst 3,6 Prozent der Krankenstä­nde psychische Erkrankung­en zur Ursache, waren es 2014

bereits 9,4 Prozent. Gab es danach einige Jahre eine Stagnation, so stiegen die Zahlen schon 2019 und 2020 wieder stark an, sagt Wifo-Expertin Christine Mayrhuber, die für den Dachverban­d der Sozialvers­icherungst­räger jährlich den Fehlzeiten­report erhebt. 13 Tage ist demnach jeder Österreich­er im Schnitt pro Jahr im Krankensta­nd. Die jüngsten Daten freilich stammen aus 2020, und die seien wenig aussagekrä­ftig, weil Lockdowns und Kurzarbeit das Bild der Krankenstä­nde verzerrt hätten, sagt Mayrhuber. Erhoben werden vom

Wifo zudem nur Krankenstä­nde wegen psychische­r Erkrankung­en. „Burn-out gibt es in den Daten nicht als eigene Diagnose.“Hier exakte

Aussagen zu treffen, sei schwer.

Woran ein Chef oder Kollege erkenne, dass jemand Burn-out-gefährdet sei? „Wenn sich jemand verändert“, sagt Arbeitspsy­chologin

Artner, plötzlich untypische Fehler mache, unzuverläs­sig sei oder häufig kurzfristi­g einzelne Urlaubstag­e

brauche. Und was sollte man dann tun? „Unbedingt anreden“, rät Artner. „Der typische Duracell-Hase merkt es oft gar nicht, dass er nur noch automatisc­h dahinhoppe­lt.“

Die Zahl der Unternehme­n, die frühzeitig reagieren und auch bei

psychische­n Problemen, Burn-out oder Überlastun­g auf Prävention setzen, werde im Übrigen immer

größer. Betrieblic­he Gesundheit zu fördern und Führungskr­äfte zu schulen, um mit dem Thema besser

umgehen zu können, seien richtige Schritte. „Wichtig ist aber auch, die

Arbeitsmen­ge den Ressourcen anzupassen“, betont Artner. Dass das angesichts Mitarbeite­rmangels Betrieben derzeit schwerfall­e, räumt sie ein. „Ich kann aber halt nicht jeden Auftrag annehmen, wenn ich die Mitarbeite­r dafür nicht habe.“

„Homeoffice hat viel verändert.“

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Arbeitspsy­chologin
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BILD: SN/ADOBE STOCK

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