Schilf und Lehm schützen gegen Lärm
Herkömmliche Lärmschutzwände sind nach ihrer Nutzung Sondermüll. Ein Start-up will nun eine ökologische Variante auf den Markt bringen. Der Prototyp steht entlang der A22 – seit zwölf Jahren.
Wer auf der Donauufer-Autobahn von Wien nach Niederösterreich fährt, richtet seinen Blick selten auf die Lärmschutzwände. Dabei gibt es da einiges zu sehen: Seit zwölf Jahren düsen die Autos einen Kilometer lang an Schilfmatten und Lehm vorbei, die Lärm dämmen wollen.
Das Projekt sei ursprünglich die Idee ihres Vaters gewesen, erzählt Birgit van Duyvenbode. In einem EU-Forschungsprojekt hat der oberösterreichische Sägewerksbesitzer erfahren wollen, wie thermisch behandeltes Holz eingesetzt werden kann. Das Holz wird dabei vorverkohlt, also erhitzt, wodurch es danach kaum mehr Feuchtigkeit aufnehmen kann. Konventionelle
Lärmschutzwände bestehen aus chemisch imprägniertem Holz, Mineralwolle, Aluminium, Holzbeton. Das sei problematisch, die Produktion sei CO2-intensiv, nach 20 Jahren würden die Wände Sondermüll. „Wir wollen, anstatt CO2 auszustoßen, CO2 speichern“, sagt Birgit van Duyvenbode.
Die 29-jährige Oberösterreicherin hat deshalb das Start-up REEDuce
gegründet. Die Rohstoffe, die sie für die ökologischen Lärmschutzwände verwendet, wachsen
nach – und entziehen dabei CO2 aus der Luft.
Das thermisch behandelte Holz, Schilf vom Neusiedlersee und Lehm verringerten zudem Lärm, sagt van Duyvenbode. Das zeige der Prototyp, den ihr Vater vor zwölf
Jahren entlang der A22 aufbaute:
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„Es wollte keiner glauben, dass unsere Lärmschutzwand so lang hält.“
Es habe ihr keine Ruhe gelassen, dass die Innovation nicht in die Realität umgesetzt wurde. „Es ist aus ökologischer Sicht extrem machenswert. Ich dachte mir: Wenn
keiner es machen will, muss ich es tun.“Dafür gab die 29-Jährige auch ihre Karriere als Diplomatin auf: Sie hatte zuvor internationale Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität
in Wien studiert, danach einen Master in Umwelttechnik gemacht sowie die diplomatische Akademie besucht.
Innerhalb der zwölf Jahre haben sich jedoch die Normen für die Marktzulassung von Lärmschutzwänden geändert. Deshalb entwickelt van Duyvenbode gemeinsam mit der FH Salzburg den Prototyp
weiter. Maximilian Pristovnik ist Lektor für Holztechnologie an der Fachhochschule. Er untersucht,
welche Ausführung der Schilfmatten am meisten Schall absorbiert. Ein Hersteller im Burgenland baut dafür Prüfkörper, die dann im akustischen Labor der Technischen Universität Graz getestet werden. Der 48-Jährige war aber auch vor zwölf
Jahren dabei, als die Idee das erste Mal aufkam. „Schilf ist ein sehr interessanter Rohstoff, der nicht so
leicht abbaut, nicht so leicht verfeuerbar ist.“Die Wände müssten nicht
nur Anrainer vor Lärm schützen, sondern auch einiges aushalten: Die statische Festigkeit werde etwa geprüft, indem Fahrzeuge gegen den Prototyp prallen.
Von der Idee sollten auch Insekten profitieren, erzählt Pristovnik.
Auf der Rückseite der Wände könnten kleine Tiere einziehen: „Die Schilfmatten könnten wir so gestalten, dass sie für Insekten zugänglich sind – und positiv für die Biodiversität genutzt werden können.“
Das Schilf, das das Start-up REEDuce verwendet, werde am Neusiedlersee geschnitten. „Es gibt nur
mehr einen Schneider, der den Rohstoff erntet“, erzählt van Duyven
bode. Dabei sei es wichtig, dass die Pflanzen jedes Jahr geschnitten
werden. „Altes Schilf wird so dicht, dass darin keine Vögel brüten können. Es wird brüchig, fliegt um, ist
brandgefährlich oder versumpft.“Ohne die Ernte werde das Schilf zum toten Lebensraum.
Den Lehm bezögen sie aus Österreich, erzählt die Gründerin. Den Rohstoff setze sie jedoch nicht nur zur Dämmung ein. „Es ist bewiesen,
dass Lehm Feinstaub aus der Luft absorbiert“, sagt die 29-Jährige. Es könnte also sein, dass Lehm die kleinen Partikel entlang der Straße
bindet. „Wir müssen aber erst nachmessen, wann der Rohstoff gesättigt ist beziehungsweise wie sehr das die Luftqualität verbessert.“
2023 sollen die ökologischen Lärmschutzwände auf den Markt
kommen. Allein in Österreich werden jedes Jahr so viele Lärmabsorber errichtet, dass damit auch 50 Fußballfelder ausgelegt werden
könnten. „Wenn man sich umsieht, sieht man sie plötzlich überall“, sagt van Duyvenbode. „Lärmschutzwände gibt es nicht nur an Straßen, sondern auch entlang der Bahn, Flughäfen, Industrie, Fabriken, Supermarktparkplätze.“
Würde jedoch künftig jegliche Beschallung durch ökologische
Wände gedämmt werden, wäre das Schilf am Neusiedlersee bald abgeerntet, ergänzt Maximilian Pristovnik. „Es ist wichtig, die Entwicklung nicht als Weltrettung zu begreifen. Es sind lauter kleine Schritte, die
langfristig zu dem Umbau führen, der in unserem Wirtschaften notwendig ist.“
„Wir wollen auch CO speichern.“ „Schilf ist nicht leicht verfeuerbar.“M. Pristovnik,