Wir allein sind einfach zu wenig
Der Fachkräftemangel in Österreich hat viele Ursachen. Eine davon liegt in der demografischen Entwicklung.
Das beliebte Restaurant könnte sich der Gäste gar nicht erwehren, hat aber dennoch zu Mittag geschlossen. Ausgekocht wird nur noch am Abend. Der Grund: zu wenig Personal. Die geplanten und gut gebuchten Flüge
von Salzburg nach Korfu und Lamezia Terme können nicht durchgeführt werden. Sowohl zu Boden als auch in der Luft fehlen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um sichere Flüge gewährleisten zu können. Der
verlässliche Handwerker vertröstet den Interessenten für eine Photovoltaikanlage aufs nächste Jahr. Nicht nur Lieferprobleme, sondern auch akuter Fachkräftemangel ist einer der Gründe. Es hapert trotz aller Bemühungen auch bei der Programmierung von Abwehrsystemen gegen Cyberangriffe oder bei der Zustellung von Frischware. In Spitälern müssen ganze Abteilungen schließen, in Sozialzentren
werden Stockwerke gesperrt. Überall fehlen Leute. Ein ganzes Land sucht Mitarbeiter.
Was mit der Covidpandemie beginnend zunächst wie ein punktuelles Phänomen einzelner Branchen aussah, hat sich zum Flächenbrand entwickelt. Österreich ist über Nacht in vielen Bereichen zur Dienstleistungswüste mutiert. Wo
bisher freundliches, vom Servicegedanken geprägtes Entgegenkommen geherrscht hat, schlägt einem nun gähnende Leere entgegen. An allen Ecken und Enden fehlen Arbeitskräfte. Die Frage ist, wo sind sie geblieben?
Zu den Fakten: Noch nie gab es in Österreich so viele offene Posten
wie jetzt. Anfang Juni waren es
knapp 140.000. Gleichzeitig gab es zuletzt vor 15 Jahren so wenige Arbeitslose wie heute: zirka 235.000. Wenn man der Ordnung halber die Menschen dazuzählt, die eine
Schulung des AMS durchlaufen, sind insgesamt rund 312.000 ohne Job.
Die Gründe für schütter besetzte Wirtshausküchen, Blumenläden, Softwarefirmen, Installateurbetriebe oder gynäkologische Abteilungen sind vielfältig. Manche Branchen zahlen ganz einfach schlecht,
manche haben zur Spitze der Pandemie die Mitarbeiter nach Hause
geschickt, sich nicht um sie gekümmert und damit für immer verloren. Die Luftfahrt war auf die Öffnung
nicht vorbereitet und kann ihre Kunden nicht ordentlich bedienen.
Dabei hält sie noch immer Mitarbeiter in Kurzarbeit. Ein Treppenwitz.
Covid hat bei vielen Menschen ein Umdenken bewirkt. Arbeit und Geld bedeuten ihnen nicht mehr alles. Trotz Teuerung. Die soll dann halt der Staat auffangen. Neue Teilzeitund Homeoffice-Modelle beflügeln den Mangel. Verbleibende
Vollzeitkräfte müssen für die anderen mitarbeiten, sind über kurz oder lang überlastet und brennen aus. Ein Teufelskreis.
Die Zeiten, in denen sich Unternehmen nach Belieben auf dem freien Arbeitsmarkt bedienen
konnten und die Interessenten vor den Werkstoren Schlange gestanden sind, sind längst vorbei. Wer
heute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
halten oder gewinnen will, muss sich einem harten Wettbewerb um die besten Köpfe stellen. Den gewinnt man nicht mehr mit Geld, sondern es spielen zunehmend „weiche“Faktoren wie Gesundheitsvorsorge, Freizeitmöglichkeiten sowie menschliche Komponenten, Wertschätzung und Sinnstiftung eine große Rolle.
Selbst wenn wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, werden wir am Ende nicht genug sein. Die demografische Entwicklung Österreichs ist besorgniserregend. Der Anteil an Senioren über 65 steigt seit Jahren
unaufhaltsam. Diese Gruppe war zuletzt erstmals größer als die der
unter 20-Jährigen. Das bedeutet: Die Babyboomer-Generation geht in Pension, aber es kommen zu wenige junge Arbeitskräfte nach.
Die Konsequenz liegt auf der Hand. Das Einwanderungsland Österreich, in dem seit rund 40 Jahren
mehr Menschen zuwandern als abwandern, muss seine Tore noch
weiter für qualifizierten Zuzug öffnen als bisher. Die erste Adresse sind Menschen aus der Europäischen Union, die in der Pandemie
wieder nach Hause gegangen und nicht mehr wiedergekommen sind. Ihr Fehlen spüren wir momentan besonders.
Das Werben für den Arbeitgeber Österreich darf nicht an den EUGrenzen haltmachen. Wollen wir den Beschäftigtenstand ausbauen
und damit unser Sozialsystem vor dem Bankrott schützen, müssen
wir viele Menschen dafür gewinnen, dass sie hier nicht nur arbeiten, sondern auch leben wollen.
Werben für den Arbeitgeber Österreich