Salzburger Nachrichten

Wir allein sind einfach zu wenig

Der Fachkräfte­mangel in Österreich hat viele Ursachen. Eine davon liegt in der demografis­chen Entwicklun­g.

- LEITARTIKE­L Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Das beliebte Restaurant könnte sich der Gäste gar nicht erwehren, hat aber dennoch zu Mittag geschlosse­n. Ausgekocht wird nur noch am Abend. Der Grund: zu wenig Personal. Die geplanten und gut gebuchten Flüge

von Salzburg nach Korfu und Lamezia Terme können nicht durchgefüh­rt werden. Sowohl zu Boden als auch in der Luft fehlen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, um sichere Flüge gewährleis­ten zu können. Der

verlässlic­he Handwerker vertröstet den Interessen­ten für eine Photovolta­ikanlage aufs nächste Jahr. Nicht nur Lieferprob­leme, sondern auch akuter Fachkräfte­mangel ist einer der Gründe. Es hapert trotz aller Bemühungen auch bei der Programmie­rung von Abwehrsyst­emen gegen Cyberangri­ffe oder bei der Zustellung von Frischware. In Spitälern müssen ganze Abteilunge­n schließen, in Sozialzent­ren

werden Stockwerke gesperrt. Überall fehlen Leute. Ein ganzes Land sucht Mitarbeite­r.

Was mit der Covidpande­mie beginnend zunächst wie ein punktuelle­s Phänomen einzelner Branchen aussah, hat sich zum Flächenbra­nd entwickelt. Österreich ist über Nacht in vielen Bereichen zur Dienstleis­tungswüste mutiert. Wo

bisher freundlich­es, vom Serviceged­anken geprägtes Entgegenko­mmen geherrscht hat, schlägt einem nun gähnende Leere entgegen. An allen Ecken und Enden fehlen Arbeitskrä­fte. Die Frage ist, wo sind sie geblieben?

Zu den Fakten: Noch nie gab es in Österreich so viele offene Posten

wie jetzt. Anfang Juni waren es

knapp 140.000. Gleichzeit­ig gab es zuletzt vor 15 Jahren so wenige Arbeitslos­e wie heute: zirka 235.000. Wenn man der Ordnung halber die Menschen dazuzählt, die eine

Schulung des AMS durchlaufe­n, sind insgesamt rund 312.000 ohne Job.

Die Gründe für schütter besetzte Wirtshausk­üchen, Blumenläde­n, Softwarefi­rmen, Installate­urbetriebe oder gynäkologi­sche Abteilunge­n sind vielfältig. Manche Branchen zahlen ganz einfach schlecht,

manche haben zur Spitze der Pandemie die Mitarbeite­r nach Hause

geschickt, sich nicht um sie gekümmert und damit für immer verloren. Die Luftfahrt war auf die Öffnung

nicht vorbereite­t und kann ihre Kunden nicht ordentlich bedienen.

Dabei hält sie noch immer Mitarbeite­r in Kurzarbeit. Ein Treppenwit­z.

Covid hat bei vielen Menschen ein Umdenken bewirkt. Arbeit und Geld bedeuten ihnen nicht mehr alles. Trotz Teuerung. Die soll dann halt der Staat auffangen. Neue Teilzeitun­d Homeoffice-Modelle beflügeln den Mangel. Verbleiben­de

Vollzeitkr­äfte müssen für die anderen mitarbeite­n, sind über kurz oder lang überlastet und brennen aus. Ein Teufelskre­is.

Die Zeiten, in denen sich Unternehme­n nach Belieben auf dem freien Arbeitsmar­kt bedienen

konnten und die Interessen­ten vor den Werkstoren Schlange gestanden sind, sind längst vorbei. Wer

heute Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r

halten oder gewinnen will, muss sich einem harten Wettbewerb um die besten Köpfe stellen. Den gewinnt man nicht mehr mit Geld, sondern es spielen zunehmend „weiche“Faktoren wie Gesundheit­svorsorge, Freizeitmö­glichkeite­n sowie menschlich­e Komponente­n, Wertschätz­ung und Sinnstiftu­ng eine große Rolle.

Selbst wenn wir alle Möglichkei­ten ausschöpfe­n, werden wir am Ende nicht genug sein. Die demografis­che Entwicklun­g Österreich­s ist besorgnise­rregend. Der Anteil an Senioren über 65 steigt seit Jahren

unaufhalts­am. Diese Gruppe war zuletzt erstmals größer als die der

unter 20-Jährigen. Das bedeutet: Die Babyboomer-Generation geht in Pension, aber es kommen zu wenige junge Arbeitskrä­fte nach.

Die Konsequenz liegt auf der Hand. Das Einwanderu­ngsland Österreich, in dem seit rund 40 Jahren

mehr Menschen zuwandern als abwandern, muss seine Tore noch

weiter für qualifizie­rten Zuzug öffnen als bisher. Die erste Adresse sind Menschen aus der Europäisch­en Union, die in der Pandemie

wieder nach Hause gegangen und nicht mehr wiedergeko­mmen sind. Ihr Fehlen spüren wir momentan besonders.

Das Werben für den Arbeitgebe­r Österreich darf nicht an den EUGrenzen haltmachen. Wollen wir den Beschäftig­tenstand ausbauen

und damit unser Sozialsyst­em vor dem Bankrott schützen, müssen

wir viele Menschen dafür gewinnen, dass sie hier nicht nur arbeiten, sondern auch leben wollen.

Werben für den Arbeitgebe­r Österreich

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WWW.SN.AT/WIZANY Aus dem Ruder . . .

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