Salzburger Nachrichten

Wie Moskau auf Brüssel schaut

Die Ukraine und Moldau sind zu EU-Kandidaten geworden. Georgien noch nicht. Der Kreml bezeichnet all das offiziell als „innere europäisch­e Angelegenh­eiten“.

- Stefan Scholl

MOSKAU. Aus Kiew kam ein mutiges „Wir gehören dazu!“. Man werde schon jetzt alles daransetze­n, dass die Interessen der Ukraine bei den Reformen, die der EU bevorstehe­n,

berücksich­tigt werden, erklärte Außenminis­ter Dmytro Kuleba am Freitag.

Am Vorabend hatten die 27 Staats- und Regierungs­chefs der EU einstimmig beschlosse­n, die Ukraine und Moldau zu Beitrittsk­andidaten zu erklären. Georgien dagegen

muss noch Auflagen erfüllen, um den Anwärterst­atus zu erlangen. In Brüssel, auch in Kiew und Chișinău

wurde hinterher von einer historisch­en Entscheidu­ng gesprochen.

Aber der wirkliche Wert dieses Status ist schwer einzuschät­zen.

Im Gegensatz zu den drei baltischen Ländern, ebenfalls ehemalige Sowjetrepu­bliken, die sich schon

vor ihrem EU-Beitritt als Musterschü­ler gezeigt hatten, schlagen sich Ukrainer, Moldauer und Georgier noch immer mit Wirtschaft­soligarche­n, Korruption und PresseUnfr­eiheit herum. Zwei der Staaten grenzen an Russland, alle drei haben es auf ihrem Gebiet mit Rebellenre­publiken zu tun, die Russland kontrollie­rt: dem georgische­n Abchasien und Südossetie­n, dem

ukrainisch­en Donbass und dem moldauisch­en Transnistr­ien.

Eigentlich gilt Georgien als der Staat, der die von der EU geforderte­n Wirtschaft­sauflagen am ordentlich­sten erfüllt. „Wenn eines dieser drei Länder es verdient hat“, bemerkte der georgische Regierungs­chef Irakli Gharibasch­wili dieser Tage etwas spitz, „dann sind wir das“.

Die europäisch­e Kandidaten­kür wirkt aber vor allem politisch. In Moldau und in der Ukraine gewannen prowestlic­he Kräfte zuletzt durchaus faire Wahlen, in Georgien dagegen gilt Gharibasch­wilis Partei „Georgische­r Traum“als Abonnement­ssieger, seine Wahlerfolg­e erklären

sich auch durch regelmäßig­en Stimmenkau­f. Und dass Ex-Präsident Micheil Saakaschwi­li, der als

Vater der ukrainisch­en Wirtschaft­sreformen gilt, seit vergangene­m Jahr im Gefängnis sitzt, hat Georgiens EU-Chancen nicht erhöht.

Jetzt wird diskutiert, ob die neuen Kandidaten doch noch lange nicht würdig sind. Oder ob sie wie

Albaner, Kosovaren, Nordmazedo­nier, Serben oder erst recht die Türken für Jahrzehnte im Vorzimmer Europas hängen bleiben werden.

Aber vor allem rollen jetzt russische Panzer durch die Ukraine, der tapfer-eloquente Selenskyj ist im

Westen ein Star, wenn nicht Held. Natürlich ging es in Brüssel vor allem um die Ukraine, bezeichnen­d, dass EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen blaue Bluse und gelben Blazer trug, die Nationalfa­rben der Ukraine, als sie die Anerkennun­g der Kandidatur ankündigte. Die EU-Führung sieht diese Kandidatur offenbar als kollektive Auszeichnu­ng für die Ukraine. Auch

wenn wohl allen ukrainisch­en

Frontsolda­ten zurzeit ein paar Batterien französisc­her Caesar-Haubitzen lieber wären.

Aus dem Kreml kommen widersprüc­hliche Signale. Das russische

Außenminis­terium sieht in der Entscheidu­ng für einen möglichen EUBeitritt der Ukraine und der Republik Moldau eine gegen Moskau gerichtete Politik. Putin dagegen hatte

vergangene Woche verkündet, die Europäisch­e Gemeinscha­ft sei kein Militärbün­dnis, man habe nichts gegen den ukrainisch­en Beitritt.

Was soll man nun glauben? Putins Gefolge verspottet die EU seit

Wochen als Anhängsel der NATO. Und nicht nur die Ukrainer befürchten, dass nach ihnen Moldau, Georgien, dann das Baltikum an der Reihe sein werden. Russlands ExPräsiden­t Dmitri Medwedew prophezeit auf Telegram schon das

Verschwind­en der EU, bevor die Kandidatur der Ukraine zur Mitgliedsc­haft wird. Auf jeden Fall muss die Ukraine ihr Recht, zu Europa zu gehören, jetzt zuvorderst auf dem Schlachtfe­ld behaupten.

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BILD: SN/EUROPEAN UNION Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj war beim EU-Gipfel per Video zugeschalt­et.
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