Wie Moskau auf Brüssel schaut
Die Ukraine und Moldau sind zu EU-Kandidaten geworden. Georgien noch nicht. Der Kreml bezeichnet all das offiziell als „innere europäische Angelegenheiten“.
MOSKAU. Aus Kiew kam ein mutiges „Wir gehören dazu!“. Man werde schon jetzt alles daransetzen, dass die Interessen der Ukraine bei den Reformen, die der EU bevorstehen,
berücksichtigt werden, erklärte Außenminister Dmytro Kuleba am Freitag.
Am Vorabend hatten die 27 Staats- und Regierungschefs der EU einstimmig beschlossen, die Ukraine und Moldau zu Beitrittskandidaten zu erklären. Georgien dagegen
muss noch Auflagen erfüllen, um den Anwärterstatus zu erlangen. In Brüssel, auch in Kiew und Chișinău
wurde hinterher von einer historischen Entscheidung gesprochen.
Aber der wirkliche Wert dieses Status ist schwer einzuschätzen.
Im Gegensatz zu den drei baltischen Ländern, ebenfalls ehemalige Sowjetrepubliken, die sich schon
vor ihrem EU-Beitritt als Musterschüler gezeigt hatten, schlagen sich Ukrainer, Moldauer und Georgier noch immer mit Wirtschaftsoligarchen, Korruption und PresseUnfreiheit herum. Zwei der Staaten grenzen an Russland, alle drei haben es auf ihrem Gebiet mit Rebellenrepubliken zu tun, die Russland kontrolliert: dem georgischen Abchasien und Südossetien, dem
ukrainischen Donbass und dem moldauischen Transnistrien.
Eigentlich gilt Georgien als der Staat, der die von der EU geforderten Wirtschaftsauflagen am ordentlichsten erfüllt. „Wenn eines dieser drei Länder es verdient hat“, bemerkte der georgische Regierungschef Irakli Gharibaschwili dieser Tage etwas spitz, „dann sind wir das“.
Die europäische Kandidatenkür wirkt aber vor allem politisch. In Moldau und in der Ukraine gewannen prowestliche Kräfte zuletzt durchaus faire Wahlen, in Georgien dagegen gilt Gharibaschwilis Partei „Georgischer Traum“als Abonnementssieger, seine Wahlerfolge erklären
sich auch durch regelmäßigen Stimmenkauf. Und dass Ex-Präsident Micheil Saakaschwili, der als
Vater der ukrainischen Wirtschaftsreformen gilt, seit vergangenem Jahr im Gefängnis sitzt, hat Georgiens EU-Chancen nicht erhöht.
Jetzt wird diskutiert, ob die neuen Kandidaten doch noch lange nicht würdig sind. Oder ob sie wie
Albaner, Kosovaren, Nordmazedonier, Serben oder erst recht die Türken für Jahrzehnte im Vorzimmer Europas hängen bleiben werden.
Aber vor allem rollen jetzt russische Panzer durch die Ukraine, der tapfer-eloquente Selenskyj ist im
Westen ein Star, wenn nicht Held. Natürlich ging es in Brüssel vor allem um die Ukraine, bezeichnend, dass EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen blaue Bluse und gelben Blazer trug, die Nationalfarben der Ukraine, als sie die Anerkennung der Kandidatur ankündigte. Die EU-Führung sieht diese Kandidatur offenbar als kollektive Auszeichnung für die Ukraine. Auch
wenn wohl allen ukrainischen
Frontsoldaten zurzeit ein paar Batterien französischer Caesar-Haubitzen lieber wären.
Aus dem Kreml kommen widersprüchliche Signale. Das russische
Außenministerium sieht in der Entscheidung für einen möglichen EUBeitritt der Ukraine und der Republik Moldau eine gegen Moskau gerichtete Politik. Putin dagegen hatte
vergangene Woche verkündet, die Europäische Gemeinschaft sei kein Militärbündnis, man habe nichts gegen den ukrainischen Beitritt.
Was soll man nun glauben? Putins Gefolge verspottet die EU seit
Wochen als Anhängsel der NATO. Und nicht nur die Ukrainer befürchten, dass nach ihnen Moldau, Georgien, dann das Baltikum an der Reihe sein werden. Russlands ExPräsident Dmitri Medwedew prophezeit auf Telegram schon das
Verschwinden der EU, bevor die Kandidatur der Ukraine zur Mitgliedschaft wird. Auf jeden Fall muss die Ukraine ihr Recht, zu Europa zu gehören, jetzt zuvorderst auf dem Schlachtfeld behaupten.