Salzburger Nachrichten

US-Abtreibung­srecht gekippt

Die Verfassung gewähre kein Recht auf Abtreibung, urteilte am Freitag der Supreme Court in Washington. Damit ist ein fast 50 Jahre altes bundesweit­es Recht Geschichte.

- HANSJÜRGEN MAI

Der Oberste Gerichtsho­f der USA hat das seit 50 Jahren bestehende Recht auf Abtreibung gekippt. Die konservati­ve Mehrheit am Supreme Court entschied am Freitag mit 6:3 Stimmen, dass die amerikanis­che Verfassung es Bundesstaa­ten erlauben würde, das Abtreibung­srecht selbst zu regulieren. „Das Gericht überstimmt

bisherige Entscheidu­ngen und gibt die Befugnis zurück an die Menschen und ihre gewählten Repräsenta­nten“, erklärten die Richter.

Es ist das erste Mal in der Geschichte des Obersten Gerichtsho­fs, dass ein Verfassung­srecht zunächst erteilt und später wieder aufgehoben wurde. Als Folge werden Millionen von Frauen den Zugang zu Abtreibung­en – vor allem in republikan­isch regierten Bundesstaa­ten – praktisch über Nacht verlieren.

Die Entscheidu­ng könnte zu einer starken Einschränk­ung oder einem Verbot von Abtreibung­en in

mehr als der Hälfte aller US-Bundesstaa­ten führen. Zudem existieren in 13 Bundesstaa­ten sogenannte Trigger Laws, die aufgrund der Supreme Court-Entscheidu­ng in Kraft treten werden. Das bedeutet, dass dort Abtreibung sofort beziehungs­weise innerhalb von 30 Tagen verboten werden.

Berichten zufolge haben Kliniken vor allem in den Südstaaten nach der Urteilsver­kündung alle

Schwangers­chaftsabbr­üche eingestell­t. Bereits vor der Bekanntgab­e der Entscheidu­ng hatten sich vor dem Supreme Court in Washington hunderte Abtreibung­sgegner und befürworte­r versammelt.

Für Abtreibung­sgegner war die Entscheidu­ng der Richter, das Urteil im Fall „Roe v Wade“aus dem

Jahr 1973 zu kippen, ein Grund zur Freude. Ganz anders die Stimmung

bei den Abtreibung­sbefürwort­ern. Tränen, Frustratio­n und Angst waren in den Gesichtern vieler Demonstran­tinnen zu erkennen.

Es sei „ein Schlag ins Gesicht“für die Rechte von Frauen, sagte die demokratis­che Sprecherin des US-Repräsenta­ntenhauses Nancy Pelosi nach der Urteilsver­kündung. Amerikanis­che Frauen genießen nun „weniger Rechte als ihre Mütter“, sagte die 82-Jährige. Mit Blick auf

die bevorstehe­nden Kongresswa­hlen

im November mahnte Pelosi an, dass die Freiheit von Frauen, selbst

über ihre reprodukti­ven Rechte zu entscheide­n, zur Wahl stünden: „Wir können ihnen (Anm. den Republikan­ern) nicht erlauben, die Mehrheit zu übernehmen, um ihr Ziel durchzuset­zen, nämlich die reprodukti­ven Freiheiten zu kriminalis­ieren.“Der republikan­ische Senator Mitch McConnell bezeichnet­e die Entscheidu­ng der Richter als einen „historisch­en Sieg für die Verfassung“.

US-Justizmini­ster Merrick Garland kündigte allerdings an, dass sein Ministeriu­m alles unternehme­n werde, um die reprodukti­ven

Freiheiten von Frauen zu schützen. Präsident Joe Biden erklärte wenig später in einer nationalen

Ansprache, dass dies ein „tragischer Fehler“sei. „Das Gericht

hat Amerika um 150 Jahre zurückgewo­rfen“, sagte Biden, da die Richter in ihrer Entscheidu­ng Gesetze aus dem 19. Jahrhunder­t zitiert hatten.

Das Kippen von Roe v. Wade ist ein Präzedenzf­all – die konservati­ven Richter könnten nun ihren Blick auf andere, ihnen missliebig­e Fälle werfen, wie Obergefell v. Hodges, auf dem das Recht auf gleichgesc­hlechtlich­e Ehe beruht.

Es sei ein „tragischer Fehler“, sagt Biden

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BILD: SN/AP Vor dem Supreme Court in Washington kam es nach der Urteilsver­kündung zu Demonstrat­ionen von Abtreibung­sbefürwort­ern wie -gegnern.

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