„Wir versuchen, nicht an später zu denken“
Die 23-jährige Julie lebt mit einer seltenen Erbkrankheit. „Nutze den Tag“, lautet ihre Devise, denn: „Das Leben kann sehr kurz sein.“
An heißen Sommertagen an der Alten Donau abkühlen? Nach
Asien fliegen oder einen Roadtrip machen, wie es viele junge Menschen tun? Für Julie ist das nicht
möglich, obwohl sie eigentlich jede Sekunde doppelt nutzen müsste.
Die 23-jährige Wienerin leidet an der Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose, auch Cystische Fibrose (CF) genannt. Durch einen gestörten Salzhaushalt in der Zelle entsteht Schleim in lebenswichtigen Organen, allen voran in der Lunge, und beeinträchtigt diese. Die Lebenserwartung von Betroffenen wird mit 50 bis 55 Jahren angegeben. Das sei schon ein Meilenstein, sagt Julie. Denn als sie damit geboren
wurde, galt CF als Kinderkrankheit, die Lebenserwartung lag bei 18 Jahren.
In Österreich kommen pro Jahr 22 bis 25 Kinder mit Mukoviszidose zur Welt. Der Gendefekt ist erblich und bricht dann aus, wenn Mutter und Vater – meist unwissentlich – Träger der Krankheit sind. Das war auch bei Julie der Fall.
Als ihre Mutter im achten Monat schwanger war, habe man sie per Notkaiserschnitt holen müssen. Der Verdacht der Mukoviszidose
konnte mittels sogenannten Schweißtests und DNA-Screenings bestätigt werden.
Von da an hieß es für Julie Abstand halten – zu stehenden Gewässern, Menschen mit derselben Krankheit und vor allem zu Keimen
jeglicher Art, denn die sind gefährlich für Betroffene. Aus dem Grund hat man das Aquarium und die Sandkiste im Kindergarten vor Julies Eintritt abgebaut. Das habe sie erst später erfahren. Auch dass ihre Eltern gern mehr Kinder gehabt hätten, sei ihr als Jugendliche klar geworden. „Ich war schon genug Aufwand. Da fühlt man sich natürlich schlecht, wenn man erkennt, worauf sie verzichten mussten.“
In der Schule habe sie ihre Krankheit immer melden müssen, um sicherzugehen, dass nicht weitere CF-Patienten dort unterrichtet würden. Dass sie sich nicht mit anderen
Erkrankten austauschen könne, sei schade, aber die Gefahr sei zu groß. Aus diesem Grund habe sie über Social Media das Leben einiger Betroffener verfolgt, die ihr Schicksal dort geteilt
hätten. Das war aber auch mit Schockmomenten verbunden, etwa wenn auf dem Account einer jungen Frau auf einmal nichts mehr passiert. „Dann habe ich recherchiert und erfahren, dass sie mit Anfang 20 verstorben ist. Das nimmt natürlich mit, da bekommt man schon Angst“, sagt Julie. Aber sie bekräftigt: „Ich habe Glück, mein Zustand ist sehr stabil, mir geht es gut.“Vor jeder Mahlzeit muss sie Tabletten einnehmen, damit ihr Darm das Essen verarbeiten
kann. Doch die Ärzte machen ihr Hoffnung: Ein Medikament, das nicht nur Symptome, sondern die Ursache der Krankheit behandeln soll, sei vielversprechend. Noch im Sommer will sie damit starten.
Doch wie lebt es sich als junger Mensch mit dem Wissen, dass die
Uhr womöglich schneller tickt als die der Gleichaltrigen? „Wenn meine Freunde davon sprechen, dass
wir alle im Alter gemeinsam auf einer Bank sitzen, werde ich schon
traurig“, sagt Julie. „Ich sehe mich da nicht, denn wahrscheinlich werde ich kein hohes Alter erreichen.“Meistens nehme sie es aber mit Humor, „denn sonst wäre ich schon daran kaputtgegangen“. So müsse sie sich beispielsweise keine Sorgen
um ihre Pension machen. „Obwohl: Jetzt, wo meine Lebenserwartung stetig steigt, bekomme ich doch Stress“, scherzt sie.
Emotional wird es dann, wenn es um das Thema Kinder geht. „Ein Großteil der Erkrankten ist unfruchtbar“, erzählt Julie. Sie habe
ihre Fertilität noch nicht testen lassen, aber sie gehe davon aus, keine eigenen Babys zu haben. „Ich will
kein Kind in die Welt setzen, wenn ich dann mit 50 nicht mehr da bin.“
Mit ihrem Freund (25) ist sie seit neun Jahren zusammen. Er unterstütze sie und habe sich auch zu ihrem Schutz gegen Grippe impfen
lassen. Jede Infektion ist für sie ein Risiko. Doch ein Thema meidet das Paar, so gut es geht: die Zukunft. „Wir schieben das lieber weg, versuchen, nicht zu weit zu planen, und leben im Moment.“
Das hat Julie von klein auf gelernt: ihre Zeit zu schätzen. Denn sie habe, wie sie sagt, auch hart dafür gearbeitet und müsse viele Entbehrungen in Kauf nehmen, damit es ihr so gut geht wie jetzt. Wenn andere sagen: „das Leben ist zu kurz“, muss sie schmunzeln und kann dem nur beipflichten: „Ja, das Leben kann wirklich kurz sein.“