Salzburger Nachrichten

Buchstabie­ren, ganz leicht gemacht

Über Ungerechti­gkeiten im Bus und bei der Rechtschre­ibung.

- Bernhard Flieher

Es sei ungerecht, höre ich im Bus eine Frau sagen, dass die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel nur freitags gratis zu benutzen seien. Das sei ungerecht, sagt sie, weil sie freitags selten, aber montags und mittwochs immer mit dem Bus zur Therapie fahren müsse. Auch im Sommer.

Und so muss sie sich weiter grämen. Die Aktion der Salzburger Verkehrsbe­triebe endet ja

nicht wie zunächst geplant in dieser Woche.

Sie geht in die Verlängeru­ng. Schön, dass nicht alles Gute begraben wird, so wie die Bedeutung der Klarheit in der Sprache. Freilich ist es beim Busfahren schwierige­r. Und das ist ungerecht.

Wer sich ans Gratisfahr­en gewöhnt hat, vergisst womöglich auch an anderen Tagen aufs Zahlen. Dann kommt ein Kontrolleu­r und man

muss dann Strafe zahlen, bloß weil man sich an das Gute gewöhnt hat. Das Nachdenken

über solche Ungerechti­gkeiten öffnet aber nicht nur im Bus die Büchse der Pandora. Da gerät man leicht in einen gefährlich­en Strudel.

Vor einiger Zeit etwa hat das Deutsche Institut für Normung die offizielle Buchstabie­rtabelle

überarbeit­et und mittlerwei­le offiziell gemacht.

Man wollte tilgen, was die Nazis einführten. Etwa Siegfried für S, Nordpol für N und Zeppelin für Z. Überlegt wurde eine Rückkehr zum

Vor-Nazi-System. Bevor die Nazis kamen, bestand die Tabelle größtentei­ls aus Vornamen. Nathan für N, zum Beispiel, Samuel für S und

Zacharias für Z. Was für eine Ungerechti­gkeit! Nur Männername­n. Frauen waren nur durch Berta und Paula vertreten. Das Mann-Frau-Verhältnis dieser Buchstabie­rtabelle sieht etwa so aus, wie das auf unseren Teenagerpa­rtys war. Ungerecht. Aussichtsl­os. Überhaupt stürzt einen das Nachdenken über Ungerechti­gkeiten in ein schier aussichtsl­oses Dilemma. Müssen beim Buchstabie­ren radikal formuliert­e Vorlieben bei der Ernährung berücksich­tigt werden? Also könnte ein Leberknöde­l für L durch einen Tofu für T kompensier­t werden? Was ist beim Buchstabie­ren mit den anderen Religionen?

Würde ein Mohammed für M ein Golgotha für G aufwiegen? Der Kreuzigung­sort Golgotha hat es übrigens freilich nicht geschafft, aber andere Orte haben es geschafft. Die neue deutsche Buchstabie­rtabelle besteht ausschließ­lich aus

Städtename­n, darunter Salzwedel, Wuppertal oder Ingelheim. In Österreich übrigens gibt es seit 2019 gar keine offizielle Buchstabie­rliste mehr. Hier wurde die ÖNORM A 1081 mit dem Titel „Richtlinie­n für die Diktierspr­ache“im Jahr 2019 ohne Ersatz zurückgezo­gen. Im Grunde kann jeder buchstabie­ren, wie er will, also kann man auch Nazi für N sagen oder

Korruption für K oder Schlampigk­eit für S oder Ibiza für I. Da herrscht eine neue Freiheit so

wie bei der Rechtschre­ibung, die in der Bewertung bei Deutschsch­ularbeiten auch keine besonders wichtige Rolle mehr spielt. Im Gegensatz zum Ohne-Ticket-Busfahren wird keiner

bestraft, wenn man von der Existenz des Abc zwar gehört hat, das Abc aber kaum mehr korrekt einsetzen kann. Gibt ja eine Rechtschre­ibkorrektu­r. Das zuständige Institut, das in Österreich für die Buchstabie­rtabelle zuständig

wäre, heißt übrigens schon länger nicht mehr Österreich­isches Normungsin­stitut, sondern

Austrian Standards Internatio­nal.

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