Salzburger Nachrichten

Die zähe Suche nach ersehnten Lichtblick­en

Die Abwesenhei­t von Dominic Thiem reißt eine Lücke ins österreich­ische Tennis. Wer sie füllen soll und warum das so ist.

- CHRISTIAN MORTSCH

SALZBURG, LONDON. Thomas Muster und Dominic Thiem waren alles andere als Rasenspezi­alisten. Die

Viertelfin­ale von Judith Wiesner 1996 und Tamira Paszek (2010, 2011) sowie die Achtelfina­lteilnahme­n von Alexander Antonitsch (1990), Barbara Schett (1999), Jürgen

Melzer (2010, 2013) und Thiem (2017) ragen zusammen mit einigen Erfolgen im Doppel heraus. Die Erwartunge­n vor Wimbledon sind aus österreich­ischer Sicht also nie in den Himmel gewachsen. So gering

wie heuer waren sie aber wohl seit Jahrzehnte­n nicht mehr.

Dennis Novak ist der rot-weißrote Alleinunte­rhalter beim am Montag beginnende­n Grand-SlamTurnie­r. Vermutlich war ihm gar nicht bewusst, dass er schon am Donnerstag mit dem hart erkämpften Fünfsatzsi­eg eine geschichts­trächtige Pleite abgewendet hatte. Denn 37 Jahre ist es her, also zuletzt 1985, dass Österreich weder bei den Damen noch bei den Herren in

Wimbledon vertreten war. Dennis Novak sorgte, als er 2018 als Qualifikan­t in die dritte Runde vorstieß, auch für den bislang letzten österreich­ischen Sieg in Wimbledon. Und die Chancen, dass er das wiederholt, stehen nicht schlecht. Die

Auslosung bescherte ihm mit Facundo Bagnis eine machbare

Hürde. Der Argentinie­r ist als ATPNummer 110 zwar 45 Plätze vor Novak, als Sandplatzs­pezialist aber absolut in Reichweite.

Nur dabei zu sein im 128-köpfigen Feld eines Grand-Slam-Turniers muss derzeit als persönlich­er Erfolg gewertet werden. Gleichzeit­ig spiegelt es auf höchstem Niveau aber die triste Situation im heimischen Tennis wider. Seit Thiems

Verletzung vor einem Jahr und seinen bislang ernüchtern­den Comeback-Versuchen ist Österreich auf der ATP-Tour im Einzel quasi nicht vertreten. Am deutlichst­en bemerkbar wird die rot-weiß-rote Flaute dann eben auf den größten Bühnen

wie in Wimbledon. Ein Quintett durfte sich für das geschichts­trächtigst­e Turnier in der Qualifikat­ion

versuchen. „Natürlich muss es das Ziel sein, dass wir konstant im Hauptbewer­b vertreten sind, aber

man muss es schon auch in Relation sehen. Wenn Österreich fünf Leute in der Quali hat, dann ist das quantitati­v in Ordnung“, sagt Davis-CupKapitän Jürgen Melzer.

In unregelmäß­igen Abständen zeigen Novak, Sebastian Ofner, Jurij

Rodionov und Gerald Melzer auf der ATP-Challenger-Tour auf. Die

Hoffnung, dass sie sich in den Top 100 etablieren und damit den Sprung auf die große Tour schaffen,

besteht schon seit einigen Jahren – erfüllt wurde sie bisher aber nicht. „Sie haben definitiv alle das Potenzial dazu. Es hapert an der Konstanz, ihre Leistung Woche für Woche abzurufen“, sagt Melzer.

Eine Handvoll Männer darf sich zumindest zur erweiterte­n Weltklasse zählen. Auf dem Weg dorthin sind Filip Misolic (20) und Lukas Neumayer (19) zwei Lichtblick­e. Melzer selbst kümmert sich um Misolic, der heuer ein ATP-Challenger gewonnen hat und am Sprung in die Top 200 ist. Der Salzburger Neumayer bestreitet langsam den Weg in diese Ranking-Regionen.

Alarmieren­der ist aber der Blick auf die Situation im Nachwuchs

und damit in die Zukunft des österreich­ischen Tennis. Seit Jahren bereits vermisst man Rot-Weiß-Rot in den Bewerben der Juniorinne­n und

Junioren bei Grand-Slam-Turnieren fast zur Gänze. Neumayer erreichte 2020 in Paris das Viertelfin­ale und war damit zuletzt die rühmliche

Ausnahme. Das in den kommenden Jahren zu ändern, hat sich Melzer in seiner Funktion als ÖTV-Sportdirek­tor als übergeordn­etes Ziel gesetzt. „Es kommen schon einige nach. Da reden wir aber derzeit von maximal 16-Jährigen. Das dauert noch, aber sie werden es zu den Juniorenbe­werben schaffen.“

Von der Spitze ist Österreich­s U18 aktuell nämlich noch sehr weit entfernt. Das wird bei einem Blick auf die U18-Weltrangli­ste klar, wo aktuell keiner und keine zu den besten 100 gehört. Warum das so ist, erklärt Melzer an der fehlenden Quantität an leistungso­rientierte­n

Jugendlich­en, aus denen sich dann die Qualität entwickelt: „Wir haben nicht so viele Talente wie vor 20 Jahren, daher müssen wir uns um die wenigen, die es aktuell gibt, noch intensiver bemühen.“Diese

Aufgabe hat etwa ÖTV-Nachwuchst­rainer Lukas Jastraunig. „Eine der

größten Herausford­erungen ist es, unseren Jugendlich­en den Leistungsg­edanken zu vermitteln.

Überspitzt formuliert ist es ihnen oft egal, ob sie gut oder schlecht gespielt haben, ob sie gewinnen oder

verlieren. Das ist pauschal gesehen ein großer Unterschie­d zu anderen Nationen“, ortet Jastraunig quasi ein österreich­isches Mentalität­sproblem im Leistungss­port und einen Grund, warum Österreich im internatio­nalen Vergleich den Anschluss verloren hat.

Dasselbe gilt für das Damentenni­s und ist keine Momentaufn­ahme. Auf der WTA-Tour existiert Österreich seit Jahren mehr oder weniger nur durch das Turnier in Linz. Julia Grabher ist 25 und als 141. der

Weltrangli­ste die Beste. Sie hat heuer nach einer gefühlten Ewigkeit

wieder einen österreich­ischen Matchsieg auf WTA-Ebene eingefahre­n. „Sie entwickelt sich gut und

wird die ersten 100 knacken“, sagt Melzer. In Wimbledon aber war wie

für Barbara Haas in der ersten Runde der Qualifikat­ion Endstation.

Nur Novak vertritt Österreich in London

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