Salzburger Nachrichten

Eine Frage der Lebensqual­ität

Immer mehr Mediziner werden Wahlarzt – ein Kassenarzt muss für den gleichen Umsatz doppelt so viele Patienten behandeln.

- DIETER HUBMANN

GRAZ. Alles probiert, kein Vergleich: Emmerich Zeichen, Facharzt für Frauenheil­kunde und Geburtshil­fe,

hat drei Karrieren als Spitals-, Kassenund Wahlarzt gelebt. Kristina

Köppel-Klepp hat sich gleich für eine Laufbahn als Wahlärztin für

Allgemeinm­edizin entschloss­en. Beide Mediziner stehen für eine Absetzbewe­gung vom herkömmlic­hen System, das so

bedrohlich bröckelt. Warum ist das so? In den Gesprächen mit den beiden wiederhole­n sich – wie bei vielen anderen Ärzten, die auf die Wahlarztse­ite gewechselt sind – die Argumente.

Früher sei es noch extrem schwierig gewesen, eine Kassenstel­le zu erhalten. Zeichen, auch in der

Ärztekamme­r engagiert, führte seine Praxis nach der Pensionier­ung als Wahlarzt weiter. Köppel-Klepp

zog die Option, „weil ich sonst keine andere Chance hatte“. Beide hegen

keine Zweifel an ihrer Entscheidu­ng. Die Tarife, die die Österreich­ische Gesundheit­skasse (ÖGK) zahlt, erforderte­n eine hohe Patientenf­requenz. Fachleute sprechen von „Massenabfe­rtigung“. Das passe einfach „nicht mehr in die Zeit“. Zeichen sagt: „Meine Lebensqual­ität als Wahlarzt ist bedeutend besser.“

Er geht davon aus, dass man als Kassengynä­kologe im Vergleich doppelt so viele Patientinn­en behandeln müsse wie ein Wahlarzt, um auf die gleichen Umsatzzahl­en (im Österreich-Schnitt:

266.765 Euro plus Extras) zu kommen. Er macht seine Einschätzu­ng auch an der

Mutter-Kind-Pass-Untersuchu­ng fest, die laut Zeichen seit 27 Jahren finanziell vom Ministeriu­m nie angepasst worden sei, obwohl die Untersuchu­ng heute

wesentlich aufwendige­r sei (Pränataldi­agnostik, Aufklärung etc.). „Für eine der fünf Mutter-Kind-Pass-Untersuchu­ngen erhält man zum Beispiel 18,02 Euro. Ein Wahlarzt verlangt für diese eine Untersuchu­ng rund 100 Euro Pauschale.“

Auch an den Honoraren der ÖGK krankt es. Bestimmte Leistungen, die medizinisc­h heute notwendig

wären, seien nicht möglich – oder so gedeckelt, dass sie sich für den

Kassenarzt nicht rechnen. Die versproche­ne Leistungsh­armonisier­ung bei der Gründung der ÖGK sei nichts anderes als ein politische­r Gag gewesen. Zeichen: „Im Schnitt

bringt ein Tiroler Kassensche­in um ein Drittel mehr als ein Kassensche­in in der Steiermark. Die Steirer erhalten 20 bis 30 Euro weniger pro

Patientin, aber das spürt der Wahlarzt nicht, er hat eine andere

Kostenrech­nung.“Sein Vorschlag: „Deckelunge­n und Limits aufheben, damit Leistungen, die erbracht werden, bezahlt werden.“

Wie verfahren der Karren ist, lässt sich am Beispiel „Ausführlic­he diagnostis­ch-therapeuti­sche Aussprache zwischen Arzt und Patient als integriert­er Therapiebe­standteil“erkennen: Deckelunge­n führen dazu, dass von 14,45 Euro Honorar

pro Gespräch oft nicht einmal die Hälfte übrig bleibt – brutto. KöppelKlep­p: „Wenn ein Patient mit Halsweh zu mir in die Allgemeinp­raxis kommt, dann wäre es ja noch gerechtfer­tigt. Wenn man aber schwierige­re Fälle hat, dann dauert das Gespräch 20, 25 Minuten.“

Beide verwahren sich dagegen, dass Wahlärzte die Rosinen rauspicken würden, wie es in der politische­n Diskussion ausgeführt wird –

und wie die Politik mit Verboten und Drohungen für Wahlärzte spielt. „Ich bin zu vielem bereit“, so KöppelKlep­p. „Ich kann mir vorstellen, Kassenpati­enten anzuschaue­n, Wochenendd­ienste zu machen, im System mitzuarbei­ten. Da bin ich und sind viele meiner Wahlarztko­llegen offen. Aber so, wie man derzeit mit

uns umgeht, geht das nicht.“

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