Reine Glaubenssache?
Nicht nur Bares ist Wahres! 90 Prozent allen Geldes gibt es nur als Einser und Nuller. Es kann per Tastendruck erschaffen und gelöscht werden. Und eigentlich ist es nichts als in Zahlen gegossenes Vertrauen. Das merken wir vor allem, wenn dieses Vertrauen
Genau. Der Strom kommt nicht aus der Steckdose. Und das Geld
kommt nicht aus dem Bankomaten. Wobei: Natürlich kommt es da schon raus – zwischen 50.000 und 100.000 Euro sind in so einer Maschine eingelagert. Aber: In Wirklichkeit stammt unser Geld natürlich woandersher.
Aber woher? Dazu, was die meisten Menschen darauf antworten, gibt es eine Studie – und zwar nicht von irgendwoher, sondern aus der Finanzmetropole Frankfurt. Laut der Bürgerbefragung durch die Universität Southampton, über welche der Deutschlandfunk berichtete, antworteten 84 Prozent der über tausend Befragten: Das Geld komme von der Zentralbank. Oder von der Regierung. Und die würden auch entscheiden, wo es hingehe und zunächst einmal verteilt werde. Und: Man fragte die Bürger auch, ob sie damit einverstanden
wären, „wenn die Mehrheit der Geldmenge durch meist
private, profitorientierte Unternehmen produziert und
verteilt würde und nicht durch staatliche Organe“.
Wenig überraschend: Neun von zehn Frankfurter Bürgern sagten spontan: Nie im Leben, das wollen wir nicht.
Und man muss kein Prophet sein, um zu behaupten: Im
kapitalismusskeptischen Österreich wäre das Ergebnis sicher nicht anders ausgefallen.
Das Amüsante ist: In Wahrheit leben wir längst in einem System, das genau so
funktioniert, wie die verschmitzten Sozialforscher es
beschrieben haben. Und ganz offensichtlich weiß der überwältigende Großteil der Menschen es gar nicht.
Darum also: eine kleine, möglichst einfache Erklärung zur Frage, wo unser Geld überhaupt herkommt.
Fangen wir mit dem kleinen Teil an: Da sind natürlich die Münzen und die Banknoten, von denen es ganz schön viele gibt, allein in der Eurozone weit mehr als eine Billion im Wert. Sie kommen, wie man es sich so vorstellt, aus großen Druckerpressen und Gießereien, über die etwa in Österreich die Notenbank und die Münze Österreich herrschen. Die geben all das Bare an die „normalen“Banken weiter, die man „Geschäftsbanken“nennt – allerdings müssen die das Bargeld von dort kaufen und sich damit bei den Notenbanken verschulden. Wobei die Notenbanken in Europa unter der Ägide der Europäischen Zentralbank (EZB) stehen, überall dort, wo man mit Euros bezahlt. Jedenfalls: Das Bargeld ist jetzt bei der Bank, und dort kann man es abheben. Oder eben aus dem Bankomaten ziehen. So weit, so klar.
Jetzt aber: All das Geld, das wir angreifen und tauschen können und klimpern hören – das ist nicht
einmal ein Zehntel von „allem Geld“. Denn viel größer, fast zehn Mal so groß, ist die Menge des Buchgelds, das auch Giralgeld heißt. Und nur ein kleiner Teil davon kommt auch tatsächlich von den Notenbanken, wie Beat Weber erklärt – er ist leitender Ökonom bei der Oesterreichischen Nationalbank: „Dieses Notenbankgeld vergeben eben die Notenbanken an die Geschäftsbanken. Meistens durch eine Versteigerung. Und zu einem gewissen Zinssatz.
Der natürlich davon abhängt, wie hoch die Zinsen in einer Volkswirtschaft gerade sein sollen.“Denn über die Verzinsung und mit vielen anderen Mitteln werken die EZB und die Notenbanken daran, dass sich die Zinsen für Kredite und Sparbücher am Leitzins orientieren – das ist die Zinshöhe, welche die EZBExperten für die gerade sinnvollste halten, je nach
wirtschaftlicher Situation. Weber: „Mit diesem elektronischen Notenbank-Geld kommt aber keiner von
uns normalen Bürgern je wirklich in Kontakt. Es dient nur dazu, dass die Banken am Ende eines Geschäftstags ihre Schulden untereinander begleichen
können, vorgeschriebene Reserven halten oder damit bei der Zentralbank neue Barvorräte für ihre Bankomaten kaufen.“
Unser aller Buchgeld, das wir auf Konten liegen haben oder das die Kreditnehmer unter uns der Bank schulden – das machen die Banken selbst. Das klingt
nicht nur wie ein Wunder, sondern heißt tatsächlich ein wenig biblisch „Geldschöpfung“. Und die funktioniert im Prinzip unglaublich einfach.
Sagen wir, jemand geht zur Bank und möchte einen Kredit haben. Der Berater dort prüft die Sicherheiten und gibt sein Okay. Nun landen, als Beispiel, 100.000 Euro auf dem Konto des Kunden. Jetzt könnte man sagen: Gut, dafür hat die Bank 100.000 Euro
weniger, also ist das ein Nullsummenspiel. So funktioniert das aber nur, wenn der Kreditnehmer sein
neues Guthaben sofort in bar abhebt. Zunächst hat die Bank eine Forderung an den Häuslbauer über 100.000 Euro in ihrer Bilanz stehen. Und dafür geht sie eine Verpflichtung ein, nämlich genau in der
Höhe des Kredits – und die zählt im Kundenverkehr auch als Geld. So sind durch einen Computertastendruck 100.000 Euro mit dahinterstehenden Verpflichtungen für Bank und Kreditnehmer entstanden, die es vorher nicht gab. Und:
Wenn der brave Häuslbauer jetzt seinen Kredit zurückzahlt, ist die Summe so schnell wieder weg, als ob
es sie nie gegeben hätte. Nur die Zinsen (falls es welche gibt), die bleiben der Bank übrig.
Steigt die Kreditaufnahme bei Privatleuten, Firmen oder Staaten und somit die Geldnachfrage, steigt auch
die Geldmenge insgesamt (siehe Grafik rechts). Was etwa während der Coronakrise passiert ist. Es ist auch ein Grund, warum so ein riesiger Anteil allen Geldes der Welt sich in China
befindet (rote Linie). Denn einerseits wuchs die Wirtschaft dort rasant. Und die Chinesen und ihre Unternehmen haben extrem viel Geld auf Konten liegen oder als Kredit aushaften –
weil es dort weniger Möglichkeiten gibt, es auf den Kapitalmärkten (wie der Börse) zu veranlagen oder zu bekommen. Also haben
chinesische Banken extrem fleißig „Geldschöpfung“betrieben, vor allem jene Quasi-Geldinstitute, die an den Onlineplattformen WeChat und Alipay hängen.
Für einen Teil davon, was sie an Verpflichtungen für Kontoguthaben eingeht und an Krediten vergibt, muss eine Bank Reserven bei der EZB halten. Der restliche Teil ist einerseits Vertrauen: darin, dass Schulden zurückgezahlt werden und der Geldwert stabil bleibt. Und andererseits Verpflichtung: Firmen, die Kredite nicht mehr zurückzahlen können, werden (mindestens) die Sicherheiten gepfändet – und Banken, die für die Konten ihrer Kunden nicht mehr
geradestehen können, brauchen Notkredite oder müssen zusperren. Und was es auch noch gibt, sind staatliche Auffangnetze, wie etwa die Einlagensicherung, die alle Bankguthaben bis 100.000 Euro abdeckt. Am Ende ist Geld aber nichts anderes: Ohne
Vertrauen funktioniert die Idee dahinter nicht. So wie bei einem Gedicht von Kurt Schwitters. Es be
ginnt damit, dass vier Maurer ganz selbstverständlich auf einem Dach sitzen. Doch als einer beginnt, die Haltbarkeit des Dachs in Zweifel zu ziehen, was
in der Erkenntnis „ist doch kein Träger dran!“mündet, da bricht das Dach mit einem lauten Krach.
Von einem massiven Vertrauensschwund in das Geld kann auch bei der deutlich steigenden
Inflation keine Rede sein. Aber könnte eine anhaltende und steigende Teuerung Zweifel an der längerfristigen Stabilität säen? Die
Antwort setzt eine Definition von Inflation voraus. Ökonomen sprechen von einem „aufgeblasenen“Geldbestand (vom lateinischen Wort inflare für aufblasen), wenn wichtige Preise über einen gewissen Zeitraum
gleichzeitig steigen. Dafür kann es mehrere Ursachen geben. Menschen können mehr kaufen als früher, damit steigen die Preise, wenn sich nicht auch das Angebot erhöht. Oder produzierende Firmen erhöhen die Preise, weil ihre Kosten steigen. Das ist aktuell der Fall. Pandemie und Krieg haben die Produktion und Lieferung wichtiger Waren verknappt und unterbrochen, was sich in steigenden Energiekosten und Lebensmittelpreisen niederschlägt – das treibt aktuell die Inflation weltweit.
Eine anhaltende starke Inflation könnte grundsätzlich Zweifel an der jeweiligen Währung aufkommen lassen oder die Flucht in eine andere Währung auslösen. Allerdings sind dafür die aktuellen Niveaus historisch vergleichsweise gering. Auch wenn die jüngsten Teuerungsraten je nach
Währungsraum die höchsten seit 40 oder gar 50 Jahren sind.
Im Mai stiegen die Verbraucherpreise in Österreich um 7,7 Prozent, in Deutschland lag der
Anstieg bei 7,9 Prozent, in den USA sogar bei 8,6 Prozent. Im historischen Rückblick sind das freilich keine sonderlich alarmierenden Werte. Von einer galoppierenden Inflation spricht man ab einer Teuerung von mehr als 20 Prozent. Bei über 50 Prozent
kommt der Begriff Hyperinflation ins Spiel. Wobei selbst dieser Wert angesichts von vier- und fünfstelligen Inflationsraten etwa in Venezuela – knapp
3000 Prozent 2020, für die Jahre davor nennt der Internationale Währungsfonds Werte von über einer Million Prozent – vergleichsweise zahm klingt.
Von solchen Dimensionen kann keine Rede sein – auch wenn der Begriff „Rekordinflation“die Runde macht. So häufig ist das der Fall, dass man auch die Verwendung des Worts inflationär nennen könnte.
Ob und wann das Vertrauen ins Geld bröckeln könnte, vermag niemand zu sagen. Ernsthaft war das auch vor 40 Jahren nicht der Fall. Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage nach Alternativen, wenn
man nicht wieder Muscheln oder Goldstücke als Zahlungsmittel einführen
will. Aber sollte es doch einmal dazu kommen, wäre es wohl ein schrittweiser Prozess, sagt Wirtschaftspsychologe Stefan
SchulzHardt von der
Uni Göttingen. Er zieht einen Vergleich mit jenen Umspringbildern, die je nach Betrachtung ein junges Mädchen oder eine ältere Frau zeigen. „Man hält zunächst an der ursprünglichen
Wahrnehmung fest, aber wenn es immer mehr kleine Änderungen in die andere Richtung gibt, springt die Wahrnehmung plötzlich um, man sieht das zweite Bild.“
Inflation ist keineswegs immer böse. In überschaubarer Größe ist sie durchaus erwünscht. So hat die EZB eine Teuerung von knapp unter zwei Prozent als Idealziel definiert. Das war freilich nicht leicht zu treffen. Jahrelang lag die Inflation im Euroraum
deutlich darunter, jahrelang
galten sogar fallende Preise – also Deflation – als größeres Risiko. Dann kam 2021 die Inflation zurück – für viele überraschend und unbemerkt. Da
kommt ein weiteres psychologisches Phänomen ins Spiel, die Geld(wert)illusion. „Menschen neigen dazu, sich an nominellen Werten zu orientieren“, sagt
Schulz-Hardt. Das heißt, man vertraut der Aufschrift „100 Euro“auf einem Geldschein mehr als dem abstrakten Wissen, dass der Schein auch bei einer Inflation von drei Prozent an Wert verliert. Dieser Effekt
kann jedoch – wie beim Wahrnehmungsbild mit der jungen und der alten Frau – umspringen. Aus der zuvor herrschenden Illusion der Geldwertstabilität
wird dann eine Übertreibung in die andere Richtung, also eine gefühlte Inflation, die über der tatsächlichen liegt.