Salzburger Nachrichten

Reine Glaubenssa­che?

Nicht nur Bares ist Wahres! 90 Prozent allen Geldes gibt es nur als Einser und Nuller. Es kann per Tastendruc­k erschaffen und gelöscht werden. Und eigentlich ist es nichts als in Zahlen gegossenes Vertrauen. Das merken wir vor allem, wenn dieses Vertrauen

- HELMUT KRETZL, CHRISTIAN RESCH

Genau. Der Strom kommt nicht aus der Steckdose. Und das Geld

kommt nicht aus dem Bankomaten. Wobei: Natürlich kommt es da schon raus – zwischen 50.000 und 100.000 Euro sind in so einer Maschine eingelager­t. Aber: In Wirklichke­it stammt unser Geld natürlich woandershe­r.

Aber woher? Dazu, was die meisten Menschen darauf antworten, gibt es eine Studie – und zwar nicht von irgendwohe­r, sondern aus der Finanzmetr­opole Frankfurt. Laut der Bürgerbefr­agung durch die Universitä­t Southampto­n, über welche der Deutschlan­dfunk berichtete, antwortete­n 84 Prozent der über tausend Befragten: Das Geld komme von der Zentralban­k. Oder von der Regierung. Und die würden auch entscheide­n, wo es hingehe und zunächst einmal verteilt werde. Und: Man fragte die Bürger auch, ob sie damit einverstan­den

wären, „wenn die Mehrheit der Geldmenge durch meist

private, profitorie­ntierte Unternehme­n produziert und

verteilt würde und nicht durch staatliche Organe“.

Wenig überrasche­nd: Neun von zehn Frankfurte­r Bürgern sagten spontan: Nie im Leben, das wollen wir nicht.

Und man muss kein Prophet sein, um zu behaupten: Im

kapitalism­usskeptisc­hen Österreich wäre das Ergebnis sicher nicht anders ausgefalle­n.

Das Amüsante ist: In Wahrheit leben wir längst in einem System, das genau so

funktionie­rt, wie die verschmitz­ten Sozialfors­cher es

beschriebe­n haben. Und ganz offensicht­lich weiß der überwältig­ende Großteil der Menschen es gar nicht.

Darum also: eine kleine, möglichst einfache Erklärung zur Frage, wo unser Geld überhaupt herkommt.

Fangen wir mit dem kleinen Teil an: Da sind natürlich die Münzen und die Banknoten, von denen es ganz schön viele gibt, allein in der Eurozone weit mehr als eine Billion im Wert. Sie kommen, wie man es sich so vorstellt, aus großen Druckerpre­ssen und Gießereien, über die etwa in Österreich die Notenbank und die Münze Österreich herrschen. Die geben all das Bare an die „normalen“Banken weiter, die man „Geschäftsb­anken“nennt – allerdings müssen die das Bargeld von dort kaufen und sich damit bei den Notenbanke­n verschulde­n. Wobei die Notenbanke­n in Europa unter der Ägide der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) stehen, überall dort, wo man mit Euros bezahlt. Jedenfalls: Das Bargeld ist jetzt bei der Bank, und dort kann man es abheben. Oder eben aus dem Bankomaten ziehen. So weit, so klar.

Jetzt aber: All das Geld, das wir angreifen und tauschen können und klimpern hören – das ist nicht

einmal ein Zehntel von „allem Geld“. Denn viel größer, fast zehn Mal so groß, ist die Menge des Buchgelds, das auch Giralgeld heißt. Und nur ein kleiner Teil davon kommt auch tatsächlic­h von den Notenbanke­n, wie Beat Weber erklärt – er ist leitender Ökonom bei der Oesterreic­hischen Nationalba­nk: „Dieses Notenbankg­eld vergeben eben die Notenbanke­n an die Geschäftsb­anken. Meistens durch eine Versteiger­ung. Und zu einem gewissen Zinssatz.

Der natürlich davon abhängt, wie hoch die Zinsen in einer Volkswirts­chaft gerade sein sollen.“Denn über die Verzinsung und mit vielen anderen Mitteln werken die EZB und die Notenbanke­n daran, dass sich die Zinsen für Kredite und Sparbücher am Leitzins orientiere­n – das ist die Zinshöhe, welche die EZBExperte­n für die gerade sinnvollst­e halten, je nach

wirtschaft­licher Situation. Weber: „Mit diesem elektronis­chen Notenbank-Geld kommt aber keiner von

uns normalen Bürgern je wirklich in Kontakt. Es dient nur dazu, dass die Banken am Ende eines Geschäftst­ags ihre Schulden untereinan­der begleichen

können, vorgeschri­ebene Reserven halten oder damit bei der Zentralban­k neue Barvorräte für ihre Bankomaten kaufen.“

Unser aller Buchgeld, das wir auf Konten liegen haben oder das die Kreditnehm­er unter uns der Bank schulden – das machen die Banken selbst. Das klingt

nicht nur wie ein Wunder, sondern heißt tatsächlic­h ein wenig biblisch „Geldschöpf­ung“. Und die funktionie­rt im Prinzip unglaublic­h einfach.

Sagen wir, jemand geht zur Bank und möchte einen Kredit haben. Der Berater dort prüft die Sicherheit­en und gibt sein Okay. Nun landen, als Beispiel, 100.000 Euro auf dem Konto des Kunden. Jetzt könnte man sagen: Gut, dafür hat die Bank 100.000 Euro

weniger, also ist das ein Nullsummen­spiel. So funktionie­rt das aber nur, wenn der Kreditnehm­er sein

neues Guthaben sofort in bar abhebt. Zunächst hat die Bank eine Forderung an den Häuslbauer über 100.000 Euro in ihrer Bilanz stehen. Und dafür geht sie eine Verpflicht­ung ein, nämlich genau in der

Höhe des Kredits – und die zählt im Kundenverk­ehr auch als Geld. So sind durch einen Computerta­stendruck 100.000 Euro mit dahinterst­ehenden Verpflicht­ungen für Bank und Kreditnehm­er entstanden, die es vorher nicht gab. Und:

Wenn der brave Häuslbauer jetzt seinen Kredit zurückzahl­t, ist die Summe so schnell wieder weg, als ob

es sie nie gegeben hätte. Nur die Zinsen (falls es welche gibt), die bleiben der Bank übrig.

Steigt die Kreditaufn­ahme bei Privatleut­en, Firmen oder Staaten und somit die Geldnachfr­age, steigt auch

die Geldmenge insgesamt (siehe Grafik rechts). Was etwa während der Coronakris­e passiert ist. Es ist auch ein Grund, warum so ein riesiger Anteil allen Geldes der Welt sich in China

befindet (rote Linie). Denn einerseits wuchs die Wirtschaft dort rasant. Und die Chinesen und ihre Unternehme­n haben extrem viel Geld auf Konten liegen oder als Kredit aushaften –

weil es dort weniger Möglichkei­ten gibt, es auf den Kapitalmär­kten (wie der Börse) zu veranlagen oder zu bekommen. Also haben

chinesisch­e Banken extrem fleißig „Geldschöpf­ung“betrieben, vor allem jene Quasi-Geldinstit­ute, die an den Onlineplat­tformen WeChat und Alipay hängen.

Für einen Teil davon, was sie an Verpflicht­ungen für Kontogutha­ben eingeht und an Krediten vergibt, muss eine Bank Reserven bei der EZB halten. Der restliche Teil ist einerseits Vertrauen: darin, dass Schulden zurückgeza­hlt werden und der Geldwert stabil bleibt. Und anderersei­ts Verpflicht­ung: Firmen, die Kredite nicht mehr zurückzahl­en können, werden (mindestens) die Sicherheit­en gepfändet – und Banken, die für die Konten ihrer Kunden nicht mehr

geradesteh­en können, brauchen Notkredite oder müssen zusperren. Und was es auch noch gibt, sind staatliche Auffangnet­ze, wie etwa die Einlagensi­cherung, die alle Bankguthab­en bis 100.000 Euro abdeckt. Am Ende ist Geld aber nichts anderes: Ohne

Vertrauen funktionie­rt die Idee dahinter nicht. So wie bei einem Gedicht von Kurt Schwitters. Es be

ginnt damit, dass vier Maurer ganz selbstvers­tändlich auf einem Dach sitzen. Doch als einer beginnt, die Haltbarkei­t des Dachs in Zweifel zu ziehen, was

in der Erkenntnis „ist doch kein Träger dran!“mündet, da bricht das Dach mit einem lauten Krach.

Von einem massiven Vertrauens­schwund in das Geld kann auch bei der deutlich steigenden

Inflation keine Rede sein. Aber könnte eine anhaltende und steigende Teuerung Zweifel an der längerfris­tigen Stabilität säen? Die

Antwort setzt eine Definition von Inflation voraus. Ökonomen sprechen von einem „aufgeblase­nen“Geldbestan­d (vom lateinisch­en Wort inflare für aufblasen), wenn wichtige Preise über einen gewissen Zeitraum

gleichzeit­ig steigen. Dafür kann es mehrere Ursachen geben. Menschen können mehr kaufen als früher, damit steigen die Preise, wenn sich nicht auch das Angebot erhöht. Oder produziere­nde Firmen erhöhen die Preise, weil ihre Kosten steigen. Das ist aktuell der Fall. Pandemie und Krieg haben die Produktion und Lieferung wichtiger Waren verknappt und unterbroch­en, was sich in steigenden Energiekos­ten und Lebensmitt­elpreisen niederschl­ägt – das treibt aktuell die Inflation weltweit.

Eine anhaltende starke Inflation könnte grundsätzl­ich Zweifel an der jeweiligen Währung aufkommen lassen oder die Flucht in eine andere Währung auslösen. Allerdings sind dafür die aktuellen Niveaus historisch vergleichs­weise gering. Auch wenn die jüngsten Teuerungsr­aten je nach

Währungsra­um die höchsten seit 40 oder gar 50 Jahren sind.

Im Mai stiegen die Verbrauche­rpreise in Österreich um 7,7 Prozent, in Deutschlan­d lag der

Anstieg bei 7,9 Prozent, in den USA sogar bei 8,6 Prozent. Im historisch­en Rückblick sind das freilich keine sonderlich alarmieren­den Werte. Von einer galoppiere­nden Inflation spricht man ab einer Teuerung von mehr als 20 Prozent. Bei über 50 Prozent

kommt der Begriff Hyperinfla­tion ins Spiel. Wobei selbst dieser Wert angesichts von vier- und fünfstelli­gen Inflations­raten etwa in Venezuela – knapp

3000 Prozent 2020, für die Jahre davor nennt der Internatio­nale Währungsfo­nds Werte von über einer Million Prozent – vergleichs­weise zahm klingt.

Von solchen Dimensione­n kann keine Rede sein – auch wenn der Begriff „Rekordinfl­ation“die Runde macht. So häufig ist das der Fall, dass man auch die Verwendung des Worts inflationä­r nennen könnte.

Ob und wann das Vertrauen ins Geld bröckeln könnte, vermag niemand zu sagen. Ernsthaft war das auch vor 40 Jahren nicht der Fall. Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage nach Alternativ­en, wenn

man nicht wieder Muscheln oder Goldstücke als Zahlungsmi­ttel einführen

will. Aber sollte es doch einmal dazu kommen, wäre es wohl ein schrittwei­ser Prozess, sagt Wirtschaft­spsycholog­e Stefan

SchulzHard­t von der

Uni Göttingen. Er zieht einen Vergleich mit jenen Umspringbi­ldern, die je nach Betrachtun­g ein junges Mädchen oder eine ältere Frau zeigen. „Man hält zunächst an der ursprüngli­chen

Wahrnehmun­g fest, aber wenn es immer mehr kleine Änderungen in die andere Richtung gibt, springt die Wahrnehmun­g plötzlich um, man sieht das zweite Bild.“

Inflation ist keineswegs immer böse. In überschaub­arer Größe ist sie durchaus erwünscht. So hat die EZB eine Teuerung von knapp unter zwei Prozent als Idealziel definiert. Das war freilich nicht leicht zu treffen. Jahrelang lag die Inflation im Euroraum

deutlich darunter, jahrelang

galten sogar fallende Preise – also Deflation – als größeres Risiko. Dann kam 2021 die Inflation zurück – für viele überrasche­nd und unbemerkt. Da

kommt ein weiteres psychologi­sches Phänomen ins Spiel, die Geld(wert)illusion. „Menschen neigen dazu, sich an nominellen Werten zu orientiere­n“, sagt

Schulz-Hardt. Das heißt, man vertraut der Aufschrift „100 Euro“auf einem Geldschein mehr als dem abstrakten Wissen, dass der Schein auch bei einer Inflation von drei Prozent an Wert verliert. Dieser Effekt

kann jedoch – wie beim Wahrnehmun­gsbild mit der jungen und der alten Frau – umspringen. Aus der zuvor herrschend­en Illusion der Geldwertst­abilität

wird dann eine Übertreibu­ng in die andere Richtung, also eine gefühlte Inflation, die über der tatsächlic­hen liegt.

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