Hybris treibt es gerade wild
Die alten Griechen hätten es heute schwer, wenn sie sich Geschichten über ihren Götterhimmel ausdenken müssten. Zwar mochten die Abenteuer der Maulhelden und Größenwahnsinnigen
unter den Halb- und Ganzgöttern im Olymp damals noch Erstaunen hervorgerufen haben. Heute aber erscheinen die meisten Taten und Untaten der Protagonisten im und unter dem Olymp im
Vergleich zur Performance der gegenwärtig bestimmenden Narzissten in Politik und Wirtschaft wie kindische Lausbubenstreiche.
Man denke nur an den harmlosen, wenn auch nicht ganz uneitlen Satyr Marsyas. Der fand einmal durch Zufall eine knöcherne Doppelflöte, Aulos genannt, die auf wunderbare Weise herr
liche Klänge hervorzauberte. Und was schlussfolgerte der musikalisch wenig
begabte Marsyas? Er dachte ein bisschen wie ein kleiner Donald Trump, war überzeugt, er wäre ein ganz großer Künstler und könnte sich deshalb mit
Apoll höchstpersönlich, dem Gott der Künste, messen. Die Geschichte endete,
wie sie enden musste: Natürlich gewann der Gott den ungleichen Bewerb. Und zur Strafe hängte Apoll den allzu mutigen Marsyas an einer Fichte auf. Nicht genug, wurde dem kleinen Dolm auch noch die Haut abgezogen.
Psychologen würden das heute wohl als frühes Beispiel für den Dunning-Kruger-Effekt deuten, der besagt, dass Menschen oft ihre eigenen Fähigkeiten
falsch – nämlich viel zu hoch – einschätzen. Man könnte auch sagen, Marsyas
wurde seine eigene Hybris zum Verhängnis. Womit wir bei der aktuellen Tagespolitik wären.
Dort treibt es die Nymphe Hybris, die einst eine Affäre mit Göttervater Zeus
gehabt haben soll, so arg wie lange nicht. Mit dem Unterschied, dass die
von ihr befallenen Irdischen, wie der Diktator von Pjöngjang, nicht mehr mit der wohlklingenden Knochenflöte, sondern mit dem Nuklear-Knopf protzen.
Auf der anderen Seite des Globus ist es nicht viel besser, wo der Herrscher
von Brasilien den Regenwald abfackelt und Milliardäre mit ihren Weltraumausflugsraketen in der Stratosphäre herumfliegen und so die Erderwärmung noch weiter vorantreiben, während dieselbigen zugleich ihren eigenen Exodus vom fiebernden Planeten Erde in irgendwelche fernen Welten planen – von ihren Plänen, sich selbst unsterblich zu machen ganz abgesehen. Dass Peter Thiel, der Trump-Anbeter und neue
Arbeitgeber von Altkanzler Sebastian Kurz, zu diesem Kreis seltsamer Zukunftsvisionäre gehört, passt da gut ins Bild. Ebenso wie jener republikanische
Kongressabgeordnete namens Louie Gohmert aus dem Öl-Staat Texas, der
bei einer Anhörung im Kapitol fragte, ob man nicht die Umlaufbahn des Mondes ändern könne, um dem Klimawandel
etwas entgegenzusetzen. Der legendäre
Flugpionier Ikarus wirkt da vergleichsweise wie ein ganz normaler Bursche, der sich lediglich nach einem kleinen
Abenteuer in den Lüften sehnte und mit seinen Wachsflügeln halt der Sonne ein bisschen zu nah kam.
Und dann ist da zu allem Überdruss jetzt auch noch die fossile Hybris, die mit aller Gewalt durchschlägt, weil ein Gas-Erpresser namens Wladimir Putin
um jeden Preis seine verqueren Großmachtsfantasien durchsetzen will. Mit der Konsequenz, dass in Österreich und
Deutschland just grüne Minister/-innen die Folgen der Öl- und Gaspolitik ihrer
rot-schwarzen Vorgänger ausbaden müssen und – bis vor wenigen Tagen undenkbar – Kohlekraftwerke wieder aus der Versenkung holen. Es scheint, dass es seit der Zeit, als der übermütige Phaethon mit dem Sonnenwagen seines
Vaters den Himmel aufschlitzte und Afrika niederbrannte, nicht mehr so viel Durcheinander gegeben hat auf der Welt
wie in diesen Tagen.