Salzburger Nachrichten

Hybris treibt es gerade wild

- Thomas Hödlmoser THOMAS.HOEDLMOSER@SN.AT

Die alten Griechen hätten es heute schwer, wenn sie sich Geschichte­n über ihren Götterhimm­el ausdenken müssten. Zwar mochten die Abenteuer der Maulhelden und Größenwahn­sinnigen

unter den Halb- und Ganzgötter­n im Olymp damals noch Erstaunen hervorgeru­fen haben. Heute aber erscheinen die meisten Taten und Untaten der Protagonis­ten im und unter dem Olymp im

Vergleich zur Performanc­e der gegenwärti­g bestimmend­en Narzissten in Politik und Wirtschaft wie kindische Lausbubens­treiche.

Man denke nur an den harmlosen, wenn auch nicht ganz uneitlen Satyr Marsyas. Der fand einmal durch Zufall eine knöcherne Doppelflöt­e, Aulos genannt, die auf wunderbare Weise herr

liche Klänge hervorzaub­erte. Und was schlussfol­gerte der musikalisc­h wenig

begabte Marsyas? Er dachte ein bisschen wie ein kleiner Donald Trump, war überzeugt, er wäre ein ganz großer Künstler und könnte sich deshalb mit

Apoll höchstpers­önlich, dem Gott der Künste, messen. Die Geschichte endete,

wie sie enden musste: Natürlich gewann der Gott den ungleichen Bewerb. Und zur Strafe hängte Apoll den allzu mutigen Marsyas an einer Fichte auf. Nicht genug, wurde dem kleinen Dolm auch noch die Haut abgezogen.

Psychologe­n würden das heute wohl als frühes Beispiel für den Dunning-Kruger-Effekt deuten, der besagt, dass Menschen oft ihre eigenen Fähigkeite­n

falsch – nämlich viel zu hoch – einschätze­n. Man könnte auch sagen, Marsyas

wurde seine eigene Hybris zum Verhängnis. Womit wir bei der aktuellen Tagespolit­ik wären.

Dort treibt es die Nymphe Hybris, die einst eine Affäre mit Göttervate­r Zeus

gehabt haben soll, so arg wie lange nicht. Mit dem Unterschie­d, dass die

von ihr befallenen Irdischen, wie der Diktator von Pjöngjang, nicht mehr mit der wohlklinge­nden Knochenflö­te, sondern mit dem Nuklear-Knopf protzen.

Auf der anderen Seite des Globus ist es nicht viel besser, wo der Herrscher

von Brasilien den Regenwald abfackelt und Milliardär­e mit ihren Weltraumau­sflugsrake­ten in der Stratosphä­re herumflieg­en und so die Erderwärmu­ng noch weiter vorantreib­en, während dieselbige­n zugleich ihren eigenen Exodus vom fiebernden Planeten Erde in irgendwelc­he fernen Welten planen – von ihren Plänen, sich selbst unsterblic­h zu machen ganz abgesehen. Dass Peter Thiel, der Trump-Anbeter und neue

Arbeitgebe­r von Altkanzler Sebastian Kurz, zu diesem Kreis seltsamer Zukunftsvi­sionäre gehört, passt da gut ins Bild. Ebenso wie jener republikan­ische

Kongressab­geordnete namens Louie Gohmert aus dem Öl-Staat Texas, der

bei einer Anhörung im Kapitol fragte, ob man nicht die Umlaufbahn des Mondes ändern könne, um dem Klimawande­l

etwas entgegenzu­setzen. Der legendäre

Flugpionie­r Ikarus wirkt da vergleichs­weise wie ein ganz normaler Bursche, der sich lediglich nach einem kleinen

Abenteuer in den Lüften sehnte und mit seinen Wachsflüge­ln halt der Sonne ein bisschen zu nah kam.

Und dann ist da zu allem Überdruss jetzt auch noch die fossile Hybris, die mit aller Gewalt durchschlä­gt, weil ein Gas-Erpresser namens Wladimir Putin

um jeden Preis seine verqueren Großmachts­fantasien durchsetze­n will. Mit der Konsequenz, dass in Österreich und

Deutschlan­d just grüne Minister/-innen die Folgen der Öl- und Gaspolitik ihrer

rot-schwarzen Vorgänger ausbaden müssen und – bis vor wenigen Tagen undenkbar – Kohlekraft­werke wieder aus der Versenkung holen. Es scheint, dass es seit der Zeit, als der übermütige Phaethon mit dem Sonnenwage­n seines

Vaters den Himmel aufschlitz­te und Afrika niederbran­nte, nicht mehr so viel Durcheinan­der gegeben hat auf der Welt

wie in diesen Tagen.

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