Freigesprochen – und dann pleite
Ausbleibende Gerechtigkeit. Wenn ein Verfahren sich ewig zieht, fallen enorme Kosten für den Beschuldigten an. Auch, wenn er nicht verurteilt wird. Und das kann zum Ruin führen. Ein System, das dringend reformiert gehört.
Schwere Vorwürfe waren es, mit denen sich vor einigen Jahren ein Salzburger Bauunternehmer konfrontiert sah. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen betrügerischer
Krida, Gläubigerbegünstigung und grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen. Strafdrohung: bis fünf Jahre Haft. „White-Collar-Crime“, lange Zeit mit dem Image eines Kavaliersdelikts behaftet, ist mittlerweile eine ernste Angelegenheit. Zu Recht. Wer als Geschäftsführer eines Unternehmens Gläubiger schädigt, muss mit empfindlichen Strafen rechnen. Der Ernst der Lage wurde auch dem erfolgreichen Geschäftsmann, plötzlich in die Rolle des Straftäters gedrängt, schlagartig bewusst.
Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, wie lange sich solche Strafverfahren ziehen und wie unglaublich teuer sie sehr schnell
werden können. Denn der Sachverhalt ist meist komplex, Sachverständige müssen sich durch die Akten wühlen, sich einen
Überblick über die umfangreichen Geschäfte der insolventen Gesellschaften verschaffen. In mehreren Prüfschritten gilt es, Ordner voller Rechnungen, Bilanzen und Korrespondenzen zu analysieren.
Ein aufwendiger Prozess, der nur selten einfache Antworten liefert. Im Fall des Salzburger Unternehmers umfasste das Gutachten, welches die Staatsanwaltschaft bei einem Wiener Buchsachverständigen in
Auftrag gab, rund 200 Seiten. Die Kosten allein dafür: fast 20.000 Euro.
Zwei Jahre dauerten die Ermittlungen, bis die Staatsanwaltschaft im Jahr 2019 Anklage erhob. Danach vergingen noch einmal Monate, bis das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen war. Angesichts dieser Zeitspanne wirkt der Ausgang des Verfahrens nach
gerade einmal zwei kurzen Verhandlungstagen fast schon banal: Freispruch in allen
Anklagepunkten. Kein Schuldbeweis. Akte geschlossen.
Mit einem Freispruch fällt klarerweise eine gewaltige Last von den Schultern der
Angeklagten. Doch auf die Euphorie folgt oft rasch Ernüchterung. Und zwar, weil dann die Kosten beglichen werden müssen.
Jedenfalls ist die Frage berechtigt: Wer bezahlt dem Freigesprochenen die Verteidigungskosten? Zufriedenstellende Antworten darauf gibt es nicht, denn das im österreichischen Strafrecht verankerte Modell des Kostenbeitrags hat nur wenig mit ausgleichender Gerechtigkeit zu tun.
Wer von einem Strafgericht verurteilt wird, hat – als Ausdruck des Schuldprinzips
– auch die Kosten des Verfahrens zu bezahlen, Gutachter und Dolmetscher inklusive. Endet ein Verfahren hingegen mit einem Freispruch oder werden die Ermittlungen
vor Anklageerhebung eingestellt, muss der Bund die Gerichtskosten übernehmen. So weit, so klar, so gerecht. Scheinbar.
Denn: Der Bund zahlt nur die Gerichtskosten, nicht auch die Verteidigerkosten. Freigesprochene können zwar innerhalb
von drei Jahren nach dem Urteil einen Antrag auf einen Beitrag zu diesen Kosten stellen – herauskommen tut dabei aber eher eine Art symbolischer Pauschalbetrag, der aktuell zwischen 1000 und 10.000 Euro liegt, je nach Verfahrensart und -umfang.
Bei der Bemessung werden Kriterien wie der Aktenumfang, die Schwierigkeit und
Komplexität der Sach- und Rechtslage und der Umfang und die Dauer des Verfahrens
herangezogen. Hat es sich um einen – aus Sicht des Gerichts – sehr einfachen Verteidigungsfall gehandelt, beträgt der Kostenersatz etwa ein Zehntel des jeweiligen Höchstbetrags. Wie viel der eigene Anwalt und die anderen „Nebengeräusche“tatsächlich gekostet haben? Das ist eigentlich belanglos.
Aber was bedeutet das konkret? Dem
Salzburger Bauunternehmer etwa wurden über Antrag rund 1000 Euro zugesprochen
– die tatsächlichen Anwaltskosten waren zehn Mal so hoch. Und liegen in manchen Fällen sogar noch höher. Ein fairer Ausgleich für erlittenes Unrecht? Darauf
kommt es nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichte und dem Wortlaut der Bestimmung, die vor rund 40 Jahren eingeführt wurde, nicht an.
Die juristische Argumentation lautet so: Der Pauschalbetrag ist ein reiner Beitrag zu den Kosten. Und nicht ein Ersatz der gesamten Verteidigerkosten. Damit unterscheidet sich das österreichische Strafrecht ganz wesentlich vom Zivilrecht, in dem der Grundsatz gilt: Wer einen Prozess verliert, muss dem Gegner die Kosten seiner anwaltlichen
Vertretung bezahlen. 2016 hat das OLG
Graz in einer Entscheidung explizit darauf
hingewiesen, dass der strafprozessuale Kostenersatzanspruch als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren sei und nicht auf Grundsätzen des Schadenersatzrechts beruhe. Es
handle sich um einen verfahrensrechtlichen Nebenanspruch, weil der Staat bei der
Verbrechensverfolgung Hoheitsrechte zum Schutze der Gesellschaft ausübe.
Das Modell ist seit Langem umstritten. 1994 kritisierte es Medienanwalt Ernst Swoboda als „die ganz legale Ausbeutung des Unschuldigen im Strafverfahren“. Bis heute werden in der Literatur Bedenken geäußert, manche bezeichnen die Regelung als verfassungswidrig. Sie kritisieren, dass die Gerichte trotz entsprechend hoher Anwaltskosten nur selten den Höchstbetrag zusprechen würden, die Maximalbeträge zu niedrig angesetzt seien und andere europäische Länder ein gerechteres Entschädigungsregime etabliert hätten. Bislang blieb die Kritik eher folgenlos. Das ist maßgeblich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zurückzuführen. In der Entscheidung Reinmüller gegen Österreich, auf die sich die österreichischen Gerichte stützen, stellte der EGMR im Jahr 2004 fest, dass es nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) kein Recht auf Kostenersatz für Freigesprochene gebe. Vielmehr könnten die Länder die Entschädigungsregeln selbst
festlegen und gestalten. In Österreich gibt es aber keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, einem Angeklagten nach einem Freispruch die gesamten Verteidigerkosten zu erstatten. Aus Sicht der Gerichte ist die österreichische Regelung zum Kostenbeitrag daher auch nicht verfassungswidrig.
Im Zweifel gegen den Angeklagten. Überhaupt keinen Kostenbeitrag gibt es,
wenn das Strafverfahren vor Einbringung einer Anklageschrift oder eines Strafantrags eingestellt wird. So wie unlängst im Fall des
Ex-FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache – als die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) weitere Ermittlungen eingestellt hat, nachdem sie zuvor vermutet hatte, Strache habe sich im Gegenzug für Änderungen beim Glücksspielgesetz einen Urlaub versprechen lassen.
Laut Straches Anwalt sei das schon das fünfte Strafverfahren, welches gegen seinen Mandanten eingestellt wurde. Die Anwaltskosten muss der Verdächtige in
diesem Fall zur Gänze selbst bezahlen.