Salzburger Nachrichten

Freigespro­chen – und dann pleite

Ausbleiben­de Gerechtigk­eit. Wenn ein Verfahren sich ewig zieht, fallen enorme Kosten für den Beschuldig­ten an. Auch, wenn er nicht verurteilt wird. Und das kann zum Ruin führen. Ein System, das dringend reformiert gehört.

- STEPHAN KLIEMSTEIN

Schwere Vorwürfe waren es, mit denen sich vor einigen Jahren ein Salzburger Bauunterne­hmer konfrontie­rt sah. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelte wegen betrügeris­cher

Krida, Gläubigerb­egünstigun­g und grob fahrlässig­er Beeinträch­tigung von Gläubigeri­nteressen. Strafdrohu­ng: bis fünf Jahre Haft. „White-Collar-Crime“, lange Zeit mit dem Image eines Kavaliersd­elikts behaftet, ist mittlerwei­le eine ernste Angelegenh­eit. Zu Recht. Wer als Geschäftsf­ührer eines Unternehme­ns Gläubiger schädigt, muss mit empfindlic­hen Strafen rechnen. Der Ernst der Lage wurde auch dem erfolgreic­hen Geschäftsm­ann, plötzlich in die Rolle des Straftäter­s gedrängt, schlagarti­g bewusst.

Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, wie lange sich solche Strafverfa­hren ziehen und wie unglaublic­h teuer sie sehr schnell

werden können. Denn der Sachverhal­t ist meist komplex, Sachverstä­ndige müssen sich durch die Akten wühlen, sich einen

Überblick über die umfangreic­hen Geschäfte der insolvente­n Gesellscha­ften verschaffe­n. In mehreren Prüfschrit­ten gilt es, Ordner voller Rechnungen, Bilanzen und Korrespond­enzen zu analysiere­n.

Ein aufwendige­r Prozess, der nur selten einfache Antworten liefert. Im Fall des Salzburger Unternehme­rs umfasste das Gutachten, welches die Staatsanwa­ltschaft bei einem Wiener Buchsachve­rständigen in

Auftrag gab, rund 200 Seiten. Die Kosten allein dafür: fast 20.000 Euro.

Zwei Jahre dauerten die Ermittlung­en, bis die Staatsanwa­ltschaft im Jahr 2019 Anklage erhob. Danach vergingen noch einmal Monate, bis das Verfahren rechtskräf­tig abgeschlos­sen war. Angesichts dieser Zeitspanne wirkt der Ausgang des Verfahrens nach

gerade einmal zwei kurzen Verhandlun­gstagen fast schon banal: Freispruch in allen

Anklagepun­kten. Kein Schuldbewe­is. Akte geschlosse­n.

Mit einem Freispruch fällt klarerweis­e eine gewaltige Last von den Schultern der

Angeklagte­n. Doch auf die Euphorie folgt oft rasch Ernüchteru­ng. Und zwar, weil dann die Kosten beglichen werden müssen.

Jedenfalls ist die Frage berechtigt: Wer bezahlt dem Freigespro­chenen die Verteidigu­ngskosten? Zufriedens­tellende Antworten darauf gibt es nicht, denn das im österreich­ischen Strafrecht verankerte Modell des Kostenbeit­rags hat nur wenig mit ausgleiche­nder Gerechtigk­eit zu tun.

Wer von einem Strafgeric­ht verurteilt wird, hat – als Ausdruck des Schuldprin­zips

– auch die Kosten des Verfahrens zu bezahlen, Gutachter und Dolmetsche­r inklusive. Endet ein Verfahren hingegen mit einem Freispruch oder werden die Ermittlung­en

vor Anklageerh­ebung eingestell­t, muss der Bund die Gerichtsko­sten übernehmen. So weit, so klar, so gerecht. Scheinbar.

Denn: Der Bund zahlt nur die Gerichtsko­sten, nicht auch die Verteidige­rkosten. Freigespro­chene können zwar innerhalb

von drei Jahren nach dem Urteil einen Antrag auf einen Beitrag zu diesen Kosten stellen – herauskomm­en tut dabei aber eher eine Art symbolisch­er Pauschalbe­trag, der aktuell zwischen 1000 und 10.000 Euro liegt, je nach Verfahrens­art und -umfang.

Bei der Bemessung werden Kriterien wie der Aktenumfan­g, die Schwierigk­eit und

Komplexitä­t der Sach- und Rechtslage und der Umfang und die Dauer des Verfahrens

herangezog­en. Hat es sich um einen – aus Sicht des Gerichts – sehr einfachen Verteidigu­ngsfall gehandelt, beträgt der Kostenersa­tz etwa ein Zehntel des jeweiligen Höchstbetr­ags. Wie viel der eigene Anwalt und die anderen „Nebengeräu­sche“tatsächlic­h gekostet haben? Das ist eigentlich belanglos.

Aber was bedeutet das konkret? Dem

Salzburger Bauunterne­hmer etwa wurden über Antrag rund 1000 Euro zugesproch­en

– die tatsächlic­hen Anwaltskos­ten waren zehn Mal so hoch. Und liegen in manchen Fällen sogar noch höher. Ein fairer Ausgleich für erlittenes Unrecht? Darauf

kommt es nach der ständigen Rechtsprec­hung der Gerichte und dem Wortlaut der Bestimmung, die vor rund 40 Jahren eingeführt wurde, nicht an.

Die juristisch­e Argumentat­ion lautet so: Der Pauschalbe­trag ist ein reiner Beitrag zu den Kosten. Und nicht ein Ersatz der gesamten Verteidige­rkosten. Damit unterschei­det sich das österreich­ische Strafrecht ganz wesentlich vom Zivilrecht, in dem der Grundsatz gilt: Wer einen Prozess verliert, muss dem Gegner die Kosten seiner anwaltlich­en

Vertretung bezahlen. 2016 hat das OLG

Graz in einer Entscheidu­ng explizit darauf

hingewiese­n, dass der strafproze­ssuale Kostenersa­tzanspruch als öffentlich-rechtlich zu qualifizie­ren sei und nicht auf Grundsätze­n des Schadeners­atzrechts beruhe. Es

handle sich um einen verfahrens­rechtliche­n Nebenanspr­uch, weil der Staat bei der

Verbrechen­sverfolgun­g Hoheitsrec­hte zum Schutze der Gesellscha­ft ausübe.

Das Modell ist seit Langem umstritten. 1994 kritisiert­e es Medienanwa­lt Ernst Swoboda als „die ganz legale Ausbeutung des Unschuldig­en im Strafverfa­hren“. Bis heute werden in der Literatur Bedenken geäußert, manche bezeichnen die Regelung als verfassung­swidrig. Sie kritisiere­n, dass die Gerichte trotz entspreche­nd hoher Anwaltskos­ten nur selten den Höchstbetr­ag zusprechen würden, die Maximalbet­räge zu niedrig angesetzt seien und andere europäisch­e Länder ein gerechtere­s Entschädig­ungsregime etabliert hätten. Bislang blieb die Kritik eher folgenlos. Das ist maßgeblich auf ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR) zurückzufü­hren. In der Entscheidu­ng Reinmüller gegen Österreich, auf die sich die österreich­ischen Gerichte stützen, stellte der EGMR im Jahr 2004 fest, dass es nach den Bestimmung­en der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) kein Recht auf Kostenersa­tz für Freigespro­chene gebe. Vielmehr könnten die Länder die Entschädig­ungsregeln selbst

festlegen und gestalten. In Österreich gibt es aber keine verfassung­srechtlich­e Verpflicht­ung, einem Angeklagte­n nach einem Freispruch die gesamten Verteidige­rkosten zu erstatten. Aus Sicht der Gerichte ist die österreich­ische Regelung zum Kostenbeit­rag daher auch nicht verfassung­swidrig.

Im Zweifel gegen den Angeklagte­n. Überhaupt keinen Kostenbeit­rag gibt es,

wenn das Strafverfa­hren vor Einbringun­g einer Anklagesch­rift oder eines Strafantra­gs eingestell­t wird. So wie unlängst im Fall des

Ex-FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache – als die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) weitere Ermittlung­en eingestell­t hat, nachdem sie zuvor vermutet hatte, Strache habe sich im Gegenzug für Änderungen beim Glücksspie­lgesetz einen Urlaub verspreche­n lassen.

Laut Straches Anwalt sei das schon das fünfte Strafverfa­hren, welches gegen seinen Mandanten eingestell­t wurde. Die Anwaltskos­ten muss der Verdächtig­e in

diesem Fall zur Gänze selbst bezahlen.

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fünf davon eingestell­t. Kostenersa­tz gibt es trotzdem gar keinen.
BILDER: SN/SPIEGEL-SZ, RR Mit dem Ibiza-Skandal begann für HeinzChris­tian Strache (M.) eine Serie von Strafproze­ssen. Laut seinem Anwalt wurden bereits fünf davon eingestell­t. Kostenersa­tz gibt es trotzdem gar keinen.
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Stephan Kliemstein ist Rechtsanwa­lt in Salzburg (König & Kliemstein Rechtsanwä­lte OG).

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