Salzburger Nachrichten

DIE ILLUSTRIER­TE KOLUMNE

- Andrea Maria Dusl

Das Wetter war angenehm im Hochsommer des neuen Jahrzehnts, das politische Großwetter wechselhaf­t. Jimmy Carters USA änderten ihre Atomkriegs­strategie gegenüber Breschnews Sowjetunio­n. Das Hauptgewic­ht eines amerikanis­chen Nuklearsch­lags sollte nun nicht mehr auf den bevölkerun­gsreichen Städten der UdSSR liegen, sondern auf deren Militär- und Kommandoze­ntralen. In der Danziger Lenin-Werft begann ein Streik, der sich auf ganz Polen ausweiten sollte. Die Forderunge­n: mehr Freiheit und bessere Lebensqual­ität. Der westdeutsc­he Bundeskanz­ler Helmut Schmidt sagte ein geplantes Treffen mit DDR-Chef Honecker ab. Noch war alles normal in Österreich. Hochsommer­lich augusthaft, nicht zu kalt, nicht zu warm. Aus

dem Radio blies der Disco-Schlager „Funkytown“der Band Lipps, Inc. Deren Name war ein Wortspiel auf den Begriff „lip-sync“– lippensync­hron.

Der Zeitgeist reagierte österreich­isch. Er sandte den Lippen-Asynchron-Redner (und amtierende­n Bundespräs­identen) Rudolf Kirchschlä­ger in die Funkytown Wels, um gewohnterw­eise die dortige Landwirtsc­haftsmesse zu eröffnen. Schnitzell­ands Oberhaupt reagierte an diesem

29. August 1980 auf den weltpoliti­schen Wetterumsc­hlag. In einer zeitenwend­enden Ansprache erinnerte Kirchschlä­ger daran, dass Sumpfblüte­n unauffälli­g nur in einem Sumpfe wachsen könnten. Man wolle also überall mit der

Trockenleg­ung der Sümpfe beginnen, und weil er, so Kirchschlä­ger weiter, auf einer Landwirtsc­haftsmesse spräche, auch gleich die sauren Wiesen dazunehmen.

Kirchschlä­gers Appell verhallte gehört, aber konsequenz­enlos. Österreich­s saure Sümpfe sind tiefer denn je.

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