DIE ILLUSTRIERTE KOLUMNE
Das Wetter war angenehm im Hochsommer des neuen Jahrzehnts, das politische Großwetter wechselhaft. Jimmy Carters USA änderten ihre Atomkriegsstrategie gegenüber Breschnews Sowjetunion. Das Hauptgewicht eines amerikanischen Nuklearschlags sollte nun nicht mehr auf den bevölkerungsreichen Städten der UdSSR liegen, sondern auf deren Militär- und Kommandozentralen. In der Danziger Lenin-Werft begann ein Streik, der sich auf ganz Polen ausweiten sollte. Die Forderungen: mehr Freiheit und bessere Lebensqualität. Der westdeutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte ein geplantes Treffen mit DDR-Chef Honecker ab. Noch war alles normal in Österreich. Hochsommerlich augusthaft, nicht zu kalt, nicht zu warm. Aus
dem Radio blies der Disco-Schlager „Funkytown“der Band Lipps, Inc. Deren Name war ein Wortspiel auf den Begriff „lip-sync“– lippensynchron.
Der Zeitgeist reagierte österreichisch. Er sandte den Lippen-Asynchron-Redner (und amtierenden Bundespräsidenten) Rudolf Kirchschläger in die Funkytown Wels, um gewohnterweise die dortige Landwirtschaftsmesse zu eröffnen. Schnitzellands Oberhaupt reagierte an diesem
29. August 1980 auf den weltpolitischen Wetterumschlag. In einer zeitenwendenden Ansprache erinnerte Kirchschläger daran, dass Sumpfblüten unauffällig nur in einem Sumpfe wachsen könnten. Man wolle also überall mit der
Trockenlegung der Sümpfe beginnen, und weil er, so Kirchschläger weiter, auf einer Landwirtschaftsmesse spräche, auch gleich die sauren Wiesen dazunehmen.
Kirchschlägers Appell verhallte gehört, aber konsequenzenlos. Österreichs saure Sümpfe sind tiefer denn je.