Schreiben gegen die Spießer
Kampf den Philistern: E. T. A. Hoffmann rechnete mit den Mitteln der Ironie mit seinen Gegnern ab. Vor 200 Jahren verstarb der „Geister-Hoffmann“.
Goethe ließ kein gutes Haar an den Romantikern. Kein Wunder, der Klassiker hatte die Welt einem strengen Ordnungssystem unterworfen, Kunst und Literatur hatten sich dem gefälligst zu fügen. Mit Vernunft und Logik kommt er gut durchs
Leben, alles andere ist ihm bloß überflüssige Spielerei. „Das Romantische ist kein Natürliches, Ursprüngliches“, grantelte er, „sondern ein Gemachtes, ein Gesuchtes, Gesteigertes, Übertriebenes, Bizarres, bis ins Fratzenhafte und Karikaturartige.“Stimmt, und ein poetisches Prinzip steht auch noch dahinter, absichtsvoll und streng kalkuliert ist gestaltet,
was den noch nicht sechzigjährigen Goethe so aufregt. Kein Wunder, orientiert er sich an der Antike, die ihm „nüchtern, modest, gemäßigt“vorkommt, während er den Jungen unterstellt, „ganz zügellos,
betrunken“vorzugehen. Als Goethe sich derart herablassend der kommenden Generation gegenüber
verhielt, hatte E. T. A. Hoffmann, der als „Gespenster-Hoffmann“gern abschätzig beurteilt wurde, noch
gar nichts veröffentlicht. Aber zum Vernichtungsschlag gegen Hoffmann rückte Goethe fünf Jahre
nach dessen Tod aus. „Wir müssen uns von diesen Rasereien lossagen, wenn wir nicht selbst toll werden
wollen.“Von „krankhaften Verirrungen“ist die Rede und „krampfhaften Äußerungen eines vorzüglichen, auf den Tod gefolterten Wesens.“
Das Ideale, wofür Goethe steht, findet sich bei Hoffmann tatsächlich nicht. Und weil das Ideale in der bürgerlichen Lebenswelt, die Hoffmann so gut
kannte, nicht vorgesehen war, wehrte er sich, indem er seinem Unbehagen in einer Prosa Ausdruck verlieh, die sich den Philister, wie in seinem Sprachgebrauch der Spießer genannt wurde, zum Feind erwählte. Dem zahlte er es mit den Mitteln der Ironie kräftig heim, gab ihn der Lächerlichkeit preis und triumphierte so über Engstirnigkeit und Kleingeisterei. Goethe spannte einen Harmoniebogen über die ganze Welt, um Konflikte, Widersprüche und Ungereimtheiten auszugleichen. Hoffmann, zerrissen, wie es dem romantischen Menschen eben ansteht, wurde mit seinen Spannungen nicht fertig. Nicht mit seinen
persönlichen, privaten, nicht mit den politischen. Da gibt es einen Zusammenhang.
Die Welt des E. T. A. Hoffmann ist gespalten. Auf der einen Seite die Philister, die stur an ihrer kleinen Erfahrungswirklichkeit kleben und jede Abweichung
von der Norm für verrückt erklären. Auf der anderen Seite steht der Künstler, der poetische Mensch, der eine Ahnung davon hat und weitergeben möchte, dass es eine Wirklichkeit jenseits der profanen gibt. Sie findet Ausdruck in einer Geister-, Feen- und Dämonenwelt und meint doch die weitgehend unerforschte Innenwelt der Menschen, wo Schrecken und Lust gleichermaßen eingehaust sind. Hoffmann selbst spricht die Duplizität an. In den „Serapionsbrüdern“definiert er sie so: „Es gibt eine innere Welt, und die geistige Kraft, sie in voller Klarheit, in dem
vollendetsten Glanze des regsten Lebens zu schauen, aber es ist unser irdisches Erbteil, dass eben die Außenwelt, in der wir eingeschachtet, als der Hebel wirkt, der jene Kraft in Bewegung setzt.“
„Ein Märchen aus der neuen Zeit“nennt Hoffmann die Geschichte „Der goldne Topf“im Untertitel, ein Hinweis darauf, dass sich sein Publikum nicht aus der Verantwortung schleichen darf und sie als gesellschaftsenthobene Fantasie nimmt. Es geht um das Hier und Jetzt. Ein Riss teilt die Menschen in jene, die nach Geld und Karriere streben, im Inneren aber verkümmern, und die anderen, die ein Gespür entwickeln für Vorgänge, welche dem Alltagsblick verborgen bleiben. Es sind wankelmütige Gestalten, denen Hoffmann den Vorzug gibt, sie finden nicht richtig
rein in den Alltag, sind oft mehr Störfaktoren im Getriebe der Ökonomie als hilfreiche Gestalten des Aufschwungs. Nathanael erlebt Niederlagen aufgrund seiner Ungeschicklichkeit, wohl eine Folge der Unkonzentriertheit. Nach einer Reihe von Missgeschicken lässt er sich unter einem Holunderbaum nieder
und schilt sich als ewigen Versager. Und dann hört er sanfte Stimmen, ein Klingeln und Säuseln, erblickt eine kleine Schlange, und schon ist es um ihn geschehen. Dieses Erlebnis bedeutet für ihn den Eintritt in die Wirklichkeit der Wunder, der Liebe, der Schönheit, davon kommt er nicht mehr los, wird am Ende mit seiner Serpentina im Reich Atlantis sein Glück finden. „Ist denn überhaupt des Anselmus Seligkeit etwas anderes als das Leben in der Poesie, der sich der heilige Einklang aller Wesen als tiefstes Geheimnis der Natur offenbaret?“
Der Schlusssatz steht als Programm für den romantischen Menschen. Die Poesie als die Gegenwelt, in der ein sensibilisiertes Wesen wie Anselmus überhaupt erst zu sich kommt. Und wie reagiert eine „ehrbare Bürgersfrau“, als sie des verzückten Anselmus unterm Holunderbaum gewahr wird? „Der Herr ist wohl nicht recht bei Troste!“Man sieht, diese Dame ist für die Poesie verloren. Ihr Begleiter attestiert ihm Trunkenheit und meint, „so was geschieht den Besten“. Als Zeitkritiker charakterisiert Hoffmann seine Gegenwart als „dürftige armselige Zeit der innern Verstocktheit“. Anselmus bringt ein „kindliches poetisches Gemüt“mit, was ihn zum Gespött des Pöbels prädestiniert.
Romantische Kunst verabschiedet sich vom Grundsatz der Naturnachahmung, was Jean Paul theoretisch so begründet: Die „Nachahmung der Natur ist noch keine Dichtung, weil die Kopie nicht
mehr enthalten kann als das Urbild“. An anderer Stelle hält er fest, Dichtung sei „kein platter Spiegel der Gegenwart, sondern der Zauberspiegel der Zeit,
welche nicht ist“. Damit trifft er die poetischen Vorstellungen Hoffmanns sehr genau. Aus Alltagssituationen lässt er das Unberechenbare, Fantastische erwachsen, die Trennlinie zwischen beiden Bereichen ist unscharf, der Übergang möglich. Zur Überschreitung bedarf es eines wagemutigen Charakters.
Von Philistern wurde Hoffmann heimgesucht, wenn man seine unangenehmen Erfahrungen mit der Zensur beobachtet. Bald nachdem er als Jurist in den Regierungsdienst aufgenommen wurde, verteilte er maskiert Karikaturen hochstehender Persönlichkeiten in Posen. Prompt wurde er ins östliche Grenzgebiet strafversetzt. Kurz vor seinem Tod durfte sein Märchen „Meister Floh“nur zensuriert erscheinen,
weil sich der Berliner Polizei-Ministerialdirektor wiedererkannte und heftig erschrak. Nur seine fortgeschrittene Krankheit ersparte ihm einen Prozess, der ihm die Stelle hätte kosten können. Die vollständige
Ausgabe erschien erst 1908. Eine Notiz aus dem letzten Lebensjahr bringt noch einmal seine Ablehnung
von Einschränkungen zum Ausdruck: „Traum. Die Polizei nimmt alle Uhren von den Türmen herab und
konfisziert alle Uhren, weil die Zeit konfisziert werden soll. Die Polizei bedenkt aber nicht, dass sie selbst nur in der Zeit existiert.“