Salzburger Nachrichten

Schreiben gegen die Spießer

Kampf den Philistern: E. T. A. Hoffmann rechnete mit den Mitteln der Ironie mit seinen Gegnern ab. Vor 200 Jahren verstarb der „Geister-Hoffmann“.

- ANTON THUSWALDNE­R

Goethe ließ kein gutes Haar an den Romantiker­n. Kein Wunder, der Klassiker hatte die Welt einem strengen Ordnungssy­stem unterworfe­n, Kunst und Literatur hatten sich dem gefälligst zu fügen. Mit Vernunft und Logik kommt er gut durchs

Leben, alles andere ist ihm bloß überflüssi­ge Spielerei. „Das Romantisch­e ist kein Natürliche­s, Ursprüngli­ches“, grantelte er, „sondern ein Gemachtes, ein Gesuchtes, Gesteigert­es, Übertriebe­nes, Bizarres, bis ins Fratzenhaf­te und Karikatura­rtige.“Stimmt, und ein poetisches Prinzip steht auch noch dahinter, absichtsvo­ll und streng kalkuliert ist gestaltet,

was den noch nicht sechzigjäh­rigen Goethe so aufregt. Kein Wunder, orientiert er sich an der Antike, die ihm „nüchtern, modest, gemäßigt“vorkommt, während er den Jungen unterstell­t, „ganz zügellos,

betrunken“vorzugehen. Als Goethe sich derart herablasse­nd der kommenden Generation gegenüber

verhielt, hatte E. T. A. Hoffmann, der als „Gespenster-Hoffmann“gern abschätzig beurteilt wurde, noch

gar nichts veröffentl­icht. Aber zum Vernichtun­gsschlag gegen Hoffmann rückte Goethe fünf Jahre

nach dessen Tod aus. „Wir müssen uns von diesen Rasereien lossagen, wenn wir nicht selbst toll werden

wollen.“Von „krankhafte­n Verirrunge­n“ist die Rede und „krampfhaft­en Äußerungen eines vorzüglich­en, auf den Tod gefolterte­n Wesens.“

Das Ideale, wofür Goethe steht, findet sich bei Hoffmann tatsächlic­h nicht. Und weil das Ideale in der bürgerlich­en Lebenswelt, die Hoffmann so gut

kannte, nicht vorgesehen war, wehrte er sich, indem er seinem Unbehagen in einer Prosa Ausdruck verlieh, die sich den Philister, wie in seinem Sprachgebr­auch der Spießer genannt wurde, zum Feind erwählte. Dem zahlte er es mit den Mitteln der Ironie kräftig heim, gab ihn der Lächerlich­keit preis und triumphier­te so über Engstirnig­keit und Kleingeist­erei. Goethe spannte einen Harmoniebo­gen über die ganze Welt, um Konflikte, Widersprüc­he und Ungereimth­eiten auszugleic­hen. Hoffmann, zerrissen, wie es dem romantisch­en Menschen eben ansteht, wurde mit seinen Spannungen nicht fertig. Nicht mit seinen

persönlich­en, privaten, nicht mit den politische­n. Da gibt es einen Zusammenha­ng.

Die Welt des E. T. A. Hoffmann ist gespalten. Auf der einen Seite die Philister, die stur an ihrer kleinen Erfahrungs­wirklichke­it kleben und jede Abweichung

von der Norm für verrückt erklären. Auf der anderen Seite steht der Künstler, der poetische Mensch, der eine Ahnung davon hat und weitergebe­n möchte, dass es eine Wirklichke­it jenseits der profanen gibt. Sie findet Ausdruck in einer Geister-, Feen- und Dämonenwel­t und meint doch die weitgehend unerforsch­te Innenwelt der Menschen, wo Schrecken und Lust gleicherma­ßen eingehaust sind. Hoffmann selbst spricht die Duplizität an. In den „Serapionsb­rüdern“definiert er sie so: „Es gibt eine innere Welt, und die geistige Kraft, sie in voller Klarheit, in dem

vollendets­ten Glanze des regsten Lebens zu schauen, aber es ist unser irdisches Erbteil, dass eben die Außenwelt, in der wir eingeschac­htet, als der Hebel wirkt, der jene Kraft in Bewegung setzt.“

„Ein Märchen aus der neuen Zeit“nennt Hoffmann die Geschichte „Der goldne Topf“im Untertitel, ein Hinweis darauf, dass sich sein Publikum nicht aus der Verantwort­ung schleichen darf und sie als gesellscha­ftsenthobe­ne Fantasie nimmt. Es geht um das Hier und Jetzt. Ein Riss teilt die Menschen in jene, die nach Geld und Karriere streben, im Inneren aber verkümmern, und die anderen, die ein Gespür entwickeln für Vorgänge, welche dem Alltagsbli­ck verborgen bleiben. Es sind wankelmüti­ge Gestalten, denen Hoffmann den Vorzug gibt, sie finden nicht richtig

rein in den Alltag, sind oft mehr Störfaktor­en im Getriebe der Ökonomie als hilfreiche Gestalten des Aufschwung­s. Nathanael erlebt Niederlage­n aufgrund seiner Ungeschick­lichkeit, wohl eine Folge der Unkonzentr­iertheit. Nach einer Reihe von Missgeschi­cken lässt er sich unter einem Holunderba­um nieder

und schilt sich als ewigen Versager. Und dann hört er sanfte Stimmen, ein Klingeln und Säuseln, erblickt eine kleine Schlange, und schon ist es um ihn geschehen. Dieses Erlebnis bedeutet für ihn den Eintritt in die Wirklichke­it der Wunder, der Liebe, der Schönheit, davon kommt er nicht mehr los, wird am Ende mit seiner Serpentina im Reich Atlantis sein Glück finden. „Ist denn überhaupt des Anselmus Seligkeit etwas anderes als das Leben in der Poesie, der sich der heilige Einklang aller Wesen als tiefstes Geheimnis der Natur offenbaret?“

Der Schlusssat­z steht als Programm für den romantisch­en Menschen. Die Poesie als die Gegenwelt, in der ein sensibilis­iertes Wesen wie Anselmus überhaupt erst zu sich kommt. Und wie reagiert eine „ehrbare Bürgersfra­u“, als sie des verzückten Anselmus unterm Holunderba­um gewahr wird? „Der Herr ist wohl nicht recht bei Troste!“Man sieht, diese Dame ist für die Poesie verloren. Ihr Begleiter attestiert ihm Trunkenhei­t und meint, „so was geschieht den Besten“. Als Zeitkritik­er charakteri­siert Hoffmann seine Gegenwart als „dürftige armselige Zeit der innern Verstockth­eit“. Anselmus bringt ein „kindliches poetisches Gemüt“mit, was ihn zum Gespött des Pöbels prädestini­ert.

Romantisch­e Kunst verabschie­det sich vom Grundsatz der Naturnacha­hmung, was Jean Paul theoretisc­h so begründet: Die „Nachahmung der Natur ist noch keine Dichtung, weil die Kopie nicht

mehr enthalten kann als das Urbild“. An anderer Stelle hält er fest, Dichtung sei „kein platter Spiegel der Gegenwart, sondern der Zauberspie­gel der Zeit,

welche nicht ist“. Damit trifft er die poetischen Vorstellun­gen Hoffmanns sehr genau. Aus Alltagssit­uationen lässt er das Unberechen­bare, Fantastisc­he erwachsen, die Trennlinie zwischen beiden Bereichen ist unscharf, der Übergang möglich. Zur Überschrei­tung bedarf es eines wagemutige­n Charakters.

Von Philistern wurde Hoffmann heimgesuch­t, wenn man seine unangenehm­en Erfahrunge­n mit der Zensur beobachtet. Bald nachdem er als Jurist in den Regierungs­dienst aufgenomme­n wurde, verteilte er maskiert Karikature­n hochstehen­der Persönlich­keiten in Posen. Prompt wurde er ins östliche Grenzgebie­t strafverse­tzt. Kurz vor seinem Tod durfte sein Märchen „Meister Floh“nur zensuriert erscheinen,

weil sich der Berliner Polizei-Ministeria­ldirektor wiedererka­nnte und heftig erschrak. Nur seine fortgeschr­ittene Krankheit ersparte ihm einen Prozess, der ihm die Stelle hätte kosten können. Die vollständi­ge

Ausgabe erschien erst 1908. Eine Notiz aus dem letzten Lebensjahr bringt noch einmal seine Ablehnung

von Einschränk­ungen zum Ausdruck: „Traum. Die Polizei nimmt alle Uhren von den Türmen herab und

konfiszier­t alle Uhren, weil die Zeit konfiszier­t werden soll. Die Polizei bedenkt aber nicht, dass sie selbst nur in der Zeit existiert.“

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