Vertrauensvorschuss für Politiker
Der Umgangston in der Politik lässt jede Wirtshausschlägerei zum Kaffeekränzchen verblassen. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.
Wer wissen will, wie Politikverdrossenheit entsteht, braucht nur einen Blick auf die Presseaussendungen zu werfen, die täglich aus den Giftküchen der Parteien kommen. Einige Beispiele der vergangenen Tage: Die designierte neue ÖVP-Volksanwältin Gaby Schwarz hatte noch nicht einmal einen Fuß in ihr neues Amt gesetzt, da wusste der freiheitliche Generalsekretär Schnedlitz bereits, dass es sich bei ihrer Nominierung um einen „schlechten Scherz“und einen „Affront gegenüber dem Volk“
handle. Der Gesundheitsminister hatte kaum das Ende der Impfpflicht verlautbart, kündete der zuständige SPÖ-Sprecher bereits von einem „Höhepunkt des Regierungsversagens“. Klarer Fall auch, zumindest für FPÖ-Chef Kickl, dass das von der Regierung geschnürte Entlastungspaket eine „Mischung aus Unfähigkeit und Bösartigkeit“ist. Und so weiter.
Der Ordnung halber sei vermerkt, dass ÖVP und Grüne, als sie in Opposition saßen (woran sich im Falle der ÖVP freilich nur noch die Älteren unter uns erinnern), ganz ähnliche Aussendungen produzierten. Denn egal, wer gerade die Regierung stellt und wer die Oppositionsbank bevölkert: Die Regierung macht es immer falsch, findet zumindest die Opposition. Und umgekehrt. Denn die Regierungsfraktionen ihrerseits lassen kein gutes Haar an den durchaus vorhandenen sachlichen Vorschlägen der Oppositionsfraktionen. Vielmehr werden diese in der Regel ohne viel Federlesens von der Regierungsmehrheit vom Tisch gewischt.
Was im innenpolitischen Diskurs schmerzlich fehlt, ist ein sachliches Eingehen der politischen Parteien auf die Vorschläge der Konkurrenz. Abwarten, wie sich eine neu bestellte
Volksanwältin in ihrem Amt bewährt? Fehlanzeige. Sachliche Kritik statt polemischer Vernichtung? Fehlanzeige. Keine Zeitung, kein sonstiges Medium urteilt so hart – und ungerecht
Stimmungsmache beschädigt Politik – und Politiker
– über die Politik wie die Politik selbst.
Weil sich diese in einer Blase jenseits des wirklichen Lebens abspielt. Denn im wirklichen Leben würde es selbst härtesten wirtschaftlichen Konkurrenten nicht einfallen, einander in einer solchen Art habituell anzuschütten, zu
beschimpfen und zu kriminalisieren, wie es in der Politik der Fall ist. Weil dadurch ja die ganze Branche in Misskredit geraten würde. Die Politik hingegen findet nichts dabei, ihre ganze Branche in Misskredit zu bringen, und wundert sich dann über steigende Politikverdrossenheit.
Verstärkt wird das durch die in dieser Hinsicht wenig segensreichen sogenannten sozialen Medien. Was sich dort an Gehässigkeit und Intoleranz zusammenballt – übrigens oftmals
gerichtet gegen junge Politikerinnen wie etwa ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner –,
ist Mobbing übelster Sorte. Da wird mit einer Brutalität losgeholzt, die jede Wirtshausschlägerei
zum Kaffeekränzchen verblassen lässt.
Wie sich in den vergangenen Wochen herausgestellt hat, schadet die Stimmungsmache nicht nur der Politik als solcher. Sie beschädigt auch die Politiker, die ja auch – man sollte es
nicht glauben – Menschen sind. Wolfgang Mückstein und Günther Platter sind nur zwei
von mehreren Politikern, die als Mitgrund für ihren Rückzug die Drohungen und Beschimpfungen genannt haben, die sie und vor allem
ihre Familien ertragen mussten. Die grüne Klubchefin Sigrid Maurer musste sich nicht
nur gegen sexistische Beleidigungen, sondern auch gegen körperliche Attacken zur Wehr setzen. Der Bundeskanzler musste hinnehmen, dass der Umstand, dass seine Kinder polizeilichen Schutz brauchen, zum Politikum und Privilegienskandal hochgejazzt wurde.
Es wird Zeit, zu einem halbwegs gesitteten Umgang mit der Politik – und in der Politik – zurückzufinden. Dies nicht nur, weil sich sonst kein halbwegs gesitteter Mensch mehr finden
wird, der freiwillig ein politisches Amt annimmt. Sondern auch, weil dieses blinde verbale Drauflosschlagen unserer demokratischen Kultur kein gutes Zeugnis ausstellt.
Auch Politikerinnen und Politiker haben einen Vertrauensvorschuss verdient. Den nicht nur die Gesellschaft ihnen entgegenbringen muss. Den sie auch einander, über die Parteigrenzen hinweg, gewähren müssen.