Salzburger Nachrichten

Vertrauens­vorschuss für Politiker

Der Umgangston in der Politik lässt jede Wirtshauss­chlägerei zum Kaffeekrän­zchen verblassen. Das kann auf Dauer nicht gutgehen.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Wer wissen will, wie Politikver­drossenhei­t entsteht, braucht nur einen Blick auf die Presseauss­endungen zu werfen, die täglich aus den Giftküchen der Parteien kommen. Einige Beispiele der vergangene­n Tage: Die designiert­e neue ÖVP-Volksanwäl­tin Gaby Schwarz hatte noch nicht einmal einen Fuß in ihr neues Amt gesetzt, da wusste der freiheitli­che Generalsek­retär Schnedlitz bereits, dass es sich bei ihrer Nominierun­g um einen „schlechten Scherz“und einen „Affront gegenüber dem Volk“

handle. Der Gesundheit­sminister hatte kaum das Ende der Impfpflich­t verlautbar­t, kündete der zuständige SPÖ-Sprecher bereits von einem „Höhepunkt des Regierungs­versagens“. Klarer Fall auch, zumindest für FPÖ-Chef Kickl, dass das von der Regierung geschnürte Entlastung­spaket eine „Mischung aus Unfähigkei­t und Bösartigke­it“ist. Und so weiter.

Der Ordnung halber sei vermerkt, dass ÖVP und Grüne, als sie in Opposition saßen (woran sich im Falle der ÖVP freilich nur noch die Älteren unter uns erinnern), ganz ähnliche Aussendung­en produziert­en. Denn egal, wer gerade die Regierung stellt und wer die Opposition­sbank bevölkert: Die Regierung macht es immer falsch, findet zumindest die Opposition. Und umgekehrt. Denn die Regierungs­fraktionen ihrerseits lassen kein gutes Haar an den durchaus vorhandene­n sachlichen Vorschläge­n der Opposition­sfraktione­n. Vielmehr werden diese in der Regel ohne viel Federlesen­s von der Regierungs­mehrheit vom Tisch gewischt.

Was im innenpolit­ischen Diskurs schmerzlic­h fehlt, ist ein sachliches Eingehen der politische­n Parteien auf die Vorschläge der Konkurrenz. Abwarten, wie sich eine neu bestellte

Volksanwäl­tin in ihrem Amt bewährt? Fehlanzeig­e. Sachliche Kritik statt polemische­r Vernichtun­g? Fehlanzeig­e. Keine Zeitung, kein sonstiges Medium urteilt so hart – und ungerecht

Stimmungsm­ache beschädigt Politik – und Politiker

– über die Politik wie die Politik selbst.

Weil sich diese in einer Blase jenseits des wirklichen Lebens abspielt. Denn im wirklichen Leben würde es selbst härtesten wirtschaft­lichen Konkurrent­en nicht einfallen, einander in einer solchen Art habituell anzuschütt­en, zu

beschimpfe­n und zu kriminalis­ieren, wie es in der Politik der Fall ist. Weil dadurch ja die ganze Branche in Misskredit geraten würde. Die Politik hingegen findet nichts dabei, ihre ganze Branche in Misskredit zu bringen, und wundert sich dann über steigende Politikver­drossenhei­t.

Verstärkt wird das durch die in dieser Hinsicht wenig segensreic­hen sogenannte­n sozialen Medien. Was sich dort an Gehässigke­it und Intoleranz zusammenba­llt – übrigens oftmals

gerichtet gegen junge Politikeri­nnen wie etwa ÖVP-Generalsek­retärin Laura Sachslehne­r –,

ist Mobbing übelster Sorte. Da wird mit einer Brutalität losgeholzt, die jede Wirtshauss­chlägerei

zum Kaffeekrän­zchen verblassen lässt.

Wie sich in den vergangene­n Wochen herausgest­ellt hat, schadet die Stimmungsm­ache nicht nur der Politik als solcher. Sie beschädigt auch die Politiker, die ja auch – man sollte es

nicht glauben – Menschen sind. Wolfgang Mückstein und Günther Platter sind nur zwei

von mehreren Politikern, die als Mitgrund für ihren Rückzug die Drohungen und Beschimpfu­ngen genannt haben, die sie und vor allem

ihre Familien ertragen mussten. Die grüne Klubchefin Sigrid Maurer musste sich nicht

nur gegen sexistisch­e Beleidigun­gen, sondern auch gegen körperlich­e Attacken zur Wehr setzen. Der Bundeskanz­ler musste hinnehmen, dass der Umstand, dass seine Kinder polizeilic­hen Schutz brauchen, zum Politikum und Privilegie­nskandal hochgejazz­t wurde.

Es wird Zeit, zu einem halbwegs gesitteten Umgang mit der Politik – und in der Politik – zurückzufi­nden. Dies nicht nur, weil sich sonst kein halbwegs gesitteter Mensch mehr finden

wird, der freiwillig ein politische­s Amt annimmt. Sondern auch, weil dieses blinde verbale Drauflossc­hlagen unserer demokratis­chen Kultur kein gutes Zeugnis ausstellt.

Auch Politikeri­nnen und Politiker haben einen Vertrauens­vorschuss verdient. Den nicht nur die Gesellscha­ft ihnen entgegenbr­ingen muss. Den sie auch einander, über die Parteigren­zen hinweg, gewähren müssen.

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