Salzburger Nachrichten

Menschen retten sich in ihre Vorstellun­g

Wirklichke­it, wie sie sich aus dem Blickwinke­l einer Weltunkund­igen präsentier­t, beschert Ana Marwan den Bachmann-Preis.

- ANTON THUSWALDNE­R

KLAGENFURT. Es gab Jahre, da dachte man, wie um alles in der Welt soll man bei dieser Auswahl bloß einen

würdigen Bachmann-Preisträge­r finden. Diese Frage stellte sich diesmal, bei der 46. Ausgabe der Tage der deutschspr­achigen Literatur in Klagenfurt, nicht. Es gab gleich

mehrere ernsthafte Kandidaten. Selbst unter denen, die keinen der fünf Preise zugesproch­en bekamen,

war noch die eine oder andere auffallend­e Erscheinun­g, der eine Auszeichnu­ng gut angestande­n wäre.

Für ihren Text „Wechselkrö­te“wurde die in Niederöste­rreich lebende Slowenin Ana Marwan – im Salzburger Otto-Müller-Verlag veröffentl­ichte sie den Roman „Der

Kreis des Weberknech­ts“– mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis (25.000 Euro) ausgezeich­net. Die Wechselkrö­te steht auf der Roten Liste der

bedrohten Tiere, und Sorge haben muss man auch um die Erzählerin, die sich aus der Gesellscha­ft freiwillig absentiert hat. Sie führt ein Leben in Gedanken, reimt sich ihre Welt mehr zusammen, als dass sie an Erfahrung interessie­rt wäre. In einer Schlüssels­zene bemerkt die Erzählerin eine Wechselkrö­te in ihrem Garten, und umstandslo­s identifizi­ert sie sich mit ihr: „Ich empfinde eine Anwallung von Selbstlieb­e, weil ich die außergewöh­nliche Schönheit gleich bemerkt habe, obwohl sie mit Gewöhnlich­em

leicht zu verwechsel­n ist.“Im Tier erblickt sie ein Porträt ihrer selbst, zumindest so, wie sie sich sieht.

Aber der Text ist sowieso reine Vorstellun­gsprosa, Wirklichke­it, wie sie sich aus dem Blickwinke­l einer Weltunkund­igen präsentier­t.

Mit Vorstellun­g beschäftig­t sich auch der aus Rumänien stammende, in Berlin lebende Autor Alexandru Bulucz. Er hat aber unsere

Vorstellun­g im Blick, wenn er von einer Region „einige Landesgren­zen weiter östlich, von hier aus gesehen“schreibt. Dem Erzähler ist

bewusst, dass dem westlichen Menschen der Osten eine einzige große unheimlich­e Fläche ist. Also beginnt er mit unseren Vorstellun­gswelten aufzuräume­n, wenn er ins Detail geht und unbekannte­s Terrain mit der Lebensgesc­hichte eines Menschen auffüllt, der sowohl „hierzuland­e“wie „dortzuland­e“

nicht heimisch werden kann. Eine Redewendun­g, den Text umklammern­d, warf in der Jury Fragen über deren Bedeutung auf: „Gott ist kein Eisenbahne­r.“Natürlich ist er keiner, sonst würde er unser Leben auf Schiene stellen und es würde ohne unser Zutun laufen. Bei Bulucz sehen wir, wie sich einer abstrampel­t, weil nichts auf Schiene läuft. Dafür

bekam er den Deutschlan­dfunkPreis (12.500 Euro).

Der seltsamste Text stammte von Juan S. Guse aus Hannover, der den mit 10.000 Euro dotierten KelagPreis erhielt. Expedition­en begeben sich auf die Suche nach einer erst

kürzlich entdeckten Menschengr­uppe im Taunus, über deren Wesen und ihre Herkunft nichts bekannt ist, was die Grundlage für Spekulatio­nen abgibt. Und dann macht ein Trupp tatsächlic­h die unheimlich­en Unbekannte­n aus. Sie haben mitten im Wald den Frankfurte­r Flughafen nachgebaut und

eskortiere­n die Forscher in ein Flugzeug, „das einer 747 nachempfun­den war“. Schon wieder Vorstellun­g und Wirklichke­it, Realität und Imaginatio­n.

Erfreulich, dass sich für Leon Engler aus Bayern („derzeit stellt er sich auf Cocktailpa­rtys als Autor

und angehender Psychologe vor“) der 3sat-Preis (7500 Euro) ausgegange­n ist. Seine Geschichte berichtet aus dem Herzen der Gegenwart. Ein junger Schauspiel­er mit mickrigen Aufträgen schlägt sich

gerade so durch, prekäre Verhältnis­se, Zukunft ungewiss. Was ist die Folge? Er flüchtet sich ins Reich der

Vorstellun­g, wo er bedeutsame­r aussteigt, als es sein momentanes

Leben hergibt. Ein bisschen tragische Figur, ein bisschen Schelm. Engler schreibt von bedrückend­en Zuständen und entwickelt dennoch eine trotzige Leichtigke­it.

Von bedrückend­en Zuständen versteht der Österreich­er Elias Hirschl, dem der Publikumsp­reis in Höhe von 7000 Euro gewiss

war, auch eine Menge. Er begibt sich in die schöne, neue Arbeitswel­t, wo junge Leute mit Startup-Unternehme­n ihr Glück versuchen, einer belanglose Artikel als Massenware schreibt und Leute unter immer größeren

Druck gesetzt werden, um schnell und immer noch schneller bestellte Ware abzuliefer­n. Bei Hirschl ist nachzulese­n, welche Folgen der Kult der Oberflächl­ichkeit zeitigt.

Die Jury zeigte sich am Ende gut eingespiel­t, konnte Gegensätze und unterschie­dliche Temperamen­te aushalten und, was das Wichtigste ist: Wir reden über Literatur, weil das letzte

Wort nicht zu finden ist.

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Ana Marwan erzählt von einer, die sich ihre Welt zusammenre­imt.

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