Ein Medikament bringt Hoffnung bei Depression
Eine Studie erklärt die Wirkung des bereits zugelassenen Medikaments Ketamin. Die Erkenntnisse könnten künftige Behandlungen verbessern.
Eigentlich ist Ketamin ein bekanntes Anästhetikum und als Partydroge mit halluzinogener Wirkung berüchtigt. 2017 stellte es das „Time Magazine“jedoch als „neue
Hoffnung bei Depressionen“vor. Zwei Jahre später kam das erste Antidepressivum auf Ketaminbasis als Nasenspray heraus. Dennoch schränkt die US-Behörde für die Zulassung von Arzneimitteln, FDA, die
Verwendung des Sprays bis heute ein. Eine neue deutsch-israelische Studie könnte das ändern.
Ende 2019 ließ die Europäische Kommission den esketaminhaltigen Nasenspray „Spravato“der Firma Janssen-Cilag zur Behandlung schwerer Depressionen zu. Esketamin ist eine molekulare Form von Ketamin. Der Nasenspray darf bislang allerdings nur in Kombination mit einem weiteren Antidepressivum eingesetzt werden und muss von medizinischem Personal verabreicht werden. Momentan wird er sowohl in den USA als auch in Europa vor allem depressiven Patienten verabreicht, denen andere Therapien nicht geholfen haben. Einer der Gründe ist, dass der Wirkmechanismus unzureichend verstanden
wird, was zu Bedenken bei der Sicherheit führt.
Die Forschung aus Israel erläutert zum ersten Mal exakt, wie Ketamin wirkt. Sie wurde am Weizmann-Institut für Wissenschaften in Rechowot und am Max-PlanckInstitut für Psychiatrie in München
in Zusammenarbeit mit dem Münchener Helmholtz-Zentrum durchgeführt und ist im Fachmagazin „Neuron“veröffentlicht worden.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit fast 300 Millionen Menschen von Depressionen betroffen. Seit der Zulassung von Prozac in 1987, dem berühmtesten Antidepressivum, gab es keine größeren Durchbrüche mehr bei der Behandlung von Depressionen. Doch die bestehenden Medikamente bringen bei rund einem Drittel der Patienten keine Linderung. Selbst wenn es eine Wirkung gibt, dauert es oft vier bis acht Wochen, bis sie einsetzt.
Das ist der Grund für die große Hoffnung auf ketaminbasierte Therapien: Mit ihnen fühlten sich die Betroffenen innerhalb von Stunden
besser, heißt es aus dem Weizmann-Institut. Darüber hinaus halte die antidepressive Wirkung noch
Tage an, nachdem das Medikament aus dem Körper ausgeschieden ist. Offenbar ist es die Reaktion auf Ketamin und nicht das Ketamin selbst, die die gewünschte Wirkung hervorruft. Bislang war die Art dieser Reaktion unklar.
Wissenschafter in früheren Studien hätten versucht, den Wirkungsmechanismus zu klären, indem sie seinen Einfluss auf die Genexpression in Gehirngeweben untersuchten – aber nicht in einzelnen Gehirnzellen. Jüngste technologische Fortschritte machen es möglich, jede einzelne Zelle zu bewerten. Diese Technologien wurden in der Weizmann-Studie unter der Leitung von Alon Chen eingesetzt.
Die Forscher des Teams von Juan Pablo Lopez aus dem WeizmannInstitut kartierten schließlich die Genexpression in Tausenden einzelner Neuronen im Gehirn von Mäusen, denen eine Dosis Ketamin
verabreicht worden war. Da Ketamin jedoch noch lang nach Ausscheiden nachwirke, habe die Wirkung nicht durch die bloße Blockierung von Glutamatrezeptoren auf den Oberflächen von Neuronen erklärt werden können, führt Lopez aus. In einer Reihe aufwendiger Experimente auf molekularer und zellulärer Ebene bestätigten die Wissenschafter schließlich ihre Erkenntnis: „Ketamin übt seine anhaltende antidepressive Wirkung aus, indem es Kaliumkanäle in einem bestimmten Subtyp von Neuronen verstärkt.“
Die Forschenden testeten dann die Wirkung von Ketamin in Kombination mit einem Epilepsiemedikament, Retigabin, von dem bekannt ist, dass es diese Kaliumkanäle im Gehirn aktiviert. Wurden die Medikamente zusammen verabreicht, verstärkte es „die antidepressive
Wirkung von Ketamin signifikant“. Darüber hinaus zeige Ketamin auch in kleineren Dosen als üblich Wirkung, weiß Lopez. „Das kann die unerwünschten Nebenwirkungen reduzieren.“Da beide Medikamente bereits von der FDA zugelassen sind, sei der Weg offen, ihre kombinierte Wirkung am Menschen zu testen. Retigabin wurde 2011 auch EU-weit zugelassen, 2017 jedoch
weltweit vom Markt genommen, nachdem der Nutzen infrage gestellt worden war.
„Ketamin übt eine anhaltend antidepressive Wirkung aus.“Juan Pablo Lopez, Forscher