Mit voller Kraft zurück in die Überwachung
Eine neue Art von Kulturkampf hat auch den deutschsprachigen Raum erreicht. Er wird auf dem Feld der Sprache ausgetragen.
SALZBURG. Die Ideologiemonster sind wieder unter uns, so repressiv
wie eh und je, so selbstgewiss wie in den schlimmsten Zeiten der Gedankenkontrolle, so unerbittlich
wie aus der Geschichte bekannt. Diskussionen sind schwer möglich,
weil Argumente nicht ziehen, wenn sich die andere Seite im Besitz der
letztgültigen Wahrheit weiß. Es ist erstaunlich, dass nach den Erfahrungen der Aufklärung, wonach der Zweifel der selbstverständliche Zaungast im Entwickeln von Gedanken und Ideen ist, ein derartiger Rigorismus im intellektuellen Milieu eingezogen ist. Matthias Politycki weiß, wovon er redet, wenn er
begründet, warum er Deutschland in Richtung Wien verlassen hat, wo
Debatten noch weniger erbittert geführt werden. „Das Besserwisserische, Überhebliche, Hochfahrende
ist neu“, schreibt er. „Heute soll der andere als schlechter Mensch enttarnt werden.“Das beginnt mit dem Gendern. Politycki reichte es, als er
in einer Aussendung lesen musste, dass die Störchinnen und Störche
wieder zurück seien. So viel vorauseilender Gendergehorsam ist der duckmäuserische Triumph der Kleingeisterei über die Vernunft.
Der Sprachgebrauch wird staatlich nicht sanktioniert, eine kleine Gruppe von Aktionisten wacht darüber. Die Gesellschaft spielt mit,
um nicht unter Verdacht zu geraten, rückständig und reaktionär zu sein. Dass Politycki dazu Orwells Roman „1984“einfällt, liegt nahe. Die Art
der Sprachüberwachung in jenem autoritären Staat führt er beklemmend anschaulich mit jener von
heute zusammen. Für die Literatur, den Raum der Freiheit, hat das katastrophale Folgen. Klassiker werden gesichtet auf ihre Schädlichkeit für
heutige Leser und mit dem Furor eines engstirnigen Zensors bereinigt. Das zeugt von einem erschreckend unhistorischen Gedächtnis. Dazu kommt, dass sich heute jeder
überlegen muss, was er überhaupt schreiben darf. Politycki, weit gereist, fasziniert von Afrika, suchte mit der Kultur und der Bevölkerung in ein Naheverhältnis zu kommen. Eine seiner Aufgaben sah er darin, zu vermitteln und Verständnis für die Fremde zu fördern.
Ein Weißer schreibt über Afrika? Das geht für die Hüter des engstirnigen Moralverständnisses gar nicht. Tatsächlich schrieb Politycki zuletzt den Roman „Das kann uns keiner nehmen“, der im Kilimandscharo-Massiv angesiedelt war und mit
Witz und Biss das Verhältnis von
Weißen und Schwarzen untersuchte. Das missfällt den Sittenwächtern der Kultur, weil ein Deutscher automatisch auf den KolonisatorenStandpunkt verwiesen wird, dem es
verboten werden soll, über Afrikaner zu schreiben. Das zum Thema Freiheit aus der Sicht von Rettern der Unterdrückten. Schlimm, wenn das zu Selbstzensur führt, sodass Bücher aus Angst, bloßgestellt zu werden, ungeschrieben bleiben.
Es passt zur wehleidigen Gesellschaft, dass ein neuer Berufszweig
drauf und dran ist, sich durchzusetzen, der „Sensitivity Reader“. „Er
wird gebucht, um ein fertig geschriebenes und womöglich schon
lektoriertes Manuskript noch einmal unter dem Gesichtspunkt zu
überprüfen, ob es irgendwo Anlass für Empörung bieten könnte.“