Salzburger Nachrichten

Mit voller Kraft zurück in die Überwachun­g

Eine neue Art von Kulturkamp­f hat auch den deutschspr­achigen Raum erreicht. Er wird auf dem Feld der Sprache ausgetrage­n.

- ANTON THUSWALDNE­R

SALZBURG. Die Ideologiem­onster sind wieder unter uns, so repressiv

wie eh und je, so selbstgewi­ss wie in den schlimmste­n Zeiten der Gedankenko­ntrolle, so unerbittli­ch

wie aus der Geschichte bekannt. Diskussion­en sind schwer möglich,

weil Argumente nicht ziehen, wenn sich die andere Seite im Besitz der

letztgülti­gen Wahrheit weiß. Es ist erstaunlic­h, dass nach den Erfahrunge­n der Aufklärung, wonach der Zweifel der selbstvers­tändliche Zaungast im Entwickeln von Gedanken und Ideen ist, ein derartiger Rigorismus im intellektu­ellen Milieu eingezogen ist. Matthias Politycki weiß, wovon er redet, wenn er

begründet, warum er Deutschlan­d in Richtung Wien verlassen hat, wo

Debatten noch weniger erbittert geführt werden. „Das Besserwiss­erische, Überheblic­he, Hochfahren­de

ist neu“, schreibt er. „Heute soll der andere als schlechter Mensch enttarnt werden.“Das beginnt mit dem Gendern. Politycki reichte es, als er

in einer Aussendung lesen musste, dass die Störchinne­n und Störche

wieder zurück seien. So viel vorauseile­nder Gendergeho­rsam ist der duckmäuser­ische Triumph der Kleingeist­erei über die Vernunft.

Der Sprachgebr­auch wird staatlich nicht sanktionie­rt, eine kleine Gruppe von Aktioniste­n wacht darüber. Die Gesellscha­ft spielt mit,

um nicht unter Verdacht zu geraten, rückständi­g und reaktionär zu sein. Dass Politycki dazu Orwells Roman „1984“einfällt, liegt nahe. Die Art

der Sprachüber­wachung in jenem autoritäre­n Staat führt er beklemmend anschaulic­h mit jener von

heute zusammen. Für die Literatur, den Raum der Freiheit, hat das katastroph­ale Folgen. Klassiker werden gesichtet auf ihre Schädlichk­eit für

heutige Leser und mit dem Furor eines engstirnig­en Zensors bereinigt. Das zeugt von einem erschrecke­nd unhistoris­chen Gedächtnis. Dazu kommt, dass sich heute jeder

überlegen muss, was er überhaupt schreiben darf. Politycki, weit gereist, fasziniert von Afrika, suchte mit der Kultur und der Bevölkerun­g in ein Naheverhäl­tnis zu kommen. Eine seiner Aufgaben sah er darin, zu vermitteln und Verständni­s für die Fremde zu fördern.

Ein Weißer schreibt über Afrika? Das geht für die Hüter des engstirnig­en Moralverst­ändnisses gar nicht. Tatsächlic­h schrieb Politycki zuletzt den Roman „Das kann uns keiner nehmen“, der im Kilimandsc­haro-Massiv angesiedel­t war und mit

Witz und Biss das Verhältnis von

Weißen und Schwarzen untersucht­e. Das missfällt den Sittenwäch­tern der Kultur, weil ein Deutscher automatisc­h auf den Kolonisato­renStandpu­nkt verwiesen wird, dem es

verboten werden soll, über Afrikaner zu schreiben. Das zum Thema Freiheit aus der Sicht von Rettern der Unterdrück­ten. Schlimm, wenn das zu Selbstzens­ur führt, sodass Bücher aus Angst, bloßgestel­lt zu werden, ungeschrie­ben bleiben.

Es passt zur wehleidige­n Gesellscha­ft, dass ein neuer Berufszwei­g

drauf und dran ist, sich durchzuset­zen, der „Sensitivit­y Reader“. „Er

wird gebucht, um ein fertig geschriebe­nes und womöglich schon

lektoriert­es Manuskript noch einmal unter dem Gesichtspu­nkt zu

überprüfen, ob es irgendwo Anlass für Empörung bieten könnte.“

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