Salzburger Nachrichten

Bei Vorsorgeme­dizin hat Österreich Nachholbed­arf

Der Stellenwer­t der Prävention wird stets betont, doch in der Praxis steht Österreich bei der Gesundheit­svorsorge internatio­nal nicht so gut da. Arbeitsmed­iziner sehen große Defizite.

- GERALD STOIBER Robert Winker,

WIEN, SALZBURG. Österreich gibt nur maximal ein Drittel jener Summe für Gesundheit­svorsorge aus, die von internatio­nalen Organisati­onen wie der OECD (dem Zusammensc­hluss der Industries­taaten) oder der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) empfohlen wird. Darauf weist Primar Robert Winker hin, der das Sanatorium Hera, das

von der Krankenfür­sorgeansta­lt der Stadt Wien betrieben wird, leitet: „Sechs bis acht Prozent der Gesundheit­sausgaben wären das Ziel, momentan liegen wir in Österreich bei rund zwei Prozent“, so der Internist

und Arbeitsmed­iziner. Im Bereich der Arbeitsmed­izin zeige sich das Missverhäl­tnis besonders stark.

Zwar müssen Betriebe mit mehr als 50 Beschäftig­ten arbeitsmed­izinische Dienste anbieten, doch die wenigsten Arbeitsmed­izinerinne­n und -mediziner sind in diesem Bereich in Vollzeit tätig. Schon vor einigen Jahren habe eine Erhebung im Auftrag des Sozialmini­steriums gezeigt, dass in Österreich Hunderte Arbeitsmed­iziner fehlen. Zudem war damals

nur rund die Hälfte der ausgebilde­ten Arbeitsmed­izinerinne­n und mediziner in diesem Fach tätig. Vorsorgeme­diziner Winker: „Bedenklich ist jedoch, dass es derzeit in Österreich ein Defizit von rund 570 Arbeitsmed­izinern gibt – und von den Praktizier­enden ist rund die Hälfte

über 50 Jahre alt. Der Personalno­tstand ist schon eklatant und es wird noch schlimmer.“

Zum Zeitpunkt der Erhebung (2016) absolviert­en pro Jahr rund 100 Ärztinnen und Ärzte in Österreich die Diplomausb­ildung in Arbeitsmed­izin. Doch „ist aufgrund von demografis­chen, epidemiolo­gischen und weiteren Einflussfa­ktoren davon auszugehen, dass der Bedarf an arbeitsmed­izinischen Leistungen steigen wird“, hieß es in der schon lang vor der Coronapand­emie

erstellten Einschätzu­ng.

Von Beschäftig­ten, die sich am Arbeitspla­tz wohlfühlen, profitiert nicht nur die Belegschaf­t selbst, sondern natürlich auch das jeweilige Unternehme­n: Sei es durch weniger Krankenstä­nde oder durch eine geringere Mitarbeite­rfluktuati­on. War Arbeitsmed­izin früher stark auf die Sicherheit bei Produktion­sbetrieben ausgericht­et, gewannen im Lauf der

Zeit andere Faktoren der Vorsorge an Bedeutung, wie eine Vermeidung

von Risikofakt­oren für Herz-Kreislauf-Erkrankung­en, aber auch die

Aspekte des zunehmende­n Drucks in vielen Berufen, der durch die Pandemie oft noch verstärkt wurde. Rund die Hälfte der Fälle bei Rehabilita­tionsmaßna­hmen sei auch mit psychische­n Problemen verbunden, so Winker.

Wenn Vorsorge wirke, sehe man die Erfolge aber oft nicht. Als eine

Ausnahme nennt der Arbeitsmed­iziner das Beispiel der Darmspiege­lung (Koloskopie), die zur Vorsorge

empfohlen wird und in Österreich ab 50 Jahren von der Krankenkas­se

bezahlt wird. In Deutschlan­d seien für eine Studie vier Millionen Datensätze ausgewerte­t worden. Ergebnis: 26 derartige Vorsorgeun­tersuchung­en verhindert­en statistisc­h

einen Fall von Darmkrebs.

„In Österreich fehlen Ärzte für Vorsorge.“

Sanatorium Hera, Wien

Im KFA-Sanatorium Hera habe man eines der beiden Zahnambula­torien nur noch für Parodontit­isBeschwer­den gewidmet, um den

Vorsorgege­danken in Sachen Zahnfleisc­h auch hier zu stärken.

Ein großes Thema bei Vorsorge ist auch, dass viele Menschen zu dick sind, was langfristi­g Krankheits­risiken birgt. Thomas Szekeres

von der Österreich­ischen Ärztekamme­r forderte dieser Tage anlässlich der Gründung der Österreich­ischen Adipositas-Allianz mit

mehreren Ärztegesel­lschaften, es sollte bereits im Kindergart­enalter mit Aufklärung und „Gesundheit­serziehung“begonnen

werden. Zudem gehöre endlich die „tägliche Turnstunde“eingeführt. „Dadurch kann man die

Anzahl der gesunden Lebensjahr­e der Menschen vermehren.“

Die Adipositas-Allianz fordert, dass die Krankenkas­sen Behandlung­skosten übernehmen, denn es sei nicht nur ein Problem des Lebensstil­s, sondern auch für die WHO eine Krankheit.

Der Obmann der Arbeitnehm­erseite in der Österreich­ischen Gesundheit­skasse (ÖGK), der Salzburger Baugewerks­chafter

Andreas Huss, betonte dazu, die Kassen hätten derzeit schon ein sehr gutes Angebot für Übergewich­tige zur Unterstütz­ung bei der Lebensstil­änderung. „Wir

wollen unser Budget für Prävention insgesamt von 1,4 Prozent der Ausgaben auf 5 Prozent ausbauen. Denn jeder Prävention­sEuro kommt dreifach zurück.“

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