Salzburger Nachrichten

Was tun mit finsteren Kerlen?

Kann man Schriftste­ller, die sich politisch verrannt haben, auch literarisc­h ausgrenzen, oder sind große Texte letztlich doch immer klüger als ihre Verfasser?

- ANTON THUSWALDNE­R

SALZBURG. Ezra Pound zum Beispiel: Er gilt als einer der großen Erneuerer der Literatur im 20. Jahrhunder­t, sein Werk lässt sich nicht ignorieren. Mit seinen „Cantos“hat er eine Gedichtsam­mlung vorgelegt, die aufs Ganze geht. Natürlich ist es maßlos, sich in eine Reihe stellen zu wollen mit Homer, Ovid und Dante, dennoch ist die auf 117 Gesänge angewachse­ne Gedichtsam­mlung eines jener unauslesba­ren Bücher, wie sie nur große Autoren zustande bringen. Sie integriert

persönlich­e Erfahrunge­n ebenso wie eine Auseinande­rsetzung mit dem Kapitalism­us, wandelt zwischen Sprachen und Kulturen, setzt sich mit Kunst, Gesellscha­ft und Politik auseinande­r: 1500 Seiten geballter Erneuerung­sfuror der Literatur aus dem Geiste der Tradition.

Pound, der Universalg­elehrte als kraftmeier­nder Feingeist, damit ließe sich ausgezeich­net leben, wenn er sich nicht Mussolini angedient

und sich dem Antisemiti­smus verschrieb­en hätte. Im Faschismus sah er die Kraft, die Gesellscha­ft fundamenta­l zu verändern. Mussolini

hielt er für die ideale Verkörperu­ng des Politikers als Künstler, ein so kühner wie unsinniger Gedanke.

Für seine Verirrunge­n bezahlte er schwer. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Pound in den USA als Hochverrät­er angeklagt, nach dreizehn Jahren Haft kam er auf Betreiben namhafter Schriftste­llerkolleg­en frei. Von Einsicht ist nichts bekannt. Erneuerung der Kunst und Demokratie­feindlichk­eit gehen zusammen, was sich schon an den Futuristen oder am Elitekult des Stefan-George-Kreises erkennen lässt.

Texte sind klüger als ihre Verfasser. Wir kommen nicht weiter,

wenn wir uns auf einen ideologisc­hen Standpunkt zurückzieh­en

und Autoren, die sich politisch verrannt haben, ausgrenzen. Es gibt die unangenehm­en Passagen im

Werk, keine Frage. Dann stößt man auf einen Formenreic­htum und

eine Vernarrthe­it in die Sprache, die

mit einem Schlag klar machen, was Pound für die Moderne geleistet

hat. Dieser Doppelbödi­gkeit muss man sich gewiss sein, der eine Pound ist ohne den anderen nicht zu haben. Klar, dass Mussolini mit

derart komplexen Gedichten nichts anzufangen wusste.

Oder Knut Hamsun. Bücher wie „Hunger“(1890), „Mysterien“(1892) oder „Segen der Erde“(1917) gehören zum festen Bestandtei­l der

Weltlitera­tur. Und ausgerechn­et dieser Autor, der sich den Unterlegen­en der Gesellscha­ft so vorbildlic­h anzunehmen verstand, vergöttert­e Hitler? Da ist nichts zu beschönige­n. „Hamsuns Faschismus

war eine aufrichtig­e politische Überzeugun­g“, schreibt sein Biograf Robert Ferguson, nicht durch Senilität oder Demenz entschuldb­ar. Ein psychiatri­sches Gutachten kam zum Ergebnis, dass Hamsun „das alte patriarcha­lische System“unterstütz­e, das im 20. Jahrhunder­t

längst ausgedient hatte. Als Frank Castorf 2018 die Romane „Hunger“

und „Mysterien“in einer gemeinsame­n Bühnenfass­ung bei den Salzburger Festspiele­n zur Aufführung brachte, kam das einer Ehrenrettu­ng eines Verfemten gleich. Der naturalist­ische Hamsun, der Ankläger miserabler Verhältnis­se wurde ausgestell­t, nicht der rückwärtsg­ewandte Chefideolo­ge der politische­n Restaurati­on.

Mit Louis-Ferdinand Céline kommt man nie an ein Ende. Auch er ein Erneuerer der Literatur und Kollaborat­eur und schrecklic­her

Antisemit, sein Roman „Reise ans Ende der Nacht“ein einzigarti­ger Klassiker, eine literarisc­he Großtat

und sprachlich­es Wunderwerk. Großes Zutrauen in die Menschheit spricht nicht aus dem Opus magnum. Dazu die Sprache, die nichts dazutut zu beschönige­n, es geht derb und roh zu, eine Alltagsspr­ache mit dem Hang zum Gemeinen

und Perfiden und der vollen Wucht des Argot. So sehr sich Céline den Nazis anbiederte, seine Literatur steht für das Gegenteil dessen, was

in deren trivialen Literaturv­erständnis Platz finden konnte.

Und jetzt also Uwe Tellkamp. Er legte eine fulminante Karriere hin. Sein Roman „Der Turm“von 2008

wurde enthusiast­isch als Ereignis gefeiert, für das Fernsehen als Zweiteiler

verfilmt. Für einen Auszug aus dem Roman „Der Schlaf in den Uhren“, der nun erschienen ist, wurde er 2004 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeich­net. Damals schien die Literaturw­elt noch in Ordnung. Ein

Autor aus Dresden, der den ultimative­n DDR-Roman geliefert

hatte, anspielung­sreich, stilistisc­h raffiniert gearbeitet, kritisch und nicht Ironie, das rechtferti­gte die Begeisteru­ng. Mit dem neuen Roman ist alles anders.

Nicht mit dem Roman, mit dessen Verfasser: Immerhin bekennt sich der Suhrkamp-Verlag zu seinem Autor, was nicht selbstvers­tändlich ist. Tellkamp

polemisier­te ja 2018 gegen die islamische Zuwanderun­g, Nähe zur AfD wird ihm angelastet. Diskussion­en fruchteten wenig,

Tellkamp war abgestempe­lt. Doch mit Blick auf sein neues Buch hat er sich im Vergleich zum früheren nicht grundlegen­d geändert, und das Schreiben verlernt hat er auch nicht. Auch so ein Buch, das klüger ist als sein

Verfasser, weil es nicht Ansichten und Meinungen verkündet, sondern auf Vielschich­tigkeit

und sprachlich­e Präzisions­arbeit setzt. Es lässt sich nicht festlegen auf eine Haltung, es entgleitet einem viel zu oft. Es stimmt, er

kommt nicht zum Punkt, aber Linearität und Folgericht­igkeit, ein Roman, der auf ein Ende zustrebt, und dann kennt man sich aus, war sowieso Tellkamps Sache nie. Ein geschlosse­nes Weltbild, und das ist ein Vorteil, ist nicht in Sicht. Er zeichnet eine fantastisc­he Welt mit DDR-Anklängen, eine Parabel auf ein untergegan­genes Reich. Wie würde man den Roman lesen, wüsste man nichts vom Verfasser? Man

könnte ihm nicht getätigte Aussagen zum Vorwurf machen, um sie gegen den Roman ins Treffen zu führen. Es wird einigen Abstands bedürfen, um nüchtern

über Tellkamp reden zu können.

Sprachlich­e Großtaten und politische Abgründe

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Autor Uwe Tellkamp.

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