Was tun mit finsteren Kerlen?
Kann man Schriftsteller, die sich politisch verrannt haben, auch literarisch ausgrenzen, oder sind große Texte letztlich doch immer klüger als ihre Verfasser?
SALZBURG. Ezra Pound zum Beispiel: Er gilt als einer der großen Erneuerer der Literatur im 20. Jahrhundert, sein Werk lässt sich nicht ignorieren. Mit seinen „Cantos“hat er eine Gedichtsammlung vorgelegt, die aufs Ganze geht. Natürlich ist es maßlos, sich in eine Reihe stellen zu wollen mit Homer, Ovid und Dante, dennoch ist die auf 117 Gesänge angewachsene Gedichtsammlung eines jener unauslesbaren Bücher, wie sie nur große Autoren zustande bringen. Sie integriert
persönliche Erfahrungen ebenso wie eine Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus, wandelt zwischen Sprachen und Kulturen, setzt sich mit Kunst, Gesellschaft und Politik auseinander: 1500 Seiten geballter Erneuerungsfuror der Literatur aus dem Geiste der Tradition.
Pound, der Universalgelehrte als kraftmeiernder Feingeist, damit ließe sich ausgezeichnet leben, wenn er sich nicht Mussolini angedient
und sich dem Antisemitismus verschrieben hätte. Im Faschismus sah er die Kraft, die Gesellschaft fundamental zu verändern. Mussolini
hielt er für die ideale Verkörperung des Politikers als Künstler, ein so kühner wie unsinniger Gedanke.
Für seine Verirrungen bezahlte er schwer. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Pound in den USA als Hochverräter angeklagt, nach dreizehn Jahren Haft kam er auf Betreiben namhafter Schriftstellerkollegen frei. Von Einsicht ist nichts bekannt. Erneuerung der Kunst und Demokratiefeindlichkeit gehen zusammen, was sich schon an den Futuristen oder am Elitekult des Stefan-George-Kreises erkennen lässt.
Texte sind klüger als ihre Verfasser. Wir kommen nicht weiter,
wenn wir uns auf einen ideologischen Standpunkt zurückziehen
und Autoren, die sich politisch verrannt haben, ausgrenzen. Es gibt die unangenehmen Passagen im
Werk, keine Frage. Dann stößt man auf einen Formenreichtum und
eine Vernarrtheit in die Sprache, die
mit einem Schlag klar machen, was Pound für die Moderne geleistet
hat. Dieser Doppelbödigkeit muss man sich gewiss sein, der eine Pound ist ohne den anderen nicht zu haben. Klar, dass Mussolini mit
derart komplexen Gedichten nichts anzufangen wusste.
Oder Knut Hamsun. Bücher wie „Hunger“(1890), „Mysterien“(1892) oder „Segen der Erde“(1917) gehören zum festen Bestandteil der
Weltliteratur. Und ausgerechnet dieser Autor, der sich den Unterlegenen der Gesellschaft so vorbildlich anzunehmen verstand, vergötterte Hitler? Da ist nichts zu beschönigen. „Hamsuns Faschismus
war eine aufrichtige politische Überzeugung“, schreibt sein Biograf Robert Ferguson, nicht durch Senilität oder Demenz entschuldbar. Ein psychiatrisches Gutachten kam zum Ergebnis, dass Hamsun „das alte patriarchalische System“unterstütze, das im 20. Jahrhundert
längst ausgedient hatte. Als Frank Castorf 2018 die Romane „Hunger“
und „Mysterien“in einer gemeinsamen Bühnenfassung bei den Salzburger Festspielen zur Aufführung brachte, kam das einer Ehrenrettung eines Verfemten gleich. Der naturalistische Hamsun, der Ankläger miserabler Verhältnisse wurde ausgestellt, nicht der rückwärtsgewandte Chefideologe der politischen Restauration.
Mit Louis-Ferdinand Céline kommt man nie an ein Ende. Auch er ein Erneuerer der Literatur und Kollaborateur und schrecklicher
Antisemit, sein Roman „Reise ans Ende der Nacht“ein einzigartiger Klassiker, eine literarische Großtat
und sprachliches Wunderwerk. Großes Zutrauen in die Menschheit spricht nicht aus dem Opus magnum. Dazu die Sprache, die nichts dazutut zu beschönigen, es geht derb und roh zu, eine Alltagssprache mit dem Hang zum Gemeinen
und Perfiden und der vollen Wucht des Argot. So sehr sich Céline den Nazis anbiederte, seine Literatur steht für das Gegenteil dessen, was
in deren trivialen Literaturverständnis Platz finden konnte.
Und jetzt also Uwe Tellkamp. Er legte eine fulminante Karriere hin. Sein Roman „Der Turm“von 2008
wurde enthusiastisch als Ereignis gefeiert, für das Fernsehen als Zweiteiler
verfilmt. Für einen Auszug aus dem Roman „Der Schlaf in den Uhren“, der nun erschienen ist, wurde er 2004 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Damals schien die Literaturwelt noch in Ordnung. Ein
Autor aus Dresden, der den ultimativen DDR-Roman geliefert
hatte, anspielungsreich, stilistisch raffiniert gearbeitet, kritisch und nicht Ironie, das rechtfertigte die Begeisterung. Mit dem neuen Roman ist alles anders.
Nicht mit dem Roman, mit dessen Verfasser: Immerhin bekennt sich der Suhrkamp-Verlag zu seinem Autor, was nicht selbstverständlich ist. Tellkamp
polemisierte ja 2018 gegen die islamische Zuwanderung, Nähe zur AfD wird ihm angelastet. Diskussionen fruchteten wenig,
Tellkamp war abgestempelt. Doch mit Blick auf sein neues Buch hat er sich im Vergleich zum früheren nicht grundlegend geändert, und das Schreiben verlernt hat er auch nicht. Auch so ein Buch, das klüger ist als sein
Verfasser, weil es nicht Ansichten und Meinungen verkündet, sondern auf Vielschichtigkeit
und sprachliche Präzisionsarbeit setzt. Es lässt sich nicht festlegen auf eine Haltung, es entgleitet einem viel zu oft. Es stimmt, er
kommt nicht zum Punkt, aber Linearität und Folgerichtigkeit, ein Roman, der auf ein Ende zustrebt, und dann kennt man sich aus, war sowieso Tellkamps Sache nie. Ein geschlossenes Weltbild, und das ist ein Vorteil, ist nicht in Sicht. Er zeichnet eine fantastische Welt mit DDR-Anklängen, eine Parabel auf ein untergegangenes Reich. Wie würde man den Roman lesen, wüsste man nichts vom Verfasser? Man
könnte ihm nicht getätigte Aussagen zum Vorwurf machen, um sie gegen den Roman ins Treffen zu führen. Es wird einigen Abstands bedürfen, um nüchtern
über Tellkamp reden zu können.
Sprachliche Großtaten und politische Abgründe