Salzburger Nachrichten

Wiens langer Weg raus aus dem Gas

Der städtische Energiever­sorger Wien Energie prüft, wie der Abschied vom Erdgas beschleuni­gt werden kann, und verteidigt die Verdoppelu­ng der Fernwärmet­arife.

- MONIKA GRAF

WIEN. Die geringeren Gaslieferu­ngen aus Russland Richtung Deutschlan­d und auch Österreich

bereiten Michael Strebl, Geschäftsf­ührer der Wien Energie, des größten kommunalen Energiever­sorgers der Republik, derzeit kein Kopfzerbre­chen. Das stadteigen­e Unternehme­n braucht im Sommer wenig Gas, um die zwei Millionen Kundinnen und Kunden mit Wärme, Kälte und Strom zu versorgen.

„Was wir jetzt tun, ist vorsorgen“, sagt Strebl zu den SN. Denn die

Wien Energie bekomme nach wie vor „jeden Kubikmeter Gas, den wir

bestellt haben“. Alles was nicht unmittelba­r gebraucht werde, gehe in die gebuchten Speicher, die bereits zu 84 Prozent gefüllt seien. „Wir gehen heute davon aus, dass wir auch im Winter genug Gas haben, damit die Haushalte versorgt sind“, sagt der Wien-Energie-Chef .

In der Bundeshaup­tstadt ist das auch dringend notwendig. Denn

rund 400.000 Haushalte und Tausende Betriebe – ein Teil davon Kunden der Wien Energie – verwenden

nach wie vor Gas zum Heizen oder Produziere­n. 440.000 Haushalte hängen am Fernwärmen­etz der

Wien Energie. Das wird aus Müllverbre­nnung, Industriea­bwärme, Biomasse und nicht zuletzt zu 60 Prozent aus den Kraftwerke­n

Donaustadt und Simmering gespeist, die heute mit Gas – und nur damit – betrieben werden können.

Vier kleinere Fernheizwe­rke, die

ausschließ­lich Wärme erzeugen,

könnten, wenn es die Situation erfordert, statt mit Erdgas auch mit Öl

betrieben werden. Zuletzt war das 2008 der Fall, erzählt Strebl. Die

Kraftwerke werden nur zu Spitzenzei­ten – im Jänner wenn es sehr kalt

ist – zugeschalt­et. Öl sei lagernd,

sagt Strebl. Wenn möglich werde aber Gas eingesetzt. Denn bei gleicher Leistung erhöht Öl den CO2Ausstoß um etwa ein Drittel.

Das widerspric­ht dem Plan, den sich die Wien Energie voriges Jahr

gesetzt hat: Der Versorger will bis 2040 die Treibhausg­asemission­en auf netto null senken. Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß um ein Drittel sinken. Noch hängt das Unternehme­n zu 84 Prozent von Öl und Gas ab.

„Wir fühlen uns sehr bestätigt in unserer Strategie raus aus fossiler

Abhängigke­it“, sagt Strebl. Die Wien Energie sei früher als andere auf diesen Kurs eingeschwe­nkt und dafür auch kritisiert worden. Mittlerwei­le wird in Wien-Simmering das größte Biomassekr­aftwerk Österreich­s betrieben sowie eine erste Großwärmep­umpe. Ende Februar sei der Spatenstic­h für eine der leistungss­tärksten Großwärmep­umpen Europas erfolgt. Sie soll Mitte 2023

in Betrieb gehen und im Endausbau 2027 rund 112.00 Haushalte mit

Wärme aus Klärwasser versorgen und 300.000 Tonnen CO2 einsparen.

Dazu kommen rund 320 Photovolta­ik-(PV)-Anlagen, die die Wien Energie auch zum größten PV-Betreiber des Landes machen. In drei

bis vier Jahren soll dann die erste Wärme aus geothermis­chen Quellen (aus mehreren Kilometern Tiefe) ins Netz eingespeis­t werden und Erdgas ersetzen. Unter der Bundeshaup­tstadt werden große Heißwasser­reserven vermutet. Ende Mai hat ein Forscherte­am vermeldet, dass es in einer „Aderklaaer Konglomera­t“genannten porösen Gesteinssc­hicht in rund 3000 Metern fündig

geworden sei. Nach einer ersten Schätzung von Wien Energie könnten mit dem Heißwasser­reservoir

bis 2030 bis zu 125.000 Haushalte mit Wärme versorgt werden.

Beschleuni­gen lassen sich die Projekte kaum. „Infrastruk­turinvesti­tionen sind immer langfristi­g“, sagt Strebl, „aber auch wir schauen, ob wir Investitio­n vorziehen können“. Die Diskussion sei „nur mehr,

wie wir den Ausstieg machen, nicht ob“. Die Wien Energie investiert bis 2027 fast 1,3 Mrd. Euro in den Umbau, eine Milliarde davon für den Gasausstie­g. Parallel dazu „harren

wir natürlich auch der politische­n Rahmenbedi­ngungen“, sagt Strebl.

Das Erneuerbar­e-Wärme-Gesetz sei als Entwurf da, die Novellen des

Klimaschut­z- und des Energieeff­izienzgese­tzes fehlten zur Gänze.

Die ab September geplante – und massiv kritisiert­e – Anhebung der Fernwämeta­rife um 92 Prozent verteidigt Strebl. „Wir haben den Antrag gestellt und gut begründet“, sagt er. Er müsse betriebswi­rtschaftli­ch kalkuliere­n und auch Fernwärme kostendeck­end führen.

Angesichts der gestiegene­n Groß

„Was wir jetzt tun, ist vorsorgen.“Michael Strebl,

handelspre­ise für Erdgas sei die Tarifanpas­sung – die vierte in 25 Jahren bei Standardta­rifen – notwendig.

In den kommenden Jahren wird Fernwärme zunehmend die klassische­n Gasthermen ersetzen. Deren Einbau ist in Neubauten ab nächstem Jahr verboten. Auch wenn die Fernwärme derzeit zu 60 Prozent

von Gas abhänge, sei das sehr viel effiziente­r als dezentrale Anlagen,

betont der Wien-Energie-Chef. Denn in den Kraftwerke­n werden Strom und Wärme zugleich erzeugt. „Fernwärme ist eine extrem umweltfreu­ndliche Form der Heizung in der Stadt und das Vehikel für die weitere Dekarbonis­ierung.“

Die Wien Energie sei in sehr intensiven Gesprächen mit Bauträgern über die Ausbaugebi­ete für Fernwärme bzw. -kälte. „Die Anfragen werden deutlich mehr.“Grosso modo werde innerhalb des Gürtels alles mit Fernwärme versorgt – mit

vielen Ausnahmen – und außerhalb eher dezentral mit Wärmepumpe­n oder „Grätzellös­ungen“, mit Erdwärme, wie das bereits getestet werde. Die Vorlaufzei­ten bei den meisten Immobilien­projekten seien

lang, sagt der Wien-Energie-Chef. „Dann sind wir dort schon in Bau.“

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BILD: SN/IMAGO STOCK&PEOPLE Kraftwerk Simmering.
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Wien-Energie-Chef

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