Salzburger Nachrichten

Unsere Abhängigke­it bleibt Putins schärfste Waffe

Moskau nutzt ukrainisch­es Getreide wie russische Energie: als Druckmitte­l. Um Putin zu entwaffnen, müssen wir endlich umdenken.

- Stephanie Pack-Homolka STEPHANIE.PACK@SN.AT

Über die Blockade der ukrainisch­en Häfen setzt Wladimir Putin Getreide als Waffe ein. Sie ist gegen die

Ukraine gerichtet, trifft aber weite Teile der Welt. Denn dass die Ernten von den ukrainisch­en Feldern

nicht auf den Weltmarkt kommen, ruiniert nicht nur die Landwirte. Es verschärft viele schon vorher da gewesene Krisen allerorts: die Hungersnöt­e in Teilen

Afrikas genauso wie die Beschaffun­gsprobleme von finanzschw­achen Staaten und Hilfsorgan­isationen, die derzeit Grundnahru­ngsmittel am Weltmarkt zu hohen Preisen kaufen müssen.

Wie aber kann Putin entwaffnet werden? Einerseits auf diplomatis­chem Weg, durch Verhandlun­gsgeschick. Die Türkei versucht das bei den Exportbloc­kaden seit Monaten intensiv. Am Mittwoch ist es zumindest gelungen, Delegation­en von beiden Parteien in Istanbul an einen Tisch zu bekommen. Die Vereinten Nationen steuerten die praktische­n Vorschläge

bei, wie die Getreideli­eferungen bei einer gelockerte­n Blockade durch das verminte Schwarze Meer auf den Weg zu den Abnehmern gebracht werden könnten.

Ob das gelingt, liegt letztlich im Ermessen von Wladimir Putin. Er hält den Daumen hoch, wenn er die Ware passieren lassen will; er senkt ihn, wenn er

mehr Druck auf die Ukraine und den Rest der Welt aufbauen möchte. Das tut er beim Getreide und das tut er mit der Hand am Gashahn, wie wir im Westen mittlerwei­le aus Erfahrung wissen.

Russland zeigt uns mit seinem erpresseri­schen Handeln seit Beginn des Ukraine-Kriegs ein Grundprobl­em auf: Wir leben in extremen Abhängigke­iten. Sie betreffen nicht nur die Exporte aus Russland, wie wir spätestens seit den pandemiebe­dingten Unterbrech­ungen der Lieferkett­en aus Asien und anderen Teilen der Welt wissen. Dass wir aber deshalb in Zukunft autark leben, ist unrealisti­sch.

Realistisc­herweise können wir Abhängigke­iten verringern, indem wir uns nicht auf einen Lieferante­n verlassen, nicht auf eine Energieque­lle, nicht auf eine Getreideso­rte. Wenn es um Lebensmitt­el geht, ist das für viele Länder eine Überlebens­frage. Ein

langfristi­ges und grundlegen­des Umdenken ist nötig. Statt massenhaft Weizen vom anderen Ende der Welt zu importiere­n, sollten Staaten etwa ursprüngli­che Sorten selbst anbauen, die in der Region wachsen.

Es ist nicht neu, dass Lebensmitt­elexporte nach Afrika, auch aus der EU, die dortigen Märkte zerstört haben. Putins Getreidekr­ieg legt dieses Problem offen – und bewirkt hoffentlic­h ein Umdenken. Dann

hätten Despoten künftig eine Waffe weniger.

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