Unsere Abhängigkeit bleibt Putins schärfste Waffe
Moskau nutzt ukrainisches Getreide wie russische Energie: als Druckmittel. Um Putin zu entwaffnen, müssen wir endlich umdenken.
Über die Blockade der ukrainischen Häfen setzt Wladimir Putin Getreide als Waffe ein. Sie ist gegen die
Ukraine gerichtet, trifft aber weite Teile der Welt. Denn dass die Ernten von den ukrainischen Feldern
nicht auf den Weltmarkt kommen, ruiniert nicht nur die Landwirte. Es verschärft viele schon vorher da gewesene Krisen allerorts: die Hungersnöte in Teilen
Afrikas genauso wie die Beschaffungsprobleme von finanzschwachen Staaten und Hilfsorganisationen, die derzeit Grundnahrungsmittel am Weltmarkt zu hohen Preisen kaufen müssen.
Wie aber kann Putin entwaffnet werden? Einerseits auf diplomatischem Weg, durch Verhandlungsgeschick. Die Türkei versucht das bei den Exportblockaden seit Monaten intensiv. Am Mittwoch ist es zumindest gelungen, Delegationen von beiden Parteien in Istanbul an einen Tisch zu bekommen. Die Vereinten Nationen steuerten die praktischen Vorschläge
bei, wie die Getreidelieferungen bei einer gelockerten Blockade durch das verminte Schwarze Meer auf den Weg zu den Abnehmern gebracht werden könnten.
Ob das gelingt, liegt letztlich im Ermessen von Wladimir Putin. Er hält den Daumen hoch, wenn er die Ware passieren lassen will; er senkt ihn, wenn er
mehr Druck auf die Ukraine und den Rest der Welt aufbauen möchte. Das tut er beim Getreide und das tut er mit der Hand am Gashahn, wie wir im Westen mittlerweile aus Erfahrung wissen.
Russland zeigt uns mit seinem erpresserischen Handeln seit Beginn des Ukraine-Kriegs ein Grundproblem auf: Wir leben in extremen Abhängigkeiten. Sie betreffen nicht nur die Exporte aus Russland, wie wir spätestens seit den pandemiebedingten Unterbrechungen der Lieferketten aus Asien und anderen Teilen der Welt wissen. Dass wir aber deshalb in Zukunft autark leben, ist unrealistisch.
Realistischerweise können wir Abhängigkeiten verringern, indem wir uns nicht auf einen Lieferanten verlassen, nicht auf eine Energiequelle, nicht auf eine Getreidesorte. Wenn es um Lebensmittel geht, ist das für viele Länder eine Überlebensfrage. Ein
langfristiges und grundlegendes Umdenken ist nötig. Statt massenhaft Weizen vom anderen Ende der Welt zu importieren, sollten Staaten etwa ursprüngliche Sorten selbst anbauen, die in der Region wachsen.
Es ist nicht neu, dass Lebensmittelexporte nach Afrika, auch aus der EU, die dortigen Märkte zerstört haben. Putins Getreidekrieg legt dieses Problem offen – und bewirkt hoffentlich ein Umdenken. Dann
hätten Despoten künftig eine Waffe weniger.