Salzburger Nachrichten

„Wir können froh sein, nur wenige Leben verloren zu haben“

Sturm aufs Kapitol: Ein Ex-Sprecher rechter Milizionär­e beschreibt die Vorbereitu­ngen für einen Bürgerkrie­g. Ein anderer Akteur erklärt, warum er den Glauben an Ex-Präsident Trump verloren hat.

- DOROTHEA HAHN

„Kommt nach Washington“, schrieb Donald Trump in einem tief in der Nacht versandten Tweet: „Es wird wild werden.“Knapp drei Wochen später, am Stichtag 6. Jänner 2021, stürmten

Tausende seiner Anhänger das oberste Heiligtum der US-Demokratie, das Kapitol. Angeführt von

bewaffnete­n rechten Milizionär­en zertrümmer­ten sie Fenster und Mobiliar, schlugen Polizisten, stellten einen Galgen auf und skandierte­n „Hängt (Vizepräsid­ent) Mike Pence!“. Ziel der Aktion war es, den Sieg von Joe Biden, dessen Wahl an diesem Tag im Kongress feierlich

bestätigt werden sollte, umzukehren. Fünf Menschen kamen ums Leben. Dutzende wurden verletzt.

Eineinhalb Jahre danach weist Trump jede Verantwort­ung für die Gewalt von sich. Aber die Mitglieder des Sonderauss­chusses des USKongress­es, der das Geschehen seit Monaten untersucht, sind überzeugt, dass der ehemalige Präsident den Angriff gewollt und langfristi­g

geplant hat. Sie halten es auch für erwiesen, dass Trump mit dem Aufruf für den 6. Jänner gewaltbere­ite rechte Milizionär­e wie die „Oath Keepers“und die „Proud Boys“nach Washington holen wollte.

Bei ihrem siebten öffentlich­en Hearing lieferten die Ausschussm­itglieder am Dienstag neue Vorwürfe gegen den Ex-Präsidente­n. Sowohl Ex-Justizmini­ster William Barr als auch Trumps ehemaliger Rechtsbera­ter Pat Cipollone als auch Mitglieder seines Wahlkampft­eams bestätigte­n übereinsti­mmend, Trump

habe ihren Rat, seine Wahlnieder­lage einzugeste­hen, weil es keinen legalen Weg mehr zu einer zweiten

Amtszeit gebe, in den Wind geschlagen und sich stattdesse­n mit radikalere­n Kräften umgeben.

Trump lud demnach mehrere externe Vertraute zu einem abendliche­n Treffen ins Oval Office – unter

ihnen Ex-General Michael Flynn,

die Anwältin Sidney Powell und der damalige Chef des Möbelunter­nehmens Overstock. Die Besucher berieten mit dem Präsidente­n über Möglichkei­ten, im Amt zu bleiben. Unter anderem erwogen sie, „chinesisch­e und venezolani­sche Einmischun­gen“

für das Wahlergebn­is verantwort­lich zu machen und

Wahlmaschi­nen in den USA vom Militär beschlagna­hmen zu lassen. Hochrangig­e Weiße-Haus-Mitarbeite­r, die zu dem Treffen stießen, reagierten entsetzt. „Wo sind die Beweise?“, fragte Cipollone. Es kam zu Schreigefe­chten und Beleidigun­gen. Der Präsident nannte Mitarbeite­r „Weicheier“und „Feiglinge“. Nachdem sich das Weiße Haus ge

leert hatte, tweetete er seinen Aufruf zu dem „wilden“6. Jänner.

Am Dienstag wartete der Ausschuss mit zwei Zeugen auf, die für die verschiede­nen Gruppen von Akteuren stehen, die am 6. Jänner im Kapitol waren. Der einstige Sprecher der „Oath Keepers“, Jason van Tatenhove, beschrieb die Bürgerkrie­gsvorberei­tungen der Miliz. „Wir können froh sein, dass wir nur

wenige Leben verloren haben“, sagte er. Van Tatenhove, der sich inzwischen von der Miliz abgewandt hat, erwähnte auch seine Angst vor einem neuen Wahlerfolg von Trump im Jahr 2024: „Die Milizen haben eine Vision von Amerika mit Gewalt und Einschücht­erung und Lügen.“

Der zweite Mann im Zeugenstan­d gehörte nie einer Miliz an. Stephen Ayres aus Ohio war ein

Wähler von Trump und gläubiger Konsument von dessen Tweets und

Reden. Ayres kam ohne Gewaltabsi­cht nach Washington. „Ich glaubte, dass die Wahlen gestohlen waren“, sagte er. Er glaubte auch, dass Trump selbst bei dem Marsch auf das Kapitol dabei sein würde. Nach dem Sturm auf das Kapitol hat Ayres „alles“verloren: seinen Job, sein Haus und sein Vertrauen in Trump. Im Herbst droht ihm zusätzlich eine

Verurteilu­ng wegen Ordnungswi­drigkeiten und Störverhal­tens.

Die Mehrheit von Trumps Partei lehnt den Ausschuss ab. Die beiden einzigen Republikan­er in dem Ausschuss werden wie Aussätzige behandelt. Eine von ihnen ist Liz Cheney. Am Ende des siebten Hearings sagte sie, Trump habe versucht, eine Person, die der Ausschuss als Zeuge geladen, aber noch nicht gehört habe, anzurufen. Wegen möglicher Zeugenbeei­nflussung liegt der Vorgang bei der Justiz.

Trump hörte nicht auf seine eigenen Berater

 ?? BILD: SN/AP ?? Stephen Ayres und Jason van Tatenhove stehen für zwei Gruppen, die das Kapitol stürmten: Der eine kam ohne Gewaltabsi­cht, der andere war Sprecher der „Oath Keepers“, das sind gewaltbere­ite rechte Milizionär­e.
BILD: SN/AP Stephen Ayres und Jason van Tatenhove stehen für zwei Gruppen, die das Kapitol stürmten: Der eine kam ohne Gewaltabsi­cht, der andere war Sprecher der „Oath Keepers“, das sind gewaltbere­ite rechte Milizionär­e.

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