„Große Werke lassen uns die Welt lesen“
Herausforderungen, Erwartungen und Hoffnungen: Im SN-Festspielgespräch gab das Direktorium Ausblicke auf den Sommer 2022.
SALZBURG. Der Spagat ist groß. Einerseits, sagte Lukas Crepaz am Dienstagabend im SN-Saal, übertreffe die Nachfrage nach Karten für den Salzburger Festspielsommer 2022 viele Erwartungen: „Der Verkauf ist phänomenal, er bewegt sich fast auf dem Niveau des Rekordjahres 2019.“Zugleich aber, so berichtete der Kaufmännische Direktor der Salzburger Festspiele, seien die
Risiken und Unwägbarkeiten in diesem Jahr besonders hoch: „Nicht
2020, sondern heuer ist für uns das schwierigste und komplizierteste der drei Pandemiejahre.“
Zu den Covid-Vorkehrungsplänen, bei deren Erstellung und Adaptierung „wir mittlerweile zweieinhalb Jahre Erfahrung haben“, komme nun mit dem Ukraine-Krieg eine geopolitische Krise mit großen Auswirkungen. „Die äußeren Umstände, in denen wir uns bewegen, sind heuer extrem volatil“, sagte Crepaz.
Welche Rolle kann die Kunst im Umgang mit Ausnahmesituationen spielen? „Große Kunstwerke“, betonte Intendant Markus Hinterhäuser im SN-Festspielgespräch, „geben uns die Möglichkeit, die Welt zu lesen“, ganz gleich, ob diese Werke „im 16. oder im 20. Jahrhundert geschaffen wurden“. Kunst verschaffe Einsichten „in die conditio humana“, also die Grundfrage, „was der Mensch ist und sein kann“, sagte Hinterhäuser und verwies auf drei Opernproduktionen im heurigen Programm: Puccinis „Trittico“(„Das wird phänomenal!“), Carl Orffs „De temporum fine comoedia“und „Herzog Blaubarts Burg“
von Béla Bartók, dem auch die Konzertreihe „Zeit mit Bartók“gewidmet ist. Alle drei Werke seien mitten im Ersten Weltkrieg komponiert
worden, „also in einer Zeit, in der die Welt in allen Parametern aus den Fugen gewesen ist“.
Die diesjährigen Salzburger Festspiele beginnen mit der traditionellen „Jedermann“-Premiere auf dem Domplatz am Montag (18. Juli) und dem Auftakt der Ouverture spirituelle (Dienstag). Premierencharakter
hatte aber auch die Gesprächsrunde, die von SN-Chefredakteur Manfred Perterer und Hedwig Kainberger, der Leiterin des Kulturressorts, moderiert wurde. Erstmals waren die drei Mitglieder des seit Jänner
neu zusammengesetzten Festspieldirektoriums im voll besetzten SNSaal bei einem gemeinsamen Podiumsauftritt zu erleben.
Sie fühle sich in Salzburg „ausgesprochen wohl“, berichtete Präsidentin Kristina Hammer auf die
Frage von Manfred Perterer, wie sie sich in der Stadt und in ihrer neuen Funktion eingelebt habe. „Ich war
positiv überrascht von der Offenheit und dem Interesse, mit dem ich
in Salzburg aufgenommen worden
bin“, und von der Zeit, die sich auch Politiker, Hoteliers und andere Akteure aus dem Umfeld der Salzburger Festspiele für intensive Gespräche genommen hätten. „Ich habe mich noch einmal so richtig in Salzburg verliebt“, sagte Kristina Hammer und fand bewundernde Worte für ihre beiden Direktoriumskollegen, die „ja ein eingespieltes Team sind“: Markus Hinterhäusers Arbeit habe sie „über Jahre gesehen und
bewundert“. Auch der „klugen und tiefen Vorbereitung“, mit der Lukas Crepaz die Ausschreibung zum Riesenprojekt des Ausbaus des Großen
Festspielhauses gemanagt habe, zollte sie Respekt.
Im Almanach zum diesjährigen Festspielprogramm, dessen Entstehung noch in die Amtszeit von Helga Rabl-Stadler fiel, formulierte die frühere Präsidentin die Hoffnung, dass die Salzburger Festspiele auch
heuer mit Oper, Theater und Konzert „die richtigen Fragen“stellten. Die Frage, wie diese lauten müssten, gab SN-Kulturchefin Hedwig Kainberger an die neue Präsidentin weiter. Eine nicht enden wollende Pandemie und „der furchtbare Angriffskrieg auf die Ukraine“seien zwei zentrale Fragen, „die uns
manchmal ratlos machen“, sagte Kristina Hammer. Das künstlerische Programm der Salzburger Festspiele könne „Zeit zur Reflexion und Auseinandersetzung geben“.
Die Frage, ob die Salzburger Festspiele in einer Gegenwart der mannigfaltigen Brüche gelängen, „kann ich in so einer Situation nicht ganz einfach beantworten“, sagte Markus Hinterhäuser. Er verwies aber auch auf den „Gründungsmythos der Salzburger Festspiele“und die Rolle, die Kunst bereits in den ersten Festspieljahren eingenommen
habe: „Auch die Salzburger Festspiele sind während eines Weltkriegs ersonnen worden, das sollten wir nicht vergessen.“Von Künstlern, nicht von Politikern oder Wirtschaftstreibenden sei die Initiative ausgegangen: „Kunst ist die einzige
Möglichkeit, eine Art von Reflexionsraum
zu öffnen, eine Art von
Verfeinerung des Denkens vorzunehmen. Das ist eine Verpflichtung, die ich auch als Intendant der Salzburger Festspiele sehr stark spüre.“
Um eine Verfeinerung und Nachschärfung geht es indes auch in zwei Opernproduktionen, die im
Jahr ihrer jeweiligen Premiere kontrovers diskutiert wurden und nun 2022 wieder auf dem Spielplan stehen. Ob die Neueinstudierungen
von Shirin Neshats „Aida“und Lydia Steiers „Zauberflöte“eine „zweite Chance“für die jeweiligen Regiekonzepte bedeuten?
In der „Aida“-Produktion der iranischen Filmregisseurin und Künstlerin Shirin Neshat sei 2017 „vieles
wunderbar“gewesen, sagte der Intendant.
Trotzdem sei ihm bewusst, dass die Inszenierung „manches nicht so einlöste, wie wir es erhofft
hatten“. Nicht um eine „zweite Chance“, sondern um „ein NeuNachdenken und Neu-Überprüfen“gehe es also.
Bei der „Zauberflöte“wiederum habe sich eine „falsche Entscheidung“des Direktoriums ausgewirkt: Lydia Steiers Konzept sei auf den Bühnenraum im Haus für Mozart abgestimmt gewesen, durch die
Verlegung ins Große Festspielhaus habe vieles „auf der riesigen Bühne
verloren gewirkt“. Heuer kehre die ebenfalls überarbeitete Inszenierung in die ursprünglich mitgedachte Atmosphäre zurück.
Eine Neujustierung musste kürzlich auch abseits der Bühne erfolgen: Die Salzburger Festspiele trennten sich (wie berichtet) von einem Projektsponsor, der mit seinen Unternehmenspraktiken in der Kritik steht. An die Präsidentin richtete Chefredakteur Manfred Perterer
daher die Frage, welche Anforde
rungen Sponsoren künftig erfüllen sollten. Sponsoring spiele für die Eigenwirtschaftlichkeit, die das Unternehmen Salzburger Festspiele erbringen müsse, „eine enorme Rolle“, sagte Kristina Hammer. Das Ideal seien „Unternehmen, die kulturaffin sind, Verständnis für unsere Themen haben“und im Bestfall „gemeinsam mit uns Projekte entwickeln, die etwas Besonderes sind.
Wir suchen Sponsoren, die sich wirklich mit uns auseinandersetzen und sich nicht nur für den Augenblick engagieren, sondern mitteloder langfristig“.
Diese Langfristigkeit kann auch ihre Tücken beweisen: „Wir haben
überhaupt keine Möglichkeit vorauszusehen, wie sich ein Unternehmen in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln könnte“, warf Markus Hinterhäuser mit Blick auf die jüngsten Debatten ein. Zugleich
werde der Zwang, Sponsoren aufzutreiben, stetig größer, da die öffentlichen Subventionen gedeckelt seien. „Man muss auch die Frage bedenken, wer uns eigentlich auffordert, Sponsorengelder zu suchen.“
Von der Kultur werde im Moment „wirklich ziemlich viel verlangt“.
In der Causa, die letztlich zur Auflösung des Sponsorvertrags mit Solway führte – Autor Lukas Bärfuss und Regisseurin Yana Ross, die an der heurigen Überschreibung
von Arthur Schnitzlers „Reigen“beteiligt sind, hatten in einer Pressemitteilung die Praktiken des Konzerns angeprangert und von den Salzburger Festspielen eine Beendigung des Sponsorverhältnisses gefordert –, gab der Intendant auch
Kritik an die Kritiker zurück. „Ich fand diese Anmaßung von Lukas Bärfuss grenzwertig“, sagte Hinterhäuser, zumal die Unterzeichner des Ultimatums gleichzeitig im deutschen Internetforum nachtkritik.de kommuniziert hätten, sie
würden ihre Beteiligung an dem Festspielprojekt auch dann nicht zurücklegen, wenn die Festspiele am Sponsor Solway festhielten. „Ich finde diese Doppelzüngigkeit bemerkenswert.“
„Wir haben bereits nach Auftauchen der Vorwürfe und noch vor dem offenen Brief sofort reagiert,
wollten aber auch dem Unternehmen die Möglichkeit bieten, Position zu beziehen“, resümierte Lukas Crepaz. „Danach haben wir unsere Schlüsse gezogen.“
Schnelles Reagieren sei nun auch angesichts der aktuell kursierenden Omikron-Varianten ein vordringliches Gebot des Festspielsommers, sagte der Kaufmännische Direktor: „Vieles lässt sich nicht kalkulieren, aber wir haben mittlerweile viel
Erfahrung mit dem Entwickeln von Maßnahmen gesammelt, um Risiken zumindest in gewisser Form beherrschbar zu machen.“Die größten Risiken seien heuer – nach den
„Kunst schafft Verfeinerung des Denkens.“ „Wir haben sehr schnell reagiert.“Lukas Crepaz, Kaufm. Direktor „Ich war positiv überrascht von der Offenheit.“Kristina Hammer, Präsidentin
Einbußen bei Mieteinnahmen im
vergangenen Omikron-Winter unter der aktuellen Entwicklung der Inflation – „sicher kostenseitig“, schlüsselte Lukas Crepaz auf. „Aktuell haben wir das Thema, dass sich die Energiekosten verdoppeln.“
Ein weiterer Spagat ergebe sich zwischen den wieder steigenden Infektionszahlen und den nach wie vor aufrechten Quarantänevorgaben bei gleichzeitigem Wegfall der allgemeinen Covidregelungen: „Die Gäste kommen in Erwartung einer Rückkehr zur Normalität, zugleich
ist es im Hintergrund schwer, die Produktionsabläufe aufrechtzuerhalten.“Festspielintern sei man daher wieder zur strengen Maskenpflicht zurückgekehrt, für das Publikum gelte die Empfehlung zum Tragen von FFP2-Masken, „die einen wirksamen Schutz bieten“.
Vor Beginn der Festspiele sei es schwierig, Erwartungen zu formulieren, sagte Crepaz, „aber man kann sich vorbereiten. Wir hoffen auf das Glück der Tüchtigen“.