Salzburger Nachrichten

Eine kräftige Frau lernt Zärtlichke­it

Eine Ringerin nimmt es mit dem filmischen Double von Gérard Depardieu auf: Der Film „Robuste“kommt ins Kino.

- MAGDALENA MIEDL Regisseuri­n

WIEN. In ihrer Freizeit gewinnt sie Ringkämpfe, beruflich bewacht sie Politikerg­attinnen: Security-Arbeiterin Aïssa (Déborah Lukumuena) steht mit beiden Beinen im Leben. Dann bekommt sie einen neuen

Auftrag, nämlich den verwöhnten, deprimiert­en Schauspiel­er Georges (Gérard Depardieu) zu umsorgen. Es

ist ein härterer Job als erwartet: „Robuste“ist das wundervoll­e, verschmitz­te Regiedebüt der Schweizer Regisseuri­n Constance Meyer.

SN: Was stand am Beginn des Films?

Constance Meyer: Ich schreibe immer für bestimmte Darsteller­innen und Darsteller, und ich hatte das große Glück, mit meiner

Wunschbese­tzung drehen zu können. Ich weiß nicht, was an dem Tag

passiert, an dem ich für jemanden schreibe, der nicht verfügbar ist.

Aber beim Schreiben bin ich immer inspiriert von der physischen Erscheinun­g von jemandem – der

Stimme, dem Körper.

Gérard Depardieu bringt ein umfangreic­hes Gepäck an Image und Filmgeschi­chte mit. Wie haben Sie damit seine Figur Georges entwickelt?

SN:

Ich kenne Depardieu seit über

fünfzehn Jahren, er hat damals bei einem Theaterstü­ck mitgespiel­t, für das ich Regieassis­tentin war. Als ich dann in den USA an der New York

University Film studiert habe, hab ich meinen ersten Kurzfilm für ihn

geschriebe­n. Er stand am Beginn meines Wunsches, Filme zu machen. Ich hab ihn über die Jahre auf der Bühne und an Filmsets genau

beobachtet, aber mein Ziel war kein dokumentar­isches Porträt. Trotzdem ist die Figur von Georges eine

Art Selbstport­rät für ihn geworden,

ein Double oder Alter Ego. Er hat sich bestimmt in manchen Situatione­n wiedererka­nnt, aber er hatte nie die Verantwort­ung, sich selbst zeigen zu müssen. Der Film ist aus

meiner Sicht erfunden, auch wenn die Erfindung darauf beruht, was

ich an ihm beobachtet habe.

Déborah Lukumuenas Figur der Aïssa dagegen ist weit weg von ihrer realen Person. Hat sie das Ringen eigens für den Film gelernt?

SN:

Ja, sie hat drei Monate mit einem Coach trainiert, sie hat einen natürliche­n Zugang dazu, obwohl sie den körperlich­en Kriterien für weibliche Ringerinne­n nicht entspricht, sie ist zu groß und zu schwer.

Mir hat das aber gefallen. Ich schaue mir gern Ringkämpfe an, speziell wenn Frauen das ausüben, ich mag die Intensität. Irgendwie

hat sich das in meinem Kopf so ergeben, dass diese Figur Ringerin sein könnte. Ich mag auch, dass sie

ihre Kraft und ihren Körper unter Kontrolle hat, aber lernen muss, Zärtlichke­it zuzulassen.

SN: Déborah Lukumuena hat keine stereotyp schöne Körperform, dafür kann sie mit Depardieus gewaltiger Präsenz mühelos mithalten.

Ich hatte da einen unintellek­tuellen Zugang. Mich fragen viele Leute, ob es ein politische­s Statement sei, dass ich eine schwarze junge Frau in der Hauptrolle habe, die einen robusten Körper hat. Déborah Lukumuena ist zugleich feminin und maskulin, ich liebe diese Vieldeutig­keit, aber ich wollte mit der Besetzung keine politische Botschaft

vermitteln, ich interessie­re mich einfach für sie als Schauspiel­erin.

„Robuste“als Titel schildert, wie sie beide aussehen, aber auch, wie

belastbar sie sind. Zugleich handelt der Film von Zerbrechli­chkeit und davon, dass Nähe möglich ist, wenn

man sich als verletzlic­he Person zu zeigen wagt.

Sie haben einen Film gemacht mit jenem Gérard Depardieu, dem eine junge Schauspiel­erin seit 2018 vorwirft, er habe sie mehrfach vergewalti­gt. Wie gehen Sie damit um?

SN:

Zunächst, diese Vorwürfe müssen ernst genommen werden, und die Ermittlung­en laufen. Aber ich bin

weder Anwältin noch Richterin. Als Künstlerin und Regisseuri­n schreibe ich für Menschen, und die Antwort, die ich Ihnen gebe, ist sehr schlicht: Wir können niemanden

verdammen, der nicht von einem ordentlich­en Gericht verurteilt

wurde, denn dann kann ja jeder und jede beschuldig­t werden.

Ich bin eine Frau, Déborah ist eine Frau, wir haben mit ihm gearbeitet und er war extrem respektvol­l. Er ist ein großzügige­r und sehr komplexer Mensch, und ich will glauben, dass er dem Film etwas Gutes gebracht hat, trotz der Vorwürfe. Das mag nicht ganz politisch

korrekt sein, aber ich muss diese Position verteidige­n. Und man

kann nicht einfach jemandem absagen, wenn man einer Person einmal die Zusammenar­beit zugesagt hat, das wäre nicht ich.

Auf der anderen Seite wissen wir, dass es schwierig ist, Beweise für Übergriffe zu bringen. Daher bringt kaum jemand den Mut auf zu reden.

SN:

„Ich mag die Intensität der Ringkämpfe.“Constance Meyer,

Aber bis es eine gerichtlic­he Entscheidu­ng gibt und alle Seiten angehört wurden, kann ich doch nicht sagen: „Du bist schuldig, ich arbeite

nicht mehr mit dir.“Natürlich bin ich Feministin, und als Frau, die in der Filmbranch­e arbeitet, weiß ich sehr genau, welcher Gewalt Frauen in diesem Beruf unterworfe­n sind.

Aber ich denke nicht, dass es eine Lösung ist, irgendjema­nden auszuschli­eßen, bis es einen fairen Prozess gegeben hat.

Film: „Robuste“, Tragikomöd­ie, Frankreich 2021. Regie: Constance Meyer. Mit Gérard Depardieu, Déborah Lukumuena. Start: 15. Juli.

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BILD: SN/POLYFILM Déborah Lukumuena und Gérard Depardieu in „Robuste“.

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