Salzburger Nachrichten

Auch Einhörner müssen sich einmal ihr Horn abstoßen

Für größenwahn­sinnige Start-ups brechen schwere Zeiten an. Leichter tun sich die mit Bodenhaftu­ng.

- GEWAGT GEWONNEN Gertraud Leimüller Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der Kreativwir­tschaft Austria.

Wenn Geld nichts kostet, richtet es ordentlich Schaden an: Das kann man jetzt in der Welt der Fintechs sehen, wie die Start-ups in der Finanzbran­che genannt werden. Gerade erst haben sie kräftig investiert und ihr Hyperwachs­tum in rauschende­n Partys gefeiert, schließlic­h floss 2021 für sie Spielgeld in Form

von Risikokapi­tal wie lange nicht. Jetzt kommt der jähe Absturz: Nicht nur das österreich­ische

Unicorn Bitpanda musste vor wenigen Wochen 200 Mitarbeite­r und damit ein Viertel der Belegschaf­t kündigen. Der schwedisch­e Bezahldien­st Klarna verlor über Nacht 85 Prozent seines Werts und schwenkte auf einen harten Sparkurs ein. Die beiden Neffen des deutschen Bundeskanz­lers Olaf Scholz haben ihr FintechSta­rt-up Rubarb, in dem sie pro Monat (!) 200.000 bis 250.000 Euro Verlust gemacht und

in Summe in nur 19 Monaten fünf Millionen Euro „verbrannt“haben, an die Wand gefahren. Es musste Konkurs anmelden.

Was ist passiert? Die Zeit des billigen Geldes

hat noch gestern Investoren in aller Welt blind und gierig gemacht. Jene Sorte von Gründern, denen es vor allem um einen schnellen Exit

geht, also um das große Abkassiere­n durch einen Börsegang oder den Verkauf ihres Unternehme­ns, konnten bis vor Kurzem in prächtigen Finanzieru­ngsrunden sehr viel Geld von Risikokapi­talgebern einsammeln. Häufig mehr Geld, als ihnen guttat.

Doch heute leben wir in einer anderen Welt. Jetzt, wo Zinsen und Inflation steigen und damit das Geld auch bei Fonds, wohlhabend­en Familien und Unternehme­n nicht mehr so locker sitzt, geht sich das aggressive Hyperwachs­tum nicht mehr aus. Der Nachschub

bleibt aus, der Blick wird nach dem ersten Kater klarer und somit wird das offenbar, was man vor zwei Jahren im Wirecard-Skandal gar nicht glauben konnte: So mancher der hochgejube­lten Start-up-Stars besitzt nicht einmal ein funktionie­rendes Geschäftsm­odell, sprich: Einige der Hochfliege­r wissen eigentlich gar

nicht, wie sie am Markt nachhaltig Geld verdienen werden, weil es nur immer ums schnelle Wachstum geht. Koste es, was es wolle.

Daher bricht jetzt die Zeit der zweiten Sorte von Start-ups an, nämlich jener, die trotz großer Pläne ihre Bodenhaftu­ng nicht verliert: Sie

wachsen nicht ganz so schnell, aber haben jedenfalls ein echtes Geschäftsm­odell, an dem sie jeden Tag schrauben und drehen, bis es auch am Markt funktionie­rt.

Österreich hat sehr viele dieser Start-ups. Man mag darüber weinen, dass sie nie Unicorns werden können, wie man jene Unternehme­n nennt, die mindestens eine Milliarde USDollar wert sind. Doch vielleicht ist es besser so. Bei den Einhörnern bleibt vom Horn gerade sehr wenig übrig.

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