Kind ja, Liebe nein
Beim sogenannten Co-Parenting sind Frau und Mann kein Paar: Der Kinderwunsch steht im Vordergrund, die Basis dafür soll eine Freundschaft sein. Wie verantwortungsvoll ist das?
SALZBURG, BERLIN. Für Außenstehende sind sie ein ganz normales Paar: Bibiane und Rüdiger haben eine gemeinsame Tochter, sie fahren zusammen in den Urlaub, stimmen sich bei Problemen im Kindergarten ab. „Mir war es immer wichtig, dass mein Kind weiß, wo seine
Wurzeln sind, und es einen Papa hat, der sich um das Kind kümmert“, erzählt Bibiane. Sie und Rüdiger hatten sich über ein Internetportal kennengelernt. Und beschlossen, das Konzept „Co-Parenting“auszuprobieren.
Verbindend bei dieser alternativen Familienform ist nicht die Liebe zueinander, sondern die zum gemeinsamen Kind. Mann und Frau sind befreundet. Sie sind kein Paar, haben keinen Sex miteinander. Sie haben aber ein Kind, um das sie sich gleichberechtigt kümmern. Studien zu dieser Familienform gibt es fast
keine. Die Salzburger Moraltheologin Angelika Walser und Dissertantin Bernadette Breunig von der Uni Salzburg wollten das ändern.
Ausgangspunkt war ein Schreiben von Papst Franziskus: „Amoris laetitia“. Man müsse würdigen, was in nicht ehelichen Partnerschaften gelebt werde – Liebe, Treue, Verantwortung und Verbindlichkeit, sei darin sinngebend zu lesen, sagt
Walser. „Wir haben in der katholischen Familienlehre das idealisierte
Bild der heilen Familie wie bei Joseph und Maria“, sagt die Moraltheologin. „Die Realität schaut aber
ganz anders aus.“Sie wolle einen
Anstoß geben, die Pluralität der Familienformen anzuerkennen.
Projektmitarbeiterin Bernadette Breunig führte dazu im Zuge ihrer
Dissertation mit rund einem Dutzend Nutzerinnen und Nutzern des Internetportals familyship.org Interviews. Die Plattform wurde vor
rund zehn Jahren von zwei Frauen in Deutschland gegründet. Auf dieser können sich Personen zu dem Thema Co-Elternschaft informieren und andere Menschen kennenlernen, die an diesem Modell interessiert sind.
In der Untersuchung, die vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördert wird, zeigte sich, „dass zum Beispiel eine fehlende Partnerschaft bzw. ein Partner ohne Kinderwunsch starke Motive waren, sich für diesen Weg der Familiengründung zu entscheiden“, sagt Breunig. Die befragten Personen befanden das romantische Konzept der großen Liebe häufig als zum Scheitern verurteilt. Einige der Personen hatten Beziehungsdramen hinter sich „und haben gesehen, wie instabil Partnerschaften sein können“, ergänzt Walser.
Dass Co-Parenting primär von lesbischen Frauen und schwulen Männern gesucht wird, wie man
vermuten könnte, bestätigte sich in
Breunigs Recherchen nicht. Bei den
meisten befragten Frauen spielte das Alter die wichtigste Rolle. „Um die 40 hatten viele das Gefühl, sich endgültig für eine Familienform entscheiden zu müssen“, sagt Breunig. Frauen nutzten das Portal generell häufiger als Männer.
Eine anonyme Samenspende kam für die Frauen hingegen nicht infrage, da sie die Aufgaben und
Verantwortung für das Kind mit dem Kindesvater gleichberechtigt teilen wollten. Häufig leben Co-Eltern in einer Art Wohngemeinschaft, teilweise sind später auch Partner oder Partnerin der Co-Eltern am Familienmodell beteiligt.
Blickt man auf das Modell Co-Parenting, gelangt man schnell zu der Frage: Was bedeutet Familie eigentlich? „Familie ist, wenn Menschen dauerhaft und verlässlich Verantwortung füreinander übernehmen“, findet Soziologin Christine
Wimbauer. Familie sei nicht etwas, „was man hat, sondern was man
tut“. Dabei sei es eben egal, welches Geschlecht oder welche sexuelle Orientierung jemand habe und ob die Partnerinnen und Partner sich romantisch lieben oder nicht.
Doch alternative Familienformen sind nach wie vor umstritten. Kritikerinnen und Kritiker werfen dabei oft die Frage auf, ob man überhaupt
von einer verantwortungsvollen Elternschaft sprechen könne, wenn die Familiengründung in eine Art „Supermarkt für das Projekt Kind“ausartet. Anfänglich war auch Moraltheologin Walser skeptisch, als sie sich auf familyship.org umgesehen
hat. „Vielleicht ist es so, dass sich wesentliche Dinge des Christentums inzwischen jenseits der Kirchen abspielen – und diese Dinge verdienen Anerkennung“, sagt Walser. Die Interviewten hätten in etlichen Punkten dieselben Wertvorstellungen
wie die katholische Kirche, fast eine idealisierte Vorstellung von Familie, ergänzt Breunig.
Grundsätzlich berge Co-Parenting aber Risiken, gibt Walser zu bedenken. Was bislang fehlt, sind klare rechtliche Regulierungen. „Beim Co-Parenting gibt es nur mündliche Absprachen.“
Was ist aber, wenn einem der Elternteile etwas zustößt? Was,
wenn das Kind eine Behinderung hat? Eine Gefahr sei, dass eine solche Art von Beziehung einfach aufgekündigt werde könnte, wenn es schwierig werde.
Wahrscheinlich bleibe das Modell Co-Parenting auch weiterhin eine alternative Form für
wenige Menschen, glaubt die Moraltheologin. „Bei Menschen, die ein sehr qualitatives Konzept
von Freundschaft haben, kann es aber durchaus funktionieren“, sagt Walser.
Welche Haltungen nötig sind, dass solch ein Modell tatsächlich
funktioniert und Stabilität für das Kind gegeben ist, werden die
beiden Salzburger Forscherinnen weiter untersuchen. Das Konzept habe viele Unsicherheiten, sagt Walser. „Aber wie wir alle wissen, gibt es auch in der
Ehe keine Sicherheit.“
„Familie ist nicht etwas, was man hat, sondern was man tut.“Christine Wimbauer, Soziologin