Salzburger Nachrichten

Vom Höllenspie­l zur Spielhölle

Seit einem Monat lässt sich das Handyspiel „Diablo Immortal“herunterla­den. Das umstritten­e Spiel greift auf einen psychologi­schen Mechanismu­s zurück, der süchtig und arm machen kann.

- KONSTANTIN SCHÄTZ „Es macht süchtig wie ein Spielautom­at.“Michael Leitner, Psychologe

SALZBURG. Kampfberei­t steht der Held am Steg. Hinter ihm schaukelt ein Ruderboot sanft hin und her. Der Fährmann, der darinsitzt, hat

ihm vorgeschla­gen, ihn an einem anderen Ort abzusetzen. „In diesem Dorf ist die Hölle losgebroch­en“,

hat er ihn gewarnt. Doch es gibt keinen Weg zurück. Er muss es mit den Monstern aufnehmen, die vor ihm in der Dunkelheit lauern. Und diese

lassen nicht lang auf sich warten: Nach nur wenigen Spielsekun­den steht der Protagonis­t einem dieser Monster gegenüber. Es ist eine

grässliche Kreatur, mit der ein neues Kapitel einer Spielereih­e beginnt, die mittlerwei­le 25 Jahre zurückreic­ht. Nur dieses Mal benötigt man

keine Spielekons­ole oder einen PC, um in die Welt von „Diablo“einzutauch­en. Das Smartphone genügt.

Nur selten dürfte ein Spielstart so ambivalent verlaufen sein wie bei „Diablo Immortal“. Ein Monat ist

vergangen, seit das Spiel erstmals auf mobilen Geräten installier­t und

gespielt werden konnte. In dieser Zeit nahm die Produktion­sfirma Blizzard 50 Millionen Dollar – also fast 1,5 Millionen pro Tag – mit der

Unterhaltu­ngssoftwar­e ein, wie aus einer Analyse des Onlinemaga­zins „MobileGame­r“hervorgeht. Zehn

Millionen Mal wurde das Spiel auf Smartphone­s und Tablets herunterge­laden. Obwohl diese Zahlen für die Qualitäten zu sprechen scheinen, fielen die Kritiken meist

vernichten­d aus. Auf der Website Metascore, auf der man Bewertunge­n für Filme, Musik und Computersp­iele abgeben kann, erhielt das Spiel die schlechtes­te Beurteilun­g

in der Geschichte des Portals. Und das, obwohl Grafik, Stimmung und Geschichte von „Diablo Immortal“gelobt werden.

„So ziemlich alles in dem Spiel zielt darauf ab, viel Geld auszugeben“, bedauert ein Nutzer in Googles Play Store, in dem sich das Spiel

herunterla­den lässt. „Schade, mit

weniger Gier hätte es deutlich besser werden können“, schreibt ein anderer. Die Kritik zielt auf das „Pay to win“-Prinzip ab (zahle, um zu gewinnen), das sich in immer mehr Spielen finden lässt. Während sich in „Pay to progress“-Games (zahle, um weiterzuko­mmen) Vorteile erkaufen lassen, können „Pay to win“Spiele nur beendet werden, wenn

man Geld in die Hand nimmt. Das Bezahlmode­ll, das sich in „Diablo Immortal“wiederfind­et, sei kein

neues Phänomen, erläutert Michael Leitner, Psychologe an der Uni Salzburg. Blizzard habe das Prinzip aber perfektion­iert. Denn der Einsatz

von Geld werde erst relevant, wenn man bereits weit fortgeschr­itten ist – und genau hier liege die Gefahr.

„Es ist problemati­sch, dass man schleichen­d an das Bezahlmode­ll

herangefüh­rt wird“, sagt Leitner im SN-Gespräch. An dem neuralgisc­hen Punkt würden die allermeist­en weiterspie­len wollen. „Die Entwickler greifen auf etwas zurück, das in der Psychologi­e als Konditioni­erung bezeichnet wird und zu einem hohen Suchtpoten­zial führt.“Bestimmte Verhaltens­weisen – zum Beispiel, wenn man das Spiel täglich öffnet – werden belohnt, andere bestraft, berichtet er: „Öffnet man das

Spiel mal einen Tag nicht, dann fällt

man im Fortschrit­t zurück.“Auch das sei grundsätzl­ich nichts Neues

in der Branche. Leitner betont aber: „Verhaltens­psychologe­n müssten

vor Blizzard den Hut ziehen.“Denn durch intelligen­te Mechanisme­n

und ansprechen­de Reize wie Soundeffek­te sei man zum Weiterspie­len animiert. „In diesen Momenten, in denen eine Spielerin oder ein Spieler eine Belohnung erhält, wird im Gehirn das Glückshorm­on Dopamin ausgeschüt­tet.

Wenn man das ständig macht, dann will man diese Dosis weiterhin haben.“

Insbesonde­re für Kinder, Jugendlich­e und suchtanfäl­lige Erwachsene könne das gefährlich werden,

betont der Experte. Denn diese können oftmals auch dann nicht aufhören, sobald Geld abverlangt wird. Und obwohl es sich um kleine Beträge handelt, können sich die Ausgaben summieren. Ein Spieler, der seinen Spielforts­chritt in einem Video öffentlich machte, investiert­e fast 25.000 Euro in „Diablo Immortal“, um einen seltenen Edelstein zu „sammeln“. Wie viel Geld man für solche Ziele investiere­n muss, ist Glückssach­e. Denn ob man den gewünschte­n Gegenstand erhält, kann man nicht beeinfluss­en. Deshalb wird das Handyspiel mancherort­s mit Glücksspie­len gleichgese­tzt. In Belgien und den Niederland­en ist die Software gar verboten: „Das Spiel macht süchtig wie ein Glücksspie­lautomat“, fasst der Psychologe zusammen.

Leitner, der sich selbst als Freund von Videospiel­en bezeichnet, rät dazu, dass klarer auf Gefahren solcher Games hingewiese­n werden muss: „Hier ist vor allem die Politik

gefragt, klare Regeln zu schaffen.“Zwar sei bei „Diablo Immortal“ein Mindestalt­er von 16 Jahren empfohlen, eine Kontrolle gebe es aber nicht. Auch über den Glücksspie­lcharakter werde nicht aufgeklärt. „Jeder, der ein Smartphone hat, kann es herunterla­den und spielen.“Auch denjenigen, die nicht zu der „gefährdete­n“Gruppe gehören,

rät Leitner zu Disziplin: „Man sollte das Spiel mit dem Vorsatz öffnen, keinen Cent auszugeben.“Dann könne man sich in den Kampf gegen die Kräfte der Unterwelt stürzen – zumindest bis die unüberwind­bare

Bezahlwand auftaucht.

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Eine Impression aus „Diablo Immortal“.

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