Vom Höllenspiel zur Spielhölle
Seit einem Monat lässt sich das Handyspiel „Diablo Immortal“herunterladen. Das umstrittene Spiel greift auf einen psychologischen Mechanismus zurück, der süchtig und arm machen kann.
SALZBURG. Kampfbereit steht der Held am Steg. Hinter ihm schaukelt ein Ruderboot sanft hin und her. Der Fährmann, der darinsitzt, hat
ihm vorgeschlagen, ihn an einem anderen Ort abzusetzen. „In diesem Dorf ist die Hölle losgebrochen“,
hat er ihn gewarnt. Doch es gibt keinen Weg zurück. Er muss es mit den Monstern aufnehmen, die vor ihm in der Dunkelheit lauern. Und diese
lassen nicht lang auf sich warten: Nach nur wenigen Spielsekunden steht der Protagonist einem dieser Monster gegenüber. Es ist eine
grässliche Kreatur, mit der ein neues Kapitel einer Spielereihe beginnt, die mittlerweile 25 Jahre zurückreicht. Nur dieses Mal benötigt man
keine Spielekonsole oder einen PC, um in die Welt von „Diablo“einzutauchen. Das Smartphone genügt.
Nur selten dürfte ein Spielstart so ambivalent verlaufen sein wie bei „Diablo Immortal“. Ein Monat ist
vergangen, seit das Spiel erstmals auf mobilen Geräten installiert und
gespielt werden konnte. In dieser Zeit nahm die Produktionsfirma Blizzard 50 Millionen Dollar – also fast 1,5 Millionen pro Tag – mit der
Unterhaltungssoftware ein, wie aus einer Analyse des Onlinemagazins „MobileGamer“hervorgeht. Zehn
Millionen Mal wurde das Spiel auf Smartphones und Tablets heruntergeladen. Obwohl diese Zahlen für die Qualitäten zu sprechen scheinen, fielen die Kritiken meist
vernichtend aus. Auf der Website Metascore, auf der man Bewertungen für Filme, Musik und Computerspiele abgeben kann, erhielt das Spiel die schlechteste Beurteilung
in der Geschichte des Portals. Und das, obwohl Grafik, Stimmung und Geschichte von „Diablo Immortal“gelobt werden.
„So ziemlich alles in dem Spiel zielt darauf ab, viel Geld auszugeben“, bedauert ein Nutzer in Googles Play Store, in dem sich das Spiel
herunterladen lässt. „Schade, mit
weniger Gier hätte es deutlich besser werden können“, schreibt ein anderer. Die Kritik zielt auf das „Pay to win“-Prinzip ab (zahle, um zu gewinnen), das sich in immer mehr Spielen finden lässt. Während sich in „Pay to progress“-Games (zahle, um weiterzukommen) Vorteile erkaufen lassen, können „Pay to win“Spiele nur beendet werden, wenn
man Geld in die Hand nimmt. Das Bezahlmodell, das sich in „Diablo Immortal“wiederfindet, sei kein
neues Phänomen, erläutert Michael Leitner, Psychologe an der Uni Salzburg. Blizzard habe das Prinzip aber perfektioniert. Denn der Einsatz
von Geld werde erst relevant, wenn man bereits weit fortgeschritten ist – und genau hier liege die Gefahr.
„Es ist problematisch, dass man schleichend an das Bezahlmodell
herangeführt wird“, sagt Leitner im SN-Gespräch. An dem neuralgischen Punkt würden die allermeisten weiterspielen wollen. „Die Entwickler greifen auf etwas zurück, das in der Psychologie als Konditionierung bezeichnet wird und zu einem hohen Suchtpotenzial führt.“Bestimmte Verhaltensweisen – zum Beispiel, wenn man das Spiel täglich öffnet – werden belohnt, andere bestraft, berichtet er: „Öffnet man das
Spiel mal einen Tag nicht, dann fällt
man im Fortschritt zurück.“Auch das sei grundsätzlich nichts Neues
in der Branche. Leitner betont aber: „Verhaltenspsychologen müssten
vor Blizzard den Hut ziehen.“Denn durch intelligente Mechanismen
und ansprechende Reize wie Soundeffekte sei man zum Weiterspielen animiert. „In diesen Momenten, in denen eine Spielerin oder ein Spieler eine Belohnung erhält, wird im Gehirn das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet.
Wenn man das ständig macht, dann will man diese Dosis weiterhin haben.“
Insbesondere für Kinder, Jugendliche und suchtanfällige Erwachsene könne das gefährlich werden,
betont der Experte. Denn diese können oftmals auch dann nicht aufhören, sobald Geld abverlangt wird. Und obwohl es sich um kleine Beträge handelt, können sich die Ausgaben summieren. Ein Spieler, der seinen Spielfortschritt in einem Video öffentlich machte, investierte fast 25.000 Euro in „Diablo Immortal“, um einen seltenen Edelstein zu „sammeln“. Wie viel Geld man für solche Ziele investieren muss, ist Glückssache. Denn ob man den gewünschten Gegenstand erhält, kann man nicht beeinflussen. Deshalb wird das Handyspiel mancherorts mit Glücksspielen gleichgesetzt. In Belgien und den Niederlanden ist die Software gar verboten: „Das Spiel macht süchtig wie ein Glücksspielautomat“, fasst der Psychologe zusammen.
Leitner, der sich selbst als Freund von Videospielen bezeichnet, rät dazu, dass klarer auf Gefahren solcher Games hingewiesen werden muss: „Hier ist vor allem die Politik
gefragt, klare Regeln zu schaffen.“Zwar sei bei „Diablo Immortal“ein Mindestalter von 16 Jahren empfohlen, eine Kontrolle gebe es aber nicht. Auch über den Glücksspielcharakter werde nicht aufgeklärt. „Jeder, der ein Smartphone hat, kann es herunterladen und spielen.“Auch denjenigen, die nicht zu der „gefährdeten“Gruppe gehören,
rät Leitner zu Disziplin: „Man sollte das Spiel mit dem Vorsatz öffnen, keinen Cent auszugeben.“Dann könne man sich in den Kampf gegen die Kräfte der Unterwelt stürzen – zumindest bis die unüberwindbare
Bezahlwand auftaucht.