Wie man sich vor Hass im Netz schützt
Digitale Anfeindungen nehmen zu. Was kann jede und jeder dagegen tun? Fachleute geben Tipps für mehr Zivilcourage im Netz.
WIEN. Eine Woche ist mittlerweile vergangen, seit die Ärztin Lisa-Maria Kellermayr aus Oberösterreich tot in ihrer Praxis in Seewalchen aufgefunden wurde. Zuvor hatte sie
monatelang Morddrohungen und Hassnachrichten erhalten. Der Fall zeigt auf, wie sehr Menschen dem
geballten Hass ausgeliefert sind, der ihnen vor allem in den sozialen Medien entgegenschlägt.
Hass im Netz hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Das beobachten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Zara (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit). „Immer mehr Leben spielt sich online ab“, sagt Ramazan Yildiz
von Zara zu den möglichen Ursachen. Dazu komme, dass die Logik
von sozialen Netzwerken und ihren Echokammern Radikalisierung begünstige.
Vor allem Frauen werden oft zur Zielscheibe dieser Anfeindungen. Rund ein Drittel der Frauen hat einer Studie aus dem Jahr 2018 zufolge innerhalb eines Jahres mindestens ein Mal Gewalt im Internet – insbesondere über soziale Medien – erfahren. In der Altersgruppe der 15- bis 18-Jährigen waren sogar fast zwei Drittel betroffen.
Hass im Netz beschäftigt auch die SN-Leserinnen und -Leser.
Zahlreiche Mails und Kommentare erreichten die Redaktion in den vergangenen Tagen. Eine Frage stellen sich darin viele: Was kann jede und
jeder Einzelne konkret gegen den Hass tun?
Wenn man selbst betroffen sei, sei es grundsätzlich wichtig, sich professionelle Unterstützung zu holen, „um aus einer allfälligen Isolation herauszukommen“,
rät Yildiz. Oder sich an Vertrauenspersonen zu wenden, die einen gut begleiten können.
Wichtig sei es auch, die Anfeindungen zu dokumentieren und Beweise zu sammeln – „am besten so, dass
Datum und Kontext erkennbar sind, falls man irgendwann rechtlich vorgehen will“, sagt Yildiz.
Matthias Jax, Projektleiter von Saferinternet.at, gibt zudem Tipps
für mehr Zivilcourage im Netz: „Ganz wichtig ist, dass man den
Hass benennt, wenn man ihn sieht. Zum Beispiel, indem man in einem
Kommentar oder einer Nachricht dem Hassposter zu verstehen gibt, dass der Inhalt beleidigend oder
nicht in Ordnung ist.“Damit gehe freilich auch die Gefahr einher, sich selbst zur Zielscheibe zu machen. „Man sollte sich vorab überlegen,
ob man das aushält. Trotzdem ist es
wichtig, den Hass zu benennen, denn nur so können wir es gemeinschaftlich schaffen, ihn zu stoppen.
Wenn alle Angst haben, dass sie zum nächsten Opfer werden, dann
überlassen wir dem Täter die Bühne“, sagt Jax, der auch rät, sich mit anderen Userinnen und Usern zusammenzuschließen. Der Experte
warnt jedoch davor, Hass mit Hass zu begegnen: „Es bringt nichts, die Person zu beschimpfen. Man sollte ganz neutral bleiben.“
Wer sich auf intensivere Diskussionen mit Hasspostern einlassen
möchte, kann sich mit Tricks aus der sogenannten Counter Speech (zu Deutsch: Gegenrede) behelfen.
In einem Leitfaden auf ihrer Website raten die Expertinnen und Experten
von Saferinternet.at beispielsweise dazu, die Strategie des
Hassposters zu erkennen und gezielt dagegenzuhalten. Postet er oder sie Unterstellungen oder unglaubwürdige wissenschaftliche Erkenntnisse, sollte man nach der Quelle dieser Behauptungen fragen. Meist werde den Userinnen und Usern damit der Wind aus den Segeln genommen.
Neben der aktiven Gegenrede rät Matthias Jax auch dazu, von den
Meldefunktionen in den sozialen Netzwerken Gebrauch zu machen. Ein wesentlicher Teil des seit 2021
geltenden Gesetzespakets gegen Hass im Netz ist das Kommunikationsplattformen-Gesetz (KoPI-G). Das Gesetz verpflichtet soziale Medien wie Facebook, Instagram und TikTok dazu, gemeldete Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu prüfen und gegebenenfalls zu löschen. Bei heiklen oder unklaren Inhalten haben sie dafür sieben Tage Zeit.
Praktisch funktioniert das Melden von Inhalten folgendermaßen: Neben dem betreffenden Kommentar oder dem Posting (in diesem Beispiel auf Facebook) befinden sich
drei kleine Punkte. Unter diesem Menü findet sich die Funktion „Kommentar melden“beziehungsweise „Beitrag melden“. Facebook schlägt nun einige Verstöße gegen die eigenen Richtlinien vor, zum Beispiel „Nacktheit“oder „Gewalt“.
Wer eine Beschwerde nach dem österreichischen KoPI-Gesetz machen möchte, sollte jedoch die Funktion darunter auswählen: „Beitrag als rechtswidrig gemäß KoPI-G
melden“. Danach öffnet sich ein Formular, in dem man verschiedene
Verstöße gegen das österreichische Strafrecht anklicken kann, zum Beispiel „Hassrede“, „Bedrohung“oder „Beleidigung“. Wer sich nicht sicher ist, welcher Verstoß zutreffen könnte, kann auch mehrere Punkte auswählen. Die tatsächliche Prüfung der Inhalte muss ohnehin Facebook vornehmen.
Auch abseits der großen Plattformen erleichtert das Gesetzespaket
gegen Hass im Netz den Weg zu den Behörden. In einem neuen Mandatsverfahren kann jeder und jede
beim Bezirksgericht die Löschung von Hassinhalten erwirken. Ein entsprechendes Formular ist auf der
Website des Justizministeriums zu finden. Außerdem gibt es bei Beleidigungen oder übler Nachrede die Möglichkeit, Privatanklage zu erheben. Neu ist, dass die klagende Person den Beschuldigten nicht mehr auf eigene Kosten ausforschen
muss, sondern dass dies von der Behörde gemacht wird.
Der tragische Tod der Ärztin LisaMaria Kellermayr hat jedoch mit aller Härte gezeigt, wie viel Lücken es im Kampf gegen Hass im Netz noch immer gibt. Der Vorfall habe die Frage aufgeworfen, welche neuen
Kompetenzen es bei der Rechtsdurchsetzung und Strafverfolgung
brauche, sagt Ramazan Yildiz von Zara. Auch Präventionsangebote müssten weiter ausgebaut werden.
Yildiz: „Der Fall Kellermayr hat das Thema Hass im Netz wieder mit dramatischer Deutlichkeit ins
Bewusstsein gebracht.“