Kasperl kommt zu Siegfrieds Geburtstag
Im dritten Teil des neuen Bayreuther „Rings des Nibelungen“liebt Siegfried eine Vermummte.
BAYREUTH. Heiße Nachrichten aus
Bayreuth! Viele Gaststätten machen, so sie überhaupt geöffnet haben, meist vor dem Ende der Aufführungen dicht. Personalmangel!
Auf dem Hügel selbst gibt es Köstlichkeiten wie die ChampagnerBratwurst (schmeckt wie ein leicht
müffeliges Normalo-Exemplar) und es herrscht überall eine fürchterliche Wespenplage. Und sonst? Ach ja, der „Ring“geht weiter.
Wem die Lust nach „Rheingold“und „Walküre“vergangen war, der
wurde beim „Siegfried“erst mal positiv überrascht! Regisseur Valentin Schwarz erzählt mit ordentlicher Personenführung und schönen Einfällen vom bösen Zwerg Mime und seinem wilden Schützling Siegfried.
Dieser hat Geburtstag, statt dem Libretto gemäßen ekligen Suds gibt es wohl nicht minder mundenden Kuchen. Mime (erheblich besser als
im „Rheingold“, trotz eigenwilliger Intonation: Arnold Bezuyen) veranstaltet als Höhepunkt der Party ein
hübsches Kasperletheater und mimt diverse Figuren furios.
Der hereinschneiende Wanderer (wieder arg farblos: Tomasz Konieczny) wird von Bodyguards begleitet
– stimmt, alle befinden sich ja irgendwie mitten in einem mafiösen Familienclan.
Im zweiten Aufzug ziehen der Rumpelkammer-Rüpel und sein Erzieher kurzzeitig in ein Loft um,
dort dämmert Riese Fafner – ein Mensch wie alle – im Pflegebett vor sich hin und begrapscht seine Pflegekraft vulgo Waldvöglein. Sie/Es
beginnt zu weinen und wird von Siegfried getröstet, der sie/es wiederum, recht ungelenk, betatscht.
Dazu kommen die einschlägigen schrägen Töne aus dem Graben – tolle Idee, prima umgesetzt!
Überhaupt interessiert sich Siegfried hier schon sehr fürs weibliche Geschlecht, Mime gab ihm daheim
Das Bayreuther Orchester enttäuscht
schon ein paar Pornobildchen. Fafner stirbt durch einen Herzinfarkt, was die anwesenden Leibwächter irgendwie nicht schert. Siegfried freundet sich mit Fräulein
Waldvogel kurzzeitig an und entscheidet sich dann doch für den
Almauftrieb Richtung Brünnhildes Flammenfelsen. Ein paar Dinge
klappern bis hierhin zwar auch, so
fällt etwa dem Wanderer einmal aus
Versehen ein Revolver aus der Hose, aber das alles sieht man doch recht
gern und freut sich auf die Fortsetzung im dritten Aufzug.
Leider überrascht dieser negativ. Die Walküren waren ja schönheitsoperierte, bandagierte Girlies, die ausgestoßene Brünnhilde laboriert auch noch an der OP und läuft vermummt herum, sie wird von Siegfried sanft entblättert. Das wirkt
blöderweise so gar nicht poetisch, sondern banal und läppisch. Dass er
sie hernach mit der Dame auf dem Pornoflyer vergleicht, ist wiederum
purer Sexismus! Und außerdem wird der ganze Punkt der Situation
– ein junger Mann entdeckt jetzt seine Sexualität – verschenkt. Gab
ja das Vöglein, gibt das Printerzeugnis. Noch blöder ist die Idee, Brünnhildes Pferd Grane als stummen männlichen Begleiter (Bodyguard? Ex-Lover? Familienmitglied?) herumwatscheln zu lassen (Hagen ist als mitteljunger Mann ebenfalls öfters mit von der Partie, zuletzt sa
hen wir ihn als verschachertes Kind, gern wüssten wir, was dazwischen
passiert ist). Die Liebesszene von Siegfried und Brünnhilde wird zum Musterexemplar an Peinlichkeit
und unsinnlichem Spiel. Andreas Schager versucht sich durch Händeringen und szenisches Outrieren zu retten, auch vokal ist er vorwiegend laut bis sehr laut. Daniela Köhlers Brünnhilde wirkt solide, wieder überzeugt Okka von der Damerau als Erda.
Die bitterste Enttäuschung diesmal ist das Bayreuther Festspielorchester unter Cornelius Meister. Ja, es gibt klanglich manch Schönes.
Aber immer wieder stimmt die Koordination nicht, vor allem Schagers Siegfried singt gern vor oder nach seiner orchestralen Begleitung. Insgesamt fehlt es an Glanz, Farbe, Duftigkeit. Das liegt vielleicht nicht nur am Dirigenten, sondern auch an – so war zu hören – etlichen Um- und Neubesetzungen im Graben. Oder ist die Pandemie (mit) schuld? Vom einst so homogenen Weltklasseklangkörper der Jahre vor Corona ist jedenfalls nicht mehr viel zu spüren.
Oper: