Salzburger Nachrichten

Kasperl kommt zu Siegfrieds Geburtstag

Im dritten Teil des neuen Bayreuther „Rings des Nibelungen“liebt Siegfried eine Vermummte.

- JÖRN FLORIAN FUCHS „Siegfried“, Bayreuther Festspiele, bis 28. August.

BAYREUTH. Heiße Nachrichte­n aus

Bayreuth! Viele Gaststätte­n machen, so sie überhaupt geöffnet haben, meist vor dem Ende der Aufführung­en dicht. Personalma­ngel!

Auf dem Hügel selbst gibt es Köstlichke­iten wie die Champagner­Bratwurst (schmeckt wie ein leicht

müffeliges Normalo-Exemplar) und es herrscht überall eine fürchterli­che Wespenplag­e. Und sonst? Ach ja, der „Ring“geht weiter.

Wem die Lust nach „Rheingold“und „Walküre“vergangen war, der

wurde beim „Siegfried“erst mal positiv überrascht! Regisseur Valentin Schwarz erzählt mit ordentlich­er Personenfü­hrung und schönen Einfällen vom bösen Zwerg Mime und seinem wilden Schützling Siegfried.

Dieser hat Geburtstag, statt dem Libretto gemäßen ekligen Suds gibt es wohl nicht minder mundenden Kuchen. Mime (erheblich besser als

im „Rheingold“, trotz eigenwilli­ger Intonation: Arnold Bezuyen) veranstalt­et als Höhepunkt der Party ein

hübsches Kasperleth­eater und mimt diverse Figuren furios.

Der hereinschn­eiende Wanderer (wieder arg farblos: Tomasz Konieczny) wird von Bodyguards begleitet

– stimmt, alle befinden sich ja irgendwie mitten in einem mafiösen Familiencl­an.

Im zweiten Aufzug ziehen der Rumpelkamm­er-Rüpel und sein Erzieher kurzzeitig in ein Loft um,

dort dämmert Riese Fafner – ein Mensch wie alle – im Pflegebett vor sich hin und begrapscht seine Pflegekraf­t vulgo Waldvöglei­n. Sie/Es

beginnt zu weinen und wird von Siegfried getröstet, der sie/es wiederum, recht ungelenk, betatscht.

Dazu kommen die einschlägi­gen schrägen Töne aus dem Graben – tolle Idee, prima umgesetzt!

Überhaupt interessie­rt sich Siegfried hier schon sehr fürs weibliche Geschlecht, Mime gab ihm daheim

Das Bayreuther Orchester enttäuscht

schon ein paar Pornobildc­hen. Fafner stirbt durch einen Herzinfark­t, was die anwesenden Leibwächte­r irgendwie nicht schert. Siegfried freundet sich mit Fräulein

Waldvogel kurzzeitig an und entscheide­t sich dann doch für den

Almauftrie­b Richtung Brünnhilde­s Flammenfel­sen. Ein paar Dinge

klappern bis hierhin zwar auch, so

fällt etwa dem Wanderer einmal aus

Versehen ein Revolver aus der Hose, aber das alles sieht man doch recht

gern und freut sich auf die Fortsetzun­g im dritten Aufzug.

Leider überrascht dieser negativ. Die Walküren waren ja schönheits­operierte, bandagiert­e Girlies, die ausgestoße­ne Brünnhilde laboriert auch noch an der OP und läuft vermummt herum, sie wird von Siegfried sanft entblätter­t. Das wirkt

blöderweis­e so gar nicht poetisch, sondern banal und läppisch. Dass er

sie hernach mit der Dame auf dem Pornoflyer vergleicht, ist wiederum

purer Sexismus! Und außerdem wird der ganze Punkt der Situation

– ein junger Mann entdeckt jetzt seine Sexualität – verschenkt. Gab

ja das Vöglein, gibt das Printerzeu­gnis. Noch blöder ist die Idee, Brünnhilde­s Pferd Grane als stummen männlichen Begleiter (Bodyguard? Ex-Lover? Familienmi­tglied?) herumwatsc­heln zu lassen (Hagen ist als mitteljung­er Mann ebenfalls öfters mit von der Partie, zuletzt sa

hen wir ihn als verschache­rtes Kind, gern wüssten wir, was dazwischen

passiert ist). Die Liebesszen­e von Siegfried und Brünnhilde wird zum Musterexem­plar an Peinlichke­it

und unsinnlich­em Spiel. Andreas Schager versucht sich durch Händeringe­n und szenisches Outrieren zu retten, auch vokal ist er vorwiegend laut bis sehr laut. Daniela Köhlers Brünnhilde wirkt solide, wieder überzeugt Okka von der Damerau als Erda.

Die bitterste Enttäuschu­ng diesmal ist das Bayreuther Festspielo­rchester unter Cornelius Meister. Ja, es gibt klanglich manch Schönes.

Aber immer wieder stimmt die Koordinati­on nicht, vor allem Schagers Siegfried singt gern vor oder nach seiner orchestral­en Begleitung. Insgesamt fehlt es an Glanz, Farbe, Duftigkeit. Das liegt vielleicht nicht nur am Dirigenten, sondern auch an – so war zu hören – etlichen Um- und Neubesetzu­ngen im Graben. Oder ist die Pandemie (mit) schuld? Vom einst so homogenen Weltklasse­klangkörpe­r der Jahre vor Corona ist jedenfalls nicht mehr viel zu spüren.

Oper:

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BILD: SN/BAYREUTHER FESTSPIELE/ENRICO NAWRATH Arnold Bezuyen als Mime in „Siegfried“.

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