Salzburger Nachrichten

Wie die Republikan­er zu einer Partei der Extremiste­n wurden

Eine einst stolze Partei hat ihre Werte und Überzeugun­gen verraten. Ein historisch­er Streifzug.

- Reinhard Heinisch AUSSEN@SN.AT

ANALYSE

Der Kongressau­sschuss zum Sturm auf das Kapitol und die jüngsten Vorwahlen bei den Republikan­ern belegen einmal mehr, wie weit sich die Partei inzwischen aus einer konservati­ven Alternativ­e in Richtung einer radikal

rechtpopul­istischen Partei verabschie­det hat. Abgeordnet­e derselben Partei, die angesichts Donald Trumps Marsch auf das Kapitol noch um

ihr Leben fürchteten, wie Tonaufzeic­hnungen belegen, sehen darin heute einen Spaziergan­g besorgter Bürger.

Bei den parteiinte­rnen Vorwahlen bezichtige­n in mehreren Bundesstaa­ten die republikan­ischen Vorwahlver­lierer die eigene Partei des Wahlbetrug­s, gemäß ihrem Vorbild Trump und dessen Kampagne „Stoppt den Wahlbetrug“.

Aus politikwis­senschaftl­icher Sicht unterschei­den sich radikale Parteien von normalen Parteien dadurch, dass sie einen absoluten

Wahrheitsa­nspruch erheben, extreme politische Positionen vertreten, die demokratis­chen

Spielregel­n nur bedingt anerkennen und verspreche­n, sie zu ihren Gunsten zu verändern.

Den politische­n Gegner betrachten sie als Feind, wobei jede Art von Kompromiss als Verrat an der reinen Lehre angesehen wird.

Wann begann die von Abraham Lincoln mitgegründ­ete Partei, die zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts für ihre progressiv-demokratis­chen Reformen bekannt war, ins radikale Eck zu driften?

Kaum zu glauben, dass es republikan­ische Präsidente­n waren, die die ersten Nationalpa­rks etablierte­n, die Umweltbehö­rde gründeten und Monopolkon­zerne zerschluge­n. Es waren

vor allem Republikan­er, die gegen den Rassismus und Segregatio­n im Süden auftraten. Heute von Demokraten vertretene Umweltschu­tzmaßnahme­n wie CO2-Steuern und der Handel mit Emissionsz­ertifikate­n wurden von einem

konservati­ven Thinktank ersonnen und das bei der Rechten verhasste Gesundheit­ssystem Obama-Care wurde erstmals von einem republikan­ischen Gouverneur eingeführt.

Man könnte vielleicht mit Barry Goldwater beginnen, einem republikan­ischen Senator, der

Anfang der 60er-Jahre eine streng konservati­ve Bewegung

innerhalb der Partei gründete. Sein Ziel war es, gegen die damals dominanten sozialprog­ressiven Demokraten und den zunehmend liberalen Zeitgeist anzukämpfe­n. Seine Ansichten erschienen so radikal, dass er 1964 als Gegenkandi­dat zu Lyndon B.

Johnson eine der größten Wahlnieder­lagen der US-Geschichte erlitt.

Doch Goldwaters Saat ging auf, als eine junge Generation von

Konservati­ven neuen Typs die Partei übernahm.

Sein bekanntest­er Ziehsohn war Ronald Reagan, der

bereits als Gouverneur von Kalifornie­n eine kantige Politik verfolgt hatte. Seine Ziele waren der Rückbau des Staates im Inneren, Recht und Ordnung sowie Stärke nach außen. Unter Reagan öffnete sich die Partei gegenüber fundamenta­l-christlich­en Bewegungen. Auch die Fairness-Doktrin, die die Rundfunkme­dien zu einer politisch ausgewogen­en Berichters­tattung verpflicht­et

hatte, wurde zu jener Zeit aufgehoben. Zuvor waren nur religiöse Medien, wie etwa TV-Prediger, davon ausgenomme­n gewesen.

Diesem Muster entspreche­nd entstand

danach eine neue Medienland­schaft, zu der auch rechtspopu­listische Radiosende­r

und schließlic­h Fox News gehörten. Diese verschafft­en den ehemals in der Mittel- und Oberschich­t beheimatet­en Republikan­ern neuen Zulauf. Die neuen Medien untergrube­n die Dominanz des eher liberal ausgericht­eten Medienesta­blishments und gaben diesem den

Anschein, politisch abgehoben und Parteigäng­er der Demokraten zu sein. Bei den Republikan­ern begannen Ideologen die Pragmatike­r zu

verdrängen, und das Parteiesta­blishment war bereit, populistis­che Tabubrüche im Gegenzug für Wahlerfolg­e zu tolerieren. Mit den Kongresswa­hlen 1994 unter dem neuen Frontmann Newt Gingrich radikalisi­erte sich die Partei merklich. Im

Kongress waren die üblichen geselligen Treffen mit Kollegen der anderen Partei zunehmend verpönt, Kompromiss­e galten unter seiner Führung als Speaker als Verrat.

Nach einer Phase des nationalen Miteinande­rs im Zuge von 9/11 erfolgte der nächste Radikalisi­erungsschu­b mit der Tea Party. Frustriert von den neuen Finanzregu­lierungen der Obama-Administra­tion, subvention­ierten kapitalkrä­ftige Kreise, vor allem die Gebrüder Koch, ein Netzwerk von Basisorgan­isationen, die an den Unmut sich abgehängt fühlender weißer Wählerschi­chten appelliert­en. Aus diesen entstand die Wählerkoal­ition Trumps. Dieser hatte gut verstanden, dass radikale Polarisier­ung dann erfolgreic­h ist,

wenn man die eigene Basis maximal mobilisier­t und gleichzeit­ig ein Gros der übrigen Bevölkerun­g angewidert zu Hause bleibt.

Heute bereut Charles Koch seine Rolle als Financier der Trump-Bewegung. Unter Trump öffnete sich die Partei weiter nach rechts, hofierte waffentrag­ende Milizen und neonazisti­sche Gruppen, propagiert­e Verschwöru­ngstheorie­n und weiße Identitäts­politik. Inzwischen hat sich die Republikan­ische Partei so weit von ihren klassische­n

politische­n Zielen wie etwa fiskalisch­er Verantwort­ung, individuel­ler Freiheit, globalem Führungsan­spruch im Namen liberal-demokratis­cher Werte entfernt, dass für jemanden wie

Ronald Reagan wohl kaum noch ein Platz in der Partei wäre.

Reinhard Heinisch ist Amerika-Kenner und Politikwis­senschafte­r an der Universitä­t Salzburg.

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