Wie die Republikaner zu einer Partei der Extremisten wurden
Eine einst stolze Partei hat ihre Werte und Überzeugungen verraten. Ein historischer Streifzug.
ANALYSE
Der Kongressausschuss zum Sturm auf das Kapitol und die jüngsten Vorwahlen bei den Republikanern belegen einmal mehr, wie weit sich die Partei inzwischen aus einer konservativen Alternative in Richtung einer radikal
rechtpopulistischen Partei verabschiedet hat. Abgeordnete derselben Partei, die angesichts Donald Trumps Marsch auf das Kapitol noch um
ihr Leben fürchteten, wie Tonaufzeichnungen belegen, sehen darin heute einen Spaziergang besorgter Bürger.
Bei den parteiinternen Vorwahlen bezichtigen in mehreren Bundesstaaten die republikanischen Vorwahlverlierer die eigene Partei des Wahlbetrugs, gemäß ihrem Vorbild Trump und dessen Kampagne „Stoppt den Wahlbetrug“.
Aus politikwissenschaftlicher Sicht unterscheiden sich radikale Parteien von normalen Parteien dadurch, dass sie einen absoluten
Wahrheitsanspruch erheben, extreme politische Positionen vertreten, die demokratischen
Spielregeln nur bedingt anerkennen und versprechen, sie zu ihren Gunsten zu verändern.
Den politischen Gegner betrachten sie als Feind, wobei jede Art von Kompromiss als Verrat an der reinen Lehre angesehen wird.
Wann begann die von Abraham Lincoln mitgegründete Partei, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für ihre progressiv-demokratischen Reformen bekannt war, ins radikale Eck zu driften?
Kaum zu glauben, dass es republikanische Präsidenten waren, die die ersten Nationalparks etablierten, die Umweltbehörde gründeten und Monopolkonzerne zerschlugen. Es waren
vor allem Republikaner, die gegen den Rassismus und Segregation im Süden auftraten. Heute von Demokraten vertretene Umweltschutzmaßnahmen wie CO2-Steuern und der Handel mit Emissionszertifikaten wurden von einem
konservativen Thinktank ersonnen und das bei der Rechten verhasste Gesundheitssystem Obama-Care wurde erstmals von einem republikanischen Gouverneur eingeführt.
Man könnte vielleicht mit Barry Goldwater beginnen, einem republikanischen Senator, der
Anfang der 60er-Jahre eine streng konservative Bewegung
innerhalb der Partei gründete. Sein Ziel war es, gegen die damals dominanten sozialprogressiven Demokraten und den zunehmend liberalen Zeitgeist anzukämpfen. Seine Ansichten erschienen so radikal, dass er 1964 als Gegenkandidat zu Lyndon B.
Johnson eine der größten Wahlniederlagen der US-Geschichte erlitt.
Doch Goldwaters Saat ging auf, als eine junge Generation von
Konservativen neuen Typs die Partei übernahm.
Sein bekanntester Ziehsohn war Ronald Reagan, der
bereits als Gouverneur von Kalifornien eine kantige Politik verfolgt hatte. Seine Ziele waren der Rückbau des Staates im Inneren, Recht und Ordnung sowie Stärke nach außen. Unter Reagan öffnete sich die Partei gegenüber fundamental-christlichen Bewegungen. Auch die Fairness-Doktrin, die die Rundfunkmedien zu einer politisch ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet
hatte, wurde zu jener Zeit aufgehoben. Zuvor waren nur religiöse Medien, wie etwa TV-Prediger, davon ausgenommen gewesen.
Diesem Muster entsprechend entstand
danach eine neue Medienlandschaft, zu der auch rechtspopulistische Radiosender
und schließlich Fox News gehörten. Diese verschafften den ehemals in der Mittel- und Oberschicht beheimateten Republikanern neuen Zulauf. Die neuen Medien untergruben die Dominanz des eher liberal ausgerichteten Medienestablishments und gaben diesem den
Anschein, politisch abgehoben und Parteigänger der Demokraten zu sein. Bei den Republikanern begannen Ideologen die Pragmatiker zu
verdrängen, und das Parteiestablishment war bereit, populistische Tabubrüche im Gegenzug für Wahlerfolge zu tolerieren. Mit den Kongresswahlen 1994 unter dem neuen Frontmann Newt Gingrich radikalisierte sich die Partei merklich. Im
Kongress waren die üblichen geselligen Treffen mit Kollegen der anderen Partei zunehmend verpönt, Kompromisse galten unter seiner Führung als Speaker als Verrat.
Nach einer Phase des nationalen Miteinanders im Zuge von 9/11 erfolgte der nächste Radikalisierungsschub mit der Tea Party. Frustriert von den neuen Finanzregulierungen der Obama-Administration, subventionierten kapitalkräftige Kreise, vor allem die Gebrüder Koch, ein Netzwerk von Basisorganisationen, die an den Unmut sich abgehängt fühlender weißer Wählerschichten appellierten. Aus diesen entstand die Wählerkoalition Trumps. Dieser hatte gut verstanden, dass radikale Polarisierung dann erfolgreich ist,
wenn man die eigene Basis maximal mobilisiert und gleichzeitig ein Gros der übrigen Bevölkerung angewidert zu Hause bleibt.
Heute bereut Charles Koch seine Rolle als Financier der Trump-Bewegung. Unter Trump öffnete sich die Partei weiter nach rechts, hofierte waffentragende Milizen und neonazistische Gruppen, propagierte Verschwörungstheorien und weiße Identitätspolitik. Inzwischen hat sich die Republikanische Partei so weit von ihren klassischen
politischen Zielen wie etwa fiskalischer Verantwortung, individueller Freiheit, globalem Führungsanspruch im Namen liberal-demokratischer Werte entfernt, dass für jemanden wie
Ronald Reagan wohl kaum noch ein Platz in der Partei wäre.
Reinhard Heinisch ist Amerika-Kenner und Politikwissenschafter an der Universität Salzburg.