Die Krise ist in den Köpfen und Seelen angekommen
Die Politik scheint am Ende ihrer Weisheit angelangt. Das stellt die Demokratie vor immense Herausforderungen.
Als besorgniserregend empfinden wir aber vor allem den massiven Rückgang im ,Vertrauen in die Mitmenschen‘ und im ,Vertrauen in Institutionen‘.“Das schreibt die deutsche Bertelsmann-Stiftung in einer Untersuchung über die Stimmung in Baden-Württemberg, die in Österreich nicht viel anders sein dürfte.
„Politik stürzt ab“, schreibt die Austria Presse Agentur (APA) unter Berufung auf den „Vertrauensindex“, mit dem die APA regelmäßig
gemeinsam mit dem OGM-Institut die Stimmungslage in Österreich durchleuchtet.
Kein Zweifel: Die Dauerkrise, in der sich unsere Welt seit zweieinhalb Jahren befindet, zieht Spuren durch unsere Köpfe und Seelen. Vor allem wir im Wohlstands-Westen
haben uns jahrelang der (von unseren Regierenden reichlich genährten) Illusion hingegeben, dass die Politik alle Fährnisse des Alltags
wegzaubern kann. Corona, Krieg, Klimawandel, die ungebremste Migration haben uns die Augen dafür geöffnet, dass das nicht mehr funktioniert. Die Politik ist am Ende
ihrer Weisheit angelangt. Und am Ende unseres Vertrauens.
Entsprechend groß ist die Frustration der Menschen. Laut
APA/OGM-Index ist die Regierung auf den letzten Platz des Vertrauensrankings heruntergerasselt, bei dem auch andere Institutionen von der Feuerwehr bis zur Justiz abgefragt werden. Nur knapp davor liegen, das sei nicht verschwiegen, die Medien. Wobei der schrille Ton in den sogenannten sozialen Medien
nicht eben vertrauensbildend wirken dürfte und den Reputationsverlust damit auch jene Medien erleiden, die sich um seriöse Recherche und Einordnung bemühen.
Die politischen Auswirkungen des Vertrauensverlusts gehen weit
über die Frage hinaus, wie der nächste Bundeskanzler heißt. Der Graben, den die Krise gerissen hat, ist tiefer. Möglicherweise werden
wir das bereits bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl zu spüren bekommen. Amtsinhaber Alexander Van der Bellen muss sich bei seinen Auftritten mit lautstarken
Unmutsäußerungen einer diffusen Protestszene plagen. Die demonstrierenden Zwischenrufer mögen eine extreme Minderheit sein, es
gibt aber zu denken, dass der Bundespräsident
im jüngsten Vertrauensindex weit nach unten gerutscht
ist. Wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl, bei der etliche Gegenkandidaten auf den Plan treten und bei der die tief im rechten Protestmilieu verankerten Freiheitlichen mit Walter Rosenkranz einen
relativ reputierlichen Gegenkandidaten aufgestellt haben, ist das ein
bemerkenswerter Befund. Es könnte am Wahltag bei jenen, die einen
ungefährdeten Durchmarsch Van der Bellens erwarten, enttäuschte Gesichter geben.
Noch mehr Wählerfrust dürfte sich bei der nächsten Nationalratswahl entladen. Die Szene der Coronaprotestierer und Putin-Versteher
wird im Wahlergebnis ihren Niederschlag finden. Ein Blick nach Ungarn,
wo ein rechter Autokrat regiert, und nach Italien, wo die Neofaschisten nach dem Sessel des Regierungschefs greifen, legt nahe, dass die Demokratie auch hierzulande vor immensen Herausforderungen steht.
„Die größte Gefahr“gehe derzeit von Islamisten und Rechtsextremen aus, aber auch die Coronaleugner-Szene sei „nicht zu vernachlässigen“, sagte jüngst Terrorismusexperte Nicolas Stockhammer zur Bedrohungslage in Österreich. Radikaler Unmut kann sich also nicht nur in Form von Wahlergebnissen, sondern auf noch viel gefährlichere
Weise äußern.
Bei den Wahlen droht Bürgerfrust