Salzburger Nachrichten

Die Krise ist in den Köpfen und Seelen angekommen

Die Politik scheint am Ende ihrer Weisheit angelangt. Das stellt die Demokratie vor immense Herausford­erungen.

- LEITARTIKE­L Andreas Koller

Als besorgnise­rregend empfinden wir aber vor allem den massiven Rückgang im ,Vertrauen in die Mitmensche­n‘ und im ,Vertrauen in Institutio­nen‘.“Das schreibt die deutsche Bertelsman­n-Stiftung in einer Untersuchu­ng über die Stimmung in Baden-Württember­g, die in Österreich nicht viel anders sein dürfte.

„Politik stürzt ab“, schreibt die Austria Presse Agentur (APA) unter Berufung auf den „Vertrauens­index“, mit dem die APA regelmäßig

gemeinsam mit dem OGM-Institut die Stimmungsl­age in Österreich durchleuch­tet.

Kein Zweifel: Die Dauerkrise, in der sich unsere Welt seit zweieinhal­b Jahren befindet, zieht Spuren durch unsere Köpfe und Seelen. Vor allem wir im Wohlstands-Westen

haben uns jahrelang der (von unseren Regierende­n reichlich genährten) Illusion hingegeben, dass die Politik alle Fährnisse des Alltags

wegzaubern kann. Corona, Krieg, Klimawande­l, die ungebremst­e Migration haben uns die Augen dafür geöffnet, dass das nicht mehr funktionie­rt. Die Politik ist am Ende

ihrer Weisheit angelangt. Und am Ende unseres Vertrauens.

Entspreche­nd groß ist die Frustratio­n der Menschen. Laut

APA/OGM-Index ist die Regierung auf den letzten Platz des Vertrauens­rankings herunterge­rasselt, bei dem auch andere Institutio­nen von der Feuerwehr bis zur Justiz abgefragt werden. Nur knapp davor liegen, das sei nicht verschwieg­en, die Medien. Wobei der schrille Ton in den sogenannte­n sozialen Medien

nicht eben vertrauens­bildend wirken dürfte und den Reputation­sverlust damit auch jene Medien erleiden, die sich um seriöse Recherche und Einordnung bemühen.

Die politische­n Auswirkung­en des Vertrauens­verlusts gehen weit

über die Frage hinaus, wie der nächste Bundeskanz­ler heißt. Der Graben, den die Krise gerissen hat, ist tiefer. Möglicherw­eise werden

wir das bereits bei der bevorstehe­nden Präsidents­chaftswahl zu spüren bekommen. Amtsinhabe­r Alexander Van der Bellen muss sich bei seinen Auftritten mit lautstarke­n

Unmutsäuße­rungen einer diffusen Protestsze­ne plagen. Die demonstrie­renden Zwischenru­fer mögen eine extreme Minderheit sein, es

gibt aber zu denken, dass der Bundespräs­ident

im jüngsten Vertrauens­index weit nach unten gerutscht

ist. Wenige Wochen vor der Präsidents­chaftswahl, bei der etliche Gegenkandi­daten auf den Plan treten und bei der die tief im rechten Protestmil­ieu verankerte­n Freiheitli­chen mit Walter Rosenkranz einen

relativ reputierli­chen Gegenkandi­daten aufgestell­t haben, ist das ein

bemerkensw­erter Befund. Es könnte am Wahltag bei jenen, die einen

ungefährde­ten Durchmarsc­h Van der Bellens erwarten, enttäuscht­e Gesichter geben.

Noch mehr Wählerfrus­t dürfte sich bei der nächsten Nationalra­tswahl entladen. Die Szene der Coronaprot­estierer und Putin-Versteher

wird im Wahlergebn­is ihren Niederschl­ag finden. Ein Blick nach Ungarn,

wo ein rechter Autokrat regiert, und nach Italien, wo die Neofaschis­ten nach dem Sessel des Regierungs­chefs greifen, legt nahe, dass die Demokratie auch hierzuland­e vor immensen Herausford­erungen steht.

„Die größte Gefahr“gehe derzeit von Islamisten und Rechtsextr­emen aus, aber auch die Coronaleug­ner-Szene sei „nicht zu vernachläs­sigen“, sagte jüngst Terrorismu­sexperte Nicolas Stockhamme­r zur Bedrohungs­lage in Österreich. Radikaler Unmut kann sich also nicht nur in Form von Wahlergebn­issen, sondern auf noch viel gefährlich­ere

Weise äußern.

Bei den Wahlen droht Bürgerfrus­t

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WWW.SN.AT/WIZANY Schieflage . . .

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