Selenskyj weist kritischen Amnesty-Bericht zurück
KIEW. Der ukrainische Präsident
Wolodymyr Selenskyj hat einen Bericht von Amnesty International (AI) zu angeblichen Völkerrechtsverstößen seiner Streitkräfte kritisiert. Er warf der Menschenrechtsorganisation vor, sie verlagere die
Verantwortlichkeit vom Aggressor auf das Opfer. Wer einen solchen
Zusammenhang herstelle, „muss sich eingestehen, dass er damit Terroristen hilft“, sagte Selenskyj in einer Videoansprache am späten Donnerstagabend.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft der ukrainischen Armee vor, mit ihrer Kriegsführung teils Zivilisten in Gefahr zu bringen. Bei der Abwehr der
bereits seit mehr als fünf Monaten andauernden russischen Invasion
errichteten die Ukrainer Militärbasen etwa in besiedelten Wohngebieten – darunter auch in Schulen und Krankenhäusern – oder bedienten dort Waffensysteme, heißt es in einem am Donnerstag erschienenen Amnesty-Bericht.
Das Kriegsrecht aber verlange von Konfliktparteien, militärische Objekte so weit wie möglich entfernt von zivilen Einrichtungen zu
platzieren, mahnte die Organisation. Amnesty betonte aber auch: „Gleichzeitig rechtfertigen die ukrainischen Verstöße in keiner
Weise die vielen wahllosen Schläge des russischen Militärs mit zivilen Opfern, die wir in den vergangenen Monaten dokumentiert haben.“
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sei „ungerechtfertigt, invasiv und terroristisch“, betonte der ukrainische Präsident. „Wenn jemand einen Bericht anfertigt, in dem Opfer und Angreifer gewissermaßen auf eine Stufe gestellt werden, wenn gewisse Dinge über das Opfer analysiert und Taten des
Angreifers ignoriert werden, dann kann das nicht toleriert werden.“
Auf einzelne Punkte der AmnestyKritik ging Selenskyj nicht ein.
Unterdessen haben die russischen Truppen nach ukrainischen
Angaben im Gebiet Donezk eine größere Offensive gestartet. „Im Raum Donezk führt der Feind eine
Angriffsoperation Richtung Bachmut und Awdijiwka durch“, teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht am Freitagmorgen mit. Mit den Gefechten versuchen
die russischen Truppen demnach, sich in eine gute Ausgangsposition
für die Eroberung der Städte Soledar und Bachmut zu bringen und ihre Kontrolle auf das Gebiet westlich
von Donezk zu erweitern. Die Städte Soledar und Bachmut sind Teil der Verteidigungslinie östlich des Ballungsraums um die Großstädte Slowjansk und Kramatorsk. Dort lebten vor dem Krieg mehr als eine halbe Million Menschen. Es ist der letzte Großraum im Donbass, der noch von Kiewer Truppen kontrolliert wird. Die Ukraine hat das Gebiet zu einer Festung ausgebaut. Die Kampfhandlungen nehmen seit Tagen wieder an Schärfe zu.