Die Frau im Bus macht Alltag zur Poesie
Mit „All personal“, einer Schau mit vielen bisher ungesehenen Bildern von Elfie Semotan, gelingt dem Salzburger Fotohof ein Coup.
SALZBURG. Hinter dem Fenster im Bus sitzt eine Frau. Oder spiegelt sich nur ihr Gesicht? Das Bild könnte von Abreise, von Bewegung erzählen. Und doch ist es nur ein Moment, der festgehalten wird. Vorher
und Nachher kann man sich nur ausdenken. Jedes Foto entreißt eine Situation der Vergänglichkeit. Die Frau im Bus ist Elfie Semotan, die sich selbst fotografiert hat auf einer Reise in Italien. Motiv und Schöpferin gleichermaßen ist Semotan, Erzählerin und Geschichte in einem.
Das Schwarz-Weiß-Bild hängt derzeit im Salzburger Fotohof. Es drängt sich – wie so viele andere Bilder in dieser umfangreichen Schau
– nicht in den Vordergrund. Es reiht sich ein, passt dazu, ergibt mit den
vielen anderen ein ganzes Bild über ein bislang nie gezeigtes Schaffen der großen Fotografin.
Nichts ist hier zu sehen von den Werken, die Semotan auch jenseits der Fotowelt berühmt gemacht haben. Und weil sich nichts protzend aufspielt (oder gerade deshalb), ist die Ausstellung im Fotohof so spektakulär, und ja: Sie ist auch einzigartig in der bisherigen Betrachtung der Foto- und also auch Beobachtungswelt der gebürtigen Oberösterreicherin, die vor wenigen
Tagen ihren 81. Geburtstag hatte.
„All personal“heißt die Schau. Und tatsächlich wirkt es, als komme man der Fotografin persönlich recht nahe. Da sind sehr viele Bilder aus dem engsten Umfeld. Die beiden Kuratoren Michael Mauracher
und Rainer Iglar haben mit Semotan und ihrem Studioteam das private Archiv gesichtet. Im Fokus stehen die Familie, Häuser, in denen gewohnt wurde und gewohnt wird, der künstlerische Freundeskreis, Bilder von Reisen, aus dem Urlaub, Landschaften und Stillleben.
Die Besonderheit der Schau liegt darin, dass sie eben nicht die „bekannte“Semotan zeigt, aber durchaus auf sie verweist. Legendäre Bildstrecken stammen von dieser Frau.
Von ihr gibt es eindringliche Porträts, Aufnahmen aus den Ateliers
verschiedener Künstlerinnen und Künstler. Als Mode- und Werbefotografin hatte sie erfolgreich und öffentlichkeitswirksam die Modeund Werbeszene geprägt. Das passierte etwa mit legendären, auch
umstrittenen Kampagnen für Römerquelle oder Palmers. Von Magazinen wie „Vogue“, „Elle“, „Esquire“, „Harper’s Bazaar“und „The New Yorker“wurde sie engagiert. „Elfie Semotan ist Teil des visuellen Gedächtnisses Österreichs, ja der Welt“, sagt Mauracher.
Und dann sieht man im Fotohof – fast wie Gegenstücke zu etwas wie
einem öffentlichen, visuellen Gedächtnis – diese recht simplen, ja
banalen Dinge und Szenen. Eine Gartenbank, Sandstrandansichten, ein zerwühltes Bett, einen schattigen Hinterhof, Porträts ihrer Ehemänner, Häuser, Gesichter. Nichts
von dem, wofür Semotan bekannt
In vielen Kleinigkeiten steckt die Poesie
ist. Man erkennt dennoch einen Grundton, der als unbeirrbares
Festhalten an der Suche nach einer außergewöhnlichen Schönheit mitschwingt. Lust und gute Augen und
untrügliches Gefühl dafür, sogenannte Regeln des Genres zu unterlaufen, ein Spiel mit einem besonderen Blick – das alles ist zu erkennen. So ergreift bei diesen Bildern eine seltsame und seltene Poesie den Alltag, den Semotan abbildet. Oder umgekehrt: Es drängen sich
nie die Bilder auf, aber die Poesie, die Semotan erkennt, wenn sie abdrückt, ist allgegenwärtig.
Es gab keinen Auftrag für diese Bilder. „Sie wurden gemacht, weil
ich sie machen wollte“, erzählt Elfie Semotan. Es gab die Begeisterung
für das Medium Fotografie und für „visuelle Entdeckungen“.
Was sich sonst in der Umgebung verlieren würde, was wir unachtsam übergehen oder woran wir achtlos vorbeigehen, wird hier festgehalten. Semotan fotografierte,
was sich rund um sie abspielte. Sie tat es jedoch immer mit Bedacht, auch wenn es eng war. „Wenn die
Kinder geschlafen haben, habe ich fotografiert“, sagt sie über die frühen Tage. Auf Urlauben nahm sie alles mit, um in einem Bad die Dunkelkammer einzurichten. Jeden
Abend habe sie dann Filme und Bilder entwickelt. „Das war sehr schön“, sagt sie.
Manches in dieser Ausstellung mag bei schnellem Hinschauen gewöhnlich aussehen, wie einem Familienalbum entnommen. Daran
liegt jedoch auch das Besondere. Semotan sieht Brüche und Widersprüche, die auch später in berühmt gewordenen Porträts erkennbar
bleiben, die sich auch aufspüren lassen, wenn sie Mode oder Berühmtheiten fotografiert. Was im Fotohof zu sehen ist, wirkt – im Sinn einer poetischen Dokumentation mit einer persönlichen Annäherung, vielleicht gar Zuneigung zu ihren Motiven – so eindrucksvoll,
weil es scheint, als wäre vieles einfach im Vorbeigehen festgehalten
worden. Damit dieser Eindruck entsteht, muss vor dem Auslösen der Kamera jedoch das Besondere erkannt werden. Etwa beim Bild der Eingangstür zum Parfumshop von Helmut Lang, mit dem Elfie Semotan seit Jahrzehnten befreundet ist. Da mag man auf dem Foto bloß eine
recht schön gestaltete Tür in der Greene Street in Süd-Manhattan sehen. Und doch wird diese Tür durch ein Licht-Schatten-Spiel, eben durch diesen einen Moment,
in dem das Bild entstand, von einer Kleinigkeit zu berührender Poesie.