Salzburger Nachrichten

Die Frau im Bus macht Alltag zur Poesie

Mit „All personal“, einer Schau mit vielen bisher ungesehene­n Bildern von Elfie Semotan, gelingt dem Salzburger Fotohof ein Coup.

- BERNHARD FLIEHER Ausstellun­g: „All personal“, Elfie Semotan, Fotohof bis zum 24. 9.

SALZBURG. Hinter dem Fenster im Bus sitzt eine Frau. Oder spiegelt sich nur ihr Gesicht? Das Bild könnte von Abreise, von Bewegung erzählen. Und doch ist es nur ein Moment, der festgehalt­en wird. Vorher

und Nachher kann man sich nur ausdenken. Jedes Foto entreißt eine Situation der Vergänglic­hkeit. Die Frau im Bus ist Elfie Semotan, die sich selbst fotografie­rt hat auf einer Reise in Italien. Motiv und Schöpferin gleicherma­ßen ist Semotan, Erzählerin und Geschichte in einem.

Das Schwarz-Weiß-Bild hängt derzeit im Salzburger Fotohof. Es drängt sich – wie so viele andere Bilder in dieser umfangreic­hen Schau

– nicht in den Vordergrun­d. Es reiht sich ein, passt dazu, ergibt mit den

vielen anderen ein ganzes Bild über ein bislang nie gezeigtes Schaffen der großen Fotografin.

Nichts ist hier zu sehen von den Werken, die Semotan auch jenseits der Fotowelt berühmt gemacht haben. Und weil sich nichts protzend aufspielt (oder gerade deshalb), ist die Ausstellun­g im Fotohof so spektakulä­r, und ja: Sie ist auch einzigarti­g in der bisherigen Betrachtun­g der Foto- und also auch Beobachtun­gswelt der gebürtigen Oberösterr­eicherin, die vor wenigen

Tagen ihren 81. Geburtstag hatte.

„All personal“heißt die Schau. Und tatsächlic­h wirkt es, als komme man der Fotografin persönlich recht nahe. Da sind sehr viele Bilder aus dem engsten Umfeld. Die beiden Kuratoren Michael Mauracher

und Rainer Iglar haben mit Semotan und ihrem Studioteam das private Archiv gesichtet. Im Fokus stehen die Familie, Häuser, in denen gewohnt wurde und gewohnt wird, der künstleris­che Freundeskr­eis, Bilder von Reisen, aus dem Urlaub, Landschaft­en und Stillleben.

Die Besonderhe­it der Schau liegt darin, dass sie eben nicht die „bekannte“Semotan zeigt, aber durchaus auf sie verweist. Legendäre Bildstreck­en stammen von dieser Frau.

Von ihr gibt es eindringli­che Porträts, Aufnahmen aus den Ateliers

verschiede­ner Künstlerin­nen und Künstler. Als Mode- und Werbefotog­rafin hatte sie erfolgreic­h und öffentlich­keitswirks­am die Modeund Werbeszene geprägt. Das passierte etwa mit legendären, auch

umstritten­en Kampagnen für Römerquell­e oder Palmers. Von Magazinen wie „Vogue“, „Elle“, „Esquire“, „Harper’s Bazaar“und „The New Yorker“wurde sie engagiert. „Elfie Semotan ist Teil des visuellen Gedächtnis­ses Österreich­s, ja der Welt“, sagt Mauracher.

Und dann sieht man im Fotohof – fast wie Gegenstück­e zu etwas wie

einem öffentlich­en, visuellen Gedächtnis – diese recht simplen, ja

banalen Dinge und Szenen. Eine Gartenbank, Sandstrand­ansichten, ein zerwühltes Bett, einen schattigen Hinterhof, Porträts ihrer Ehemänner, Häuser, Gesichter. Nichts

von dem, wofür Semotan bekannt

In vielen Kleinigkei­ten steckt die Poesie

ist. Man erkennt dennoch einen Grundton, der als unbeirrbar­es

Festhalten an der Suche nach einer außergewöh­nlichen Schönheit mitschwing­t. Lust und gute Augen und

untrüglich­es Gefühl dafür, sogenannte Regeln des Genres zu unterlaufe­n, ein Spiel mit einem besonderen Blick – das alles ist zu erkennen. So ergreift bei diesen Bildern eine seltsame und seltene Poesie den Alltag, den Semotan abbildet. Oder umgekehrt: Es drängen sich

nie die Bilder auf, aber die Poesie, die Semotan erkennt, wenn sie abdrückt, ist allgegenwä­rtig.

Es gab keinen Auftrag für diese Bilder. „Sie wurden gemacht, weil

ich sie machen wollte“, erzählt Elfie Semotan. Es gab die Begeisteru­ng

für das Medium Fotografie und für „visuelle Entdeckung­en“.

Was sich sonst in der Umgebung verlieren würde, was wir unachtsam übergehen oder woran wir achtlos vorbeigehe­n, wird hier festgehalt­en. Semotan fotografie­rte,

was sich rund um sie abspielte. Sie tat es jedoch immer mit Bedacht, auch wenn es eng war. „Wenn die

Kinder geschlafen haben, habe ich fotografie­rt“, sagt sie über die frühen Tage. Auf Urlauben nahm sie alles mit, um in einem Bad die Dunkelkamm­er einzuricht­en. Jeden

Abend habe sie dann Filme und Bilder entwickelt. „Das war sehr schön“, sagt sie.

Manches in dieser Ausstellun­g mag bei schnellem Hinschauen gewöhnlich aussehen, wie einem Familienal­bum entnommen. Daran

liegt jedoch auch das Besondere. Semotan sieht Brüche und Widersprüc­he, die auch später in berühmt gewordenen Porträts erkennbar

bleiben, die sich auch aufspüren lassen, wenn sie Mode oder Berühmthei­ten fotografie­rt. Was im Fotohof zu sehen ist, wirkt – im Sinn einer poetischen Dokumentat­ion mit einer persönlich­en Annäherung, vielleicht gar Zuneigung zu ihren Motiven – so eindrucksv­oll,

weil es scheint, als wäre vieles einfach im Vorbeigehe­n festgehalt­en

worden. Damit dieser Eindruck entsteht, muss vor dem Auslösen der Kamera jedoch das Besondere erkannt werden. Etwa beim Bild der Eingangstü­r zum Parfumshop von Helmut Lang, mit dem Elfie Semotan seit Jahrzehnte­n befreundet ist. Da mag man auf dem Foto bloß eine

recht schön gestaltete Tür in der Greene Street in Süd-Manhattan sehen. Und doch wird diese Tür durch ein Licht-Schatten-Spiel, eben durch diesen einen Moment,

in dem das Bild entstand, von einer Kleinigkei­t zu berührende­r Poesie.

 ?? BILD: SN/FOTOHOF/ELFIE SEMOTAN ?? Selbstport­rät: Elfie Semotan 1978 in Italien.
BILD: SN/FOTOHOF/ELFIE SEMOTAN Selbstport­rät: Elfie Semotan 1978 in Italien.

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