Ewiges Bündnis mit Frieden macht stutzig
Erstaunlich visionär hat der Künstler Max Ernst 1929 die Friedensordnung Europas bezweifelt.
SALZBURG. Kann Deutschland, einst Aggressor und Verlierer im Ersten Weltkrieg, zur unschuldigen, keuschen Braut werden, die in das unauflösliche, auf ewig dem Frieden in Europa verpflichtende Völkerbündnis aufgenommen wird? Der Künstler Max Ernst hat 1929 in einer Collage einen Kommentar zu den Verträgen von Locarno abgegeben, die 1925 Deutschlands Aufnahme in den Völkerbund vorbereiteten und damit an einer neuen Friedensordnung für Europa bauten.
Im Jahr 1929, also zehn Jahre bevor der Zweite Weltkrieg einsetzen sollte, bringt der deutsch-französische Künstler, der 1941 in die USA
fliehen sollte, erstaunlich scharfen Skeptizismus zum Ausdruck: Neben der fast kitschig aufgetakelten Braut, die zu ihrem Bräutigam, dem Frieden, keinen Blickkontakt findet,
hat Max Ernst eine barfüßige und folglich an diesem Fest nicht teilnehmende Figur gesetzt. Die ist stutzig, da sie sieht, wie unter der offiziellen Feierlichkeit der Schnitter Tod immer noch gierig herumhetzt. Der Salzburger Kunsthändler Thomas Salis verweist auch auf die Taube rechts oben. Zum einen ist diese – bei all ihrer Symbolkraft für den Frieden – ein arg schmächtiges
Zugtier für den europäischen Hochzeitswagen. Zum anderen packt
eine sonderbar gefesselte Hand diese Friedenstaube an der Gurgel.
Dieses Bild ist in mehrerer Hinsicht ein Schlüsselwerk in der großartigen Festspielausstellung, mit
der Thomas Salis das 40-jährige Bestehen seiner Galerie feiert. Er widmet diese dem Genre der Collage.
Er habe zum Jubiläum etwas machen wollen, das über das Normale eines auf Klassische Moderne spezialisierten Kunsthandels hinausgehe, schildert Thomas Salis. Zunächst habe er Collagen angepeilt,
weil ihm mit diesen zumeist kleinen und – da meist Papier – leichten Kunstwerken auch in der Pandemie eine Sonderausstellung organisatorisch und logistisch umsetzbar erschienen sei. Dann aber hätten erste
Anfragen bei Händlerkollegen und
Leihgebern einen solchen „Dominoeffekt“ausgelöst, dass er in den eineinhalb Jahren Vorbereitungszeit 75 Collagen von 50 Künstlern aus 16 Ländern zusammengestellt habe – davon sind 65 Werke zum
Verkauf. Noch nie habe es im europäischen Kunsthandel „eine so
breit aufgestellte Ausstellung zur Collage“gegeben, versichert Thomas Salis. Nach der TEFAF in Maastricht ist sie nun zur Festspielzeit in Salzburg im ersten Stock des Palais Rehlingen am Waagplatz zu sehen.
Max Ernst gehört mit Jean Arp, Kurt Schwitters, Hannah Höch, Pablo Picasso, Georges Braque und
Juan Gris zu den frühen Protagonisten dieses Genres – fast alle sind in
der Galerie von Thomas Salis vertreten. An den ältesten Collagen dieser Schau aus 1914 oder 1916 – etwa von Juan Gris oder Pablo Picasso – werde deutlich, wie kubistische
Maler als „logische Folgerung“die Collage erfunden hätten, erläutert Thomas Salis. Dekonstruieren und neu zusammensetzen, wie es im Kubismus malerisch erfolge, mache man in der Collage mit Material.
Beachtlich sei zudem, dass viele Collagen im Gefolge der beiden
Weltkriege entstanden seien, quasi als künstlerische Methode des Neuanfangs durch Neukombination
von alten Teilen oder Bruchstücken. Dafür und für die oft vermittelten politischen Botschaften ist „L’esprit de Locarno“ein so gutes
und – in Anbetracht von der 1929 machtlosen Friedenstaube – visionäres Beispiel, dass sie bereits einen Käufer hat, nämlich das Haus der Europäischen Geschichte, das vom Europäischen Parlament betriebene
historische Museum im EUViertel in Brüssel. Und es ist ein vorzügliches Beispiel dafür, wie Max Ernst das Besondere einer Collage geschildert hat: Die fast absurde Kombination unterschiedlicher Bilder provoziere ein plötzlich intensives Sehen.
Neben solchen im Surrealismus wurzelnden Collagen und
jenen der gegen Krieg und Stumpfsinn protestierenden Dadaisten wie George Grosz und
Hannah Höch sowie des AntiDadaisten Kurt Schwitters zeigt Thomas Salis Pop-Art von Andy Warhol und Robert Rauschenberg. Österreicher wie Arnulf Rainer und Franz West sind ebenso mit Collagen vertreten wie die Italiener Alighiero Boetti, Alberto Burri und Mimmo Rotella.
„Collagen waren wichtiges Instrument für den Ausdruck des Neuanfangs.“Thomas Salis, Kunsthändler
Ausstellung: