Schöner, jünger, geiler – billige Ferien mit den Sex Pistols
Über die Macht der Musik in einem heißen Sommer.
Der Sound in diesem Sommer kommt von DJ Robin & Schürze. Der Song, wenn man das so nennen möchte, heißt „Layla“. Das Klangwerk
wurde zum Sommerhit des Jahres erklärt, liegt seit Wochen an der Spitze der Charts, setzt sich durch in Bierzeltbars und auf Sommerpartys. Das Wesen eines Sommerhits liegt in der Belanglosigkeit, die Massenandrang provoziert. Es gab Sommerhits, die zum Schmusen im Freibad taugten oder zum engen Tanz. Es gab Sommerhits, die einem im Lauf der Jahre peinlich werden konnten – komplett deppert waren sie selten. „Layla“taugt zu nichts. Es ist ein Ohrwurm für Derrische, für die, die ohne jede Zwischentöne auskommen, die Hasspostings
für eine Art der Demokratie halten. Billig ist der Mitstampf-Beat von „Layla“. Es geht um eine „Puffmama“, die „schöner, jünger, geiler“sei. Was selbstverständlich gerechte Proteste hervorrief. Sexismus. Herabwürdigung. Nicht
beantwortet wird in dem Song, wer denn nun
weniger schön, jung und geil sei als die Besungenen. Im Rausch, und der Rausch ist das feuchte, dreckig-sumpfige Biotop dieses Songs, findet sich aber immer jemand, über den man
wegen Äußerlichkeiten lästern kann. Ein Sommersong zum Ausschwitzen in einem Sommer, der ist, wie der Sommer vor 46 Jahren war. Damals im 76er-Jahr war es auch so heiß, also anders heiß halt. Damals galt, wenn’s so um die
30 Grad hatte, das ja noch als Hitzerekord. Bei einer 30-Grad-Welle spricht man heute schon
von einer Abkühlungsphase. Das Klima hat sich verändert. Im heißen Sommer 76 kochte es vor allem in Großbritannien, und zwar weniger in Strandbädern als auf den Straßen.
Und mittendrin waren die Sex Pistols und der Punk, und der Punk war der hart klingende
Aufstand gegen ein ungerechtes, würgendes System: „Dancing in the Street“von Martha & the Vandellas von 1964 diente als Soundtrack
gegen Bedrängnisse der Welt, gegen Ohnmacht
und sozialen Raubbau. Die Hitparade angeführt haben nicht die Sex Pistols. Da waren
ABBA mit dem südländisch angehauchten „Fernando“und auch Boney M. mit „Daddy
Cool“, in dem es um klimatische Fragen ging, aber nicht auf der Welt, sondern im Zwischenmenschlichen. Unter Hitze der Hitparaden-Belanglosigkeiten aber brodelte etwas. „Anarchy“, schrien die Sex Pistols wütend.
In der hitzigen Sexismus-Mitgrölerei der Abgestumpften der Gegenwart und im Rausch der totalen Ablenkung brodelt ein halbes Jahrhundert später nichts mehr. Jeder widerständige Popmusik-Untergrund ist aufgesogen und verkauft und verschwunden. Die Sex Pistols hatten nie einen Sommerhit, auch wenn sie einmal über „Holidays in the Sun“sangen. Der Song beginnt mit der Zeile: „A cheap holiday
in other people’s misery“.