Dunkelgraue Lieder künden von Fremde und Einsamkeit
SALZBURG. „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“, heißt es zu Beginn von Franz Schuberts „Winterreise“.
Auch wenn dieses „Signature Piece“von Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser am Donnerstag nicht erklang, trifft es die Grundstimmung ihres jüngsten Festspiel-Liederabends.
Der deutsche Bariton und Salzburgs Festspielintendant als kongenialer Klaviergestalter
widmen sich – dramaturgisch schlüssig – Fremde und Einsamkeit, die nicht nur in der Romantik zentrale Themen der Gattung darstellen. Auch Hanns Eisler
und Bertolt Brecht sitzen nach der Flucht aus Nazideutschland im Exil fest und verleihen ihrer
Verlorenheit in der Fremde Ausdruck. Seelenlose Hotelzimmer
werden beschrieben, Selbstmordgedanken gesponnen. „Der Flüchtling sitzt im Erlengrund
und nimmt / sein schwieriges Handwerk wieder auf: das Hoffen“, schreibt Brecht aus Finnland und der Schönberg-Schüler Eisler schöpft dazu harmonisch avancierte Klänge. Matthias Goerne lässt in diesem „Frühling“aus dem „Hollywooder Liederbuch“seine dunkel timbrierte Stimme zu mächtigem, raumgreifendem Forte anschwellen.
Das Skizzenhafte ist der Wesenszug der Eisler-Lieder, die das
Zentrum dieses Programms bilden. Das liegt an Brechts pointierter, schnörkelloser Poesie, aber auch an Eislers Vertonung: Der Komponist setzt an das zumeist abrupte Ende einer Miniatur
einen wütenden Klavierkommentar oder harmonische Ungewissheit. Markus Hinterhäuser ist in dieser Klangwelt der Moderne
ganz in seinem Element, zeichnet das Schroffe, Kantige des Klavierparts heraus. In den Liedern von Robert Schumann und Franz Schubert schlägt er einen verschatteten, gedämpften Ton an und verstärkt den verinnerlichten Charakter dieser Seelenmusik.
Die Welt der Romantik umrahmt die Eisler-Blöcke wie ein fernes Echo. „Und kann ich nur einmal recht einsam sein, dann bin ich nicht allein“, singt Goerne in Schuberts Harfner-Gesängen aus „Wilhelm Meister“. Diesen dunkelgrauen Goethe-Vertonungen gibt sich der begnadete Erzähler mit jeder Faser seiner Stimme hin, verleiht in
Tongebung und Linienführung Schuberts Musik elementares Gewicht. Auch das epische „Heimweh“, entstanden in Gastein 1825, gestalten Goerne und Hinterhäuser mit großer Sorgfalt: Die Sehnsucht des Städters nach den Bergen der Heimat evoziert starke Hörbilder.
Die Pole des Abends begegnen einander, als Schumanns „In der Fremde“atemlos in Eislers „Erinnerung an Eichendorff und Schumann“mündet. Wo Schumann Eichendorffs Text über einen Heimatlosen in melancholische Klänge fasst, verknappt Eisler diesen bewusst unsentimental. Fast versöhnlich geht der Abend in der Finsternis von Schumanns „Abendlied“zu Ende. Trotz anhaltenden Jubels
wird die Zugabe verweigert. Eine kluge Entscheidung: Zu intensiv und geradezu zyklisch in sich geschlossen gestaltete sich zuvor die
Reise in die Tiefen der Seele.