Ein Opern-Farbtupfer im Festspielsommer
Rolando Villazóns Pfingstfestspiel-Inszenierung des „Barbiere di Siviglia“rief bei ihrer Wiederaufnahme im Haus für Mozart Begeisterung hervor.
SALZBURG. Die Vielfalt ist enorm, die Eindrücke fantastisch bis mysteriös, die Sinne an der Kapazitätsgrenze. Es ist schon ein gewagtes Unterfangen, eine einzige Opernproduktion gleichsam mit Varieté, Hollywood, Antike, Biedermeier, Folklorismus und Urbanem zu beladen, und es stellt sich die Frage:
Wann ist es zu viel? Ein Blick in das Programmheft verrät: Regisseur Rolando Villazón will mit seinen Bildern in Gioachino Rossinis Oper „Il Barbiere di Siviglia“Fragen aufwerfen und verzichtet auf Antworten.
Traditionell wird die Produktion der Salzburger Pfingstfestspiele im Sommer übernommen.
Es ist eine ewige Metamorphose zwischen cineastischen, räumlichen, szenischen und charakterlichen Elementen, in der nichts
bleibt, wie es ist. Mittendrin ein schrulliger Studioarbeiter, welcher wortlos, aber zauberhaft durch den
Abend führt. Die Figur des Arnoldo, mit der Rolando Villazón den italienischen Verwandlungskünstler Arturo Brachetti in die Oper einwebt,
wechselt binnen Sekunden zwischen Dialogpartner, Double und Projektionsfläche. Die Liebesgeschichte zwischen dem Conte und Rosina ist leicht greifbar, doch den roten Faden im quirligen Rundherum sucht man vergeblich. Harald B. Thors beeindruckend funktionales und tiefenwirksames Bühnenbild, Brigitte Reiffenstuels mannigfaltige Kostümpalette, Carmen Zimmermanns und Roland Horvaths Filmsequenzen sowie Ramses Sigls und Christian Arsenis dramaturgisch-choreografische Arbeit sorgen für das nahtlose Verschmelzen der Ebenen und Perspektiven.
Weniger spektakulär, jedoch ungleich harmonischer fügt sich die musikalische Gestaltung in das
bunte Treiben ein. Dirigent Gianluca
Capuano verpasst mit Les Musiciens du Prince Rossinis gewitzter Klangsprache die Leichtfüßigkeit, die man so oft in dem viel gespielten Werk vermisst, und er
koordiniert das emsige Treiben mit stoischer Ruhe und Präzision. Das Orchester, das sich der historischen
Aufführungspraxis verschrieben hat, findet in flotter Manier durchgehend die akustische Balance und glänzt mit einer engagierten, präzisen Continuogruppe.
Tenor Edgardo Rocha verleiht dem Conte einen stimmlich schlan
ken Charakter und zeichnet sich durch sprachliche Plastizität und
Authentizität aus. Cecilia Bartoli, stimmlich manchmal zurückhaltend und schauspielerisch aufopfernd, überzeugt als gereifte Rosina vor allem in Rezitativen und
Koloraturen. Mitreißend und standhaft untermauerte Bariton Nicola Alaimo als Figaro seine Führungsrolle im Stimmfach. Alessandro Corbelli – abgebrüht als Bartolo –
und Ildebrando D’Arcangelo als Basilio wurden ihren Charakterrollen musikalisch und szenisch mehr als
gerecht. Die hervorragende vokale Leistung rundeten Rebeca Olvera, José Coca Loza sowie der Philharmonia Chor Wien souverän ab.
Großer Ideenreichtum und klangliche Balance zeichnen die Produktion aus. Es ist zwar unmöglich, die Bandbreite an Villazóns Ideen voll aufzugreifen, doch die
wilde Mischung aus Epochen und künstlerischen Ausdrucksformen schärft den Blick fürs Detail und
lädt zur individuellen Rezeption ein. Der vielschichtige „Barbiere“ist ein willkommener Opern-Farbtupfer im thematisch sonst so finsteren Festspielsommer.
Perspektiven und Ebenen verschmelzen
Oper: „Il Barbiere di Siviglia“von Gioachino Rossini, Salzburger Festspiele, bis 16. August.